Nachkriegsdeutschland

Theodor Heuss und die Shoah

Theodor Heuss 1959
Theodor Heuss setzte sich früh für eine auch finanzielle Wiedergutmachung gegenüber Israel ein. © picture alliance / dpa / Kurt Rohwedder
Von Thomas Klatt · 04.07.2014
Theodor Heuss sprach früh von einer "Kollektivscham" der Deutschen und wandte sich gegen eine "Kollektivschuld" und einen "Schlussstrich". Nun ist ein neues Buch über diese Facette seiner Persönlichkeit erschienen.
"Die Völker, die hier die Glieder ihres Volkes in Massengräbern wissen, gedenken ihrer, zumal die durch Hitler zu einem volkshaften Eigenbewusstsein schier gezwungenen Juden. Sie werden nie, sie können nie vergessen, was ihnen angetan wurde.."
Theodor Heuss im Konzentrationslager Bergen-Belsen am 30. November 1952. Vehement wehrte sich der erste deutsche Bundespräsident gegen jede Geschichtsverdrängung, als könne man sich nun in den Jahren des Wiederaufbaus durch einen Schlussstrich von der Nazidiktatur abgrenzen. Heuss mochte aber nicht von einer "Kollektivschuld" aller Deutschen sprechen. Statt dessen prägte er den Begriff der "Kollektivscham":
"Und dies ist unsere Scham, dass sich solches im Raume der Volksgeschichte vollzog, aus der Lessing und Kant, Goethe und Schiller in das Weltbewusstsein traten. Diese Scham nimmt uns niemand, niemand ab."
Für den katholischen Theologen Karl-Josef Kuschel ist Theodor Heuss damit bis heute richtungsweisend. Nach der Shoah kann bis heute kein Deutscher sagen, es ginge ihn nichts an. Kuschel liest aus seinem Buch, das er über Heuss und sein Verhältnis zum Judentum geschrieben hat:
"Heuss fordert einen schweren Weg der Selbstreinigung, den wir als Deutsche zunächst zu gehen hätten. Und das war das Scheußlichste und Schrecklichste, das uns der Nationalsozialismus antat, das er uns zwang, uns schämen zu müssen, Deutsche zu sein."
Heuss forderte von den christlichen Kirchen Einsicht
Früh setzte Heuss sich für eine auch finanzielle Wiedergutmachung gegenüber Israel ein. Als erster hoher Repräsentant Deutschlands gratulierte er den jüdischen Gemeinden zu Rosch Ha-Schana. Mehr als nur eine Geste. Heuss unterstützte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ausdrücklich und war Schirmherr der Woche der Brüderlichkeit. Vor allem wollte er, dass gerade auch die Kirchen einsahen, dass der politische Antisemitismus nur auf Grundlage des christlichen Antijudaismus möglich gewesen war. Heuss wollte eine aktive Wiedergutmachung.
Kuschel: "Bundeskanzler und Bundespräsident haben sich regelmäßig getroffen, und er sagt, er finde, dass es eine Verantwortung gibt für die geschändeten jüdischen Gotteshäuser einzustehen und er denke an die Wormser Synagoge. Und das sei doch die Aufgabe der christlichen Kirchen, das ist die älteste Synagoge in Deutschland seit 1034 gibt es die und wird im Judentum der ganzen Welt wie ein Heiligtum verehrt. Weil Raschi dort gelernt hat, der größte Talmud-Kommentator, da müssen wir was tun. Die Kirchen haben nichts getan. Aber da dachte ich, verdammt noch mal, ein Politiker muss kommen, ein homo politicus und muss das christliche Geschäft der Kirchen betreiben, die nicht von sich aus auf die Idee gekommen sind, dafür was zu tun. Ja, das ist Theodor Heuss:"
Erst Jahrzehnte später rangen sich die Evangelische wie auch die Römisch-katholische Kirche durch, ihre theologisch schuldhafte Verstrickung an der Schoah zu bekennen.
Der liberale Politiker und Publizist Theodor Heuss pflegte Zeit seines Lebens gute Kontakte zu deutschen Juden, etwa zu dem großen Rabbiner Leo Baeck. Andererseits stimmte er mit seiner kleinen fünfköpfigen Fraktion der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei, im Reichstag 1933 dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zu. Und Heuss konnte mitunter sehr scharfzüngig gegenüber Juden sein.
Kuschel: "So gibt es auf Seiten von Heuss vor und nach 1933 auch polemische Töne gegen ein so genanntes 'entwurzeltes jüdisches Literatentum', dessen Infragestellung der Republik von Weimar entfremdete. Antisemitische Vorurteile können bei Heuss dann durchbrechen, wenn er sich von Publizisten jüdischer Herkunft wie Kurt Tucholsky oder Karl von Ossiezky distanziert."
1960 reiste Heuss erstmals nach Israel
Doch dies alles mindert nicht das Bild eines überragenden Staatsmannes. Nach zehnjähriger Amtszeit reiste Heuss als Pensionär 1960 zum ersten Mal ins Heilige Land.
Kuschel: "Irgendwo auf der Reise durch das Land trifft er auf einen Frisör und wundert sich, wie der harmlos heitere Mann Deutsch spricht, wenn auch mit einem etwas fremden Akzent. Heuss spricht ihn an, jovial, er sei nicht aus Deutschland, aber spreche gut Deutsch. Und der Mann antwortet: In zwei Konzentrationslagern gelernt! Heuss verschlägt es für einen Moment die Sprache. Deutschstunde im Konzentrationslager!"
Noch bestehen keine diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Einfach so als Tourist kann Theodor Heuss sich aber nicht bewegen. Den Bundespräsidenten a. D. verfolgt die deutsche Geschichte auf Schritt und Tritt. Dabei sollte es vor allem eine Privatreise werden. Der Schwabe Heuss besuchte das schwäbisch-jüdische Dorf Shavej Zion bei Naharija an der nördlichen Mittelmeerküste. In den 1930er Jahren flüchteten sich Dutzende jüdische Bauern aus Rexingen hierher. Ermöglicht hatte dies Otto Hirsch, ein enger Freund von Theodor Heuss.
Kuschel: "Otto Hirsch war ja in der Reichsvertretung der Juden an der Seite von Leo Baeck der führende Mann und hat unter anderem dafür gesorgt, dass die Rexinger ausreisen konnten. Denn 41 schwäbische Bauern wollen nach Palästina ausreisen! Das war damals britisches Mandatsgebiet! Die Engländer haben natürlich bestenfalls Individuen rein gelassen, aber doch nicht 'ne ganze Gruppe! Und Heuss hält eine ganz bewegende Rede, wo er wirklich seine Liebe zu diesem Mann zum Ausdruck bringt und sein Entsetzen, einer der Besten, wird in Mauthausen liquidiert."
Eine von vielen ergreifenden und bis heute kaum bekannten Geschichten, die Karl-Josef Kuschel zusammengetragen hat. Das Verdienst von Theodor Heuss ist kaum zu gering zu erachten. Heuss war einer der ersten überhaupt, die nach 1945 dauerhaft das Eis brachen, zwischen Juden und Deutschen, aber eben auch zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel.
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