Nach der Räumung der Volksbühne

Sechs Tage gelebte Utopie?

Räumung der durch das Künstlerkollektiv "Staub zu Glitzer" besetzten Volksbühne durch die Polizei am 28. September 2017
Räumung der durch das Künstlerkollektiv "Staub zu Glitzer" besetzten Volksbühne durch die Polizei am 28. September 2017 © imago stock&people / Seeliger
Annett Gröschner im Gespräch mit Janis El-Bira · 30.09.2017
Die Besetzung der Volksbühne durch das Künstlerkollektivs "Staub zu Glitzer" spaltet die Gemüter. "Aktionismus" und "zu wenig Kunst" urteilen die einen. Die Autorin Annett Gröschner aber widerspricht: Kulturpolitik und Streit um Kultur gehörten immer zur Volksbühne.
Zumindest für den Berliner Theaterkosmos war es wohl das Thema der Woche: Die Besetzung der Volksbühne durch Aktivisten des Künstlerkollektivs "Staub zu Glitzer". Mit dieser lange vorbereiteten Aktion wollten die Besetzer gegen Gentrifizierung und für die Utopie eines für alle offenen Theaters kämpfen. Doch damit war an diesem Donnerstag nach rund sechs Tagen ersteinmal Schluss. Der neue Volksbühnen-Intendant Chris Dercon machte nach mehreren Verhandlungsrunden schließlich doch noch von seinem Hausrecht Gebrauch und ließ das noch bis November planmäßig unbespielte Gebäude durch die Polizei räumen. Ein kunstfeindliches Vorgehen – oder lag die Missachtung der Kunst nicht doch eher auf Seiten der Besetzer?

Ein Theater als "Magnet"

Die Berliner Schriftstellerin und Journalistin Annett Gröschner kennt das Haus bereits seit den 80er-Jahren sehr genau. In den 90ern, so hatte sie im Juli in einem Artikel in der ZEIT geschrieben, sei die Volksbühne für sie "zu einem Magnet geworden". Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur zeigt sie für die Besetzer durchaus Sympathien:
"Ich glaube, damit ist etwas in der Diskussion geblieben, was eigentlich auch noch nicht ausdiskutiert war. Nach dem Ende der Castorf-Ära stand dieses Haus da wie ein totes Tier - mitten in der Stadt. Und die Theatersaison fing an und dieses tote Tier stand da immer noch. Und dann wurde es halt wieder belebt! Und wenn so viele junge Leute sich für das Schicksal eines Theaters interessieren, finde ich das erstmal sehr positiv."
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Annett Gröschner© privat

Kein gewöhnliches Theater

Die Volksbühne habe sich aufgrund ihrer hohen Symbolkraft dabei für Annett Gröschner als genau der richtige Ort für eine solche Besetzung erwiesen.
"Die Volksbühne ist kein gewöhnliches Theater und es ist auch kein gewöhnliches Stadttheater. Aber es ist ein Stadttheater und kein Staatstheater, das muss man auch immer sagen, es ist ein Berliner Theater. Und seit 100 Jahren ist das eine Bühne, die immer mehr wollte, als nur das Repertoire herunterzuspielen."

Die Volksbühne muss Fragen stellen

Dass die Besetzer sich zu Beginn der Aktion in die Traditionslinie der Volksbühne stellten und ihre Besetzung als "transmediale Inszenierung" beschrieben, findet Gröschner dagegen zwiespältig:
"Ich glaube, das war doch was Neues. Und viele von denen, die die letzten 25 Jahre dabei waren, sagen jetzt: 'Da ist zu wenig Kunst dabei gewesen.' Das würde ich auch sagen, aber es hat natürlich etwas von dem Geist der Volksbühne, weil die Volksbühne war eben immer ein Theater, in dem es darum ging: Wie soll die Stadt aussehen? In welcher Stadt wollen wir leben? Wir dürfen auch nicht vergessen: Die Volksbühne hatte immer diesen Glutkern des Theaters, des Repertoires, der großen Stücke, die dort gespielt wurden. Und drumherum hatte man immer diese Veranstaltungen, die sich eben auch mit politischen Sachen auseinandergesetzt haben. Ich erinnere an Rollende Roadshow, die schon Anfang der 2000er-Jahre durch Berlin getourt ist, und wo auch schon diese Frage (im Raum stand): Wieviel Gentrifizierung machen wir eigentlich, wenn wir jetzt hier mit Theater in theaterresistente Gegenden gehen? Und all diese Fragen sind natürlich heute viel, viel drängender. Und eine Volksbühne, die sich damit nicht auseinandersetzt, die dürfte eigentlich nicht Volksbühne heißen."
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