Nach Forschungserfolg von Google

Was macht Quantenchips überlegen?

15:13 Minuten
Eine Illustration zeigt Netzwerke zwischen im Nullen und Einsern.
Einser, Nuller - und dazwischen jede Menge los. So kennt man das von gängigen Rechnern. Quantencomputer gehen noch darüber hinaus. © imago/CHROMORANGE
Von Thomas Reintjes · 05.10.2019
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Google-Forscher melden einen Meilenstein bei der Entwicklung von Quantencomputern - in einem versehentlich veröffentlichen Paper heißt es, man habe die "Quantum Supremacy" erreicht. Doch was bedeutet Quantenüberlegenheit überhaupt?
Quantencomputer – klingt aufregend und futuristisch, aber vor einem zu stehen, ist eher ernüchternd. Das Gerät quietscht. Das komme von einem Pulsröhrenkühler, der die äußere Schicht eines Kühlbehälters auf vier Grad über dem absoluten Nullpunkt bringe, erklärt mir Matthias Steffen von IBM in New York. Der Quantenchip steckt in einem tonnenförmigen Behälter, der an einem Gestell hängt.
Im Innersten liegt die Temperatur nur ein hundertstel Grad über null Kelvin. Nur dann lässt sich der Quantenchip kontrollieren. Aber nur für kurze Zeit, einige Millionstel Sekunden – danach ist der Einfluss der Umgebung auf die empfindlichen Qubits zu groß.

Ein bisschen Eins, ein bisschen Null

Diese Quantenbits lassen sich vergleichen mit den Bits eines klassischen Computers. Der Unterschied: Jedes Bit kann entweder Eins oder Null sein. Quantenbits können aber auch Zwischenzustände annehmen. Sie können ein bisschen Eins und ein bisschen Null sein.
Das hängt damit zusammen, dass in der Quantenwelt die Grenze zwischen Welle und Teilchen verschwimmt. Und Wellen können sich überlagern. Wenn man zwei Steine ins Wasser wirft, einen rechts, einen links, dann tragen die Wassermoleküle dort, wo die Wellen sich kreuzen, die Informationen beider Wellen. Ein Molekül ist gleichzeitig vielleicht Teil eines Wellenbergs der linken Welle und Teil eines Wellenbergs der rechten Welle.

Quanten-Algorithmen - derzeit noch Mangelware

Diese Überlagerungszustände sind ein Grund, warum Quantencomputer so mächtig sind. Sie können quasi mehrere Rechenwege gleichzeitig einschlagen. Jedenfalls theoretisch. Denn zum einen bestehen Quantenchips bisher nur aus höchstens einigen Dutzend Qubits, zum anderen fehlen Algorithmen, um das ganze Potenzial der Quantenchips ausnutzen zu können.
"Wir hätten gerne bessere Quanten-Algorithmen", sagt David DiVincenzo von der RWTH Aachen, "aber wir kennen keine wissenschaftliche Methode, um sie zu finden. Das geht ziemlich langsam voran."
Was bisher auf Quantencomputern läuft, seien nur Übungsaufgaben sagt DiVincenzo. Aber das werde sich ändern: "Quantencomputer sind darauf ausgelegt hochzuskalieren und eine nutzbare Technik zu werden. Bisher bleiben sie unter den Möglichkeiten, die sie einmal haben könnten. Bisher ist das tatsächlich sehr bescheiden."

Bis zur praktischen Anwendung ist es noch ein weiter Weg

Quantum Supremacy, der Punkt also, an dem Quantencomputer klassischen Computern wirklich überlegen sind, ist also noch weit entfernt. Nur ganz bestimmte Algorithmen können schon heute auf Quantencomputern schneller laufen. Am effizientesten sind Quantencomputer wohl, wenn es darum geht Dinge zu berechnen, bei denen selbst Quanteneffekte eine Rolle spielen – zum Beispiel in der Entwicklung neuer Materialien.
Bei solchen Berechnungen kann der Unterschied zu herkömmlichen Computern dramatisch sein. So wie es Google-Forschern jetzt anscheinend gelungen ist, einen Algorithmus in 3 Minuten und 20 Sekunden von einem Quantencomputer durchlaufen zu lassen, für den der heute schnellste Supercomputer geschätzt 10.000 Jahre gebraucht hätte.

Außerdem sprechen Jenny Genzmer und Tim Wiese in dieser Breitband-Ausgabe mit dem Philosophen und Informatiker Rainer Rehak vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Quantencomputern. Rehak gibt zunächst einmal Entwarnung: "Dass Quantencomputer in nächster Zeit unseren Alltag bestimmen werden", hält der Philosoph und Informatiker für unrealistisch. Mit praktischen Einsatzmöglichkeiten sei wohl erst in ein paar Dekaden zu rechnen.
Dennoch: Aus Forschungsperspektive seien jüngste Erfolgsmeldungen, dass Google der Bau eines Quantencomputers gelungen sein soll, allerdings zweifellos "ein Durchbruch". Als mögliche Anwendungsgebiete kristallierten sich derzeit aber schon die Optimierung von Suchvorgängen in großen Datenmengen und die Lösung bestimmter mathematischer Probleme heraus. Google wolle ja "die ganze Welt durchsuchbar machen" - daher erkläre sich wohl auch das große Forschungsinteresse, das der Suchmaschinen-Marktführer in diese Richtung zeigt.

Wie sicher sind unsere Passwörter?

Insbesondere die Kryptografie stünde mit der Erfindung eines praktisch einsatzfähigen Quantencomputers allerdings vor erheblichen Herausforderungen: Selbst komplexe Passwörter könnten damit im Nu geknackt werden - aus Perspektive des Datenschutzes "hätten wir dann ein riesengroßes Problem."
Allerdings könne sich die Krypto-Community auf die bereits vor Jahren gelegten, theoretischen Grundlagen des Quantencomputers stützen - entsprechend arbeite man an Lösungen für dieses Problem: "Ein Quantencomputer kann alles, was auch ein normaler Computer kann - nur bestimmte Aufgaben kann er unfassbar schnell. Was die Kryptographinnen und Kryptographen gerade probieren, ist, Kryptop-Protokolle zu entwickeln, die außerhalb dieses Bereiches liegen."
Somit geht Rehak auch davon aus, dass die Sicherheitsarchitektur mit der Entwicklung des Quantencomputers Schritt halte.

Die Simulation menschlichen Denkens

Aber könne mit Quantencomputern - Stichwort "künstliche Intelligenz" - auch menschliches Denken simuliert werden? Zu solchen Sorgen gebe es keinen Anlass, meint Rehak. Künstliche Intelligenz werde vor allem sachbezogen in konkreten Anwendungsumgebungen genutzt.
Für die Simulation menschlichen Denkens hingegen "haben wir noch gar keine technischen Ansätze. Wir können uns mit Quantencomputern bessere Werkzeuge bauen. Aber dieses menschliche Denken und so weiter - das kriegen wir schon mit normalen Computern nicht hin und wir haben auch gar keine Idee, wie Quantencomputer das verbessern könnten."
(thg)
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