NABU: Auch unter Vögeln gibt es Gewinner und Verlierer des Klimawandels

Markus Nipkow im Gespräch mit Ulrike Timm · 03.05.2010
Der kalte Winter bleibt für einige Vogelarten nicht folgenlos, sagt Markus Nipkow, Vogelschutzreferent des Naturschutzbunde Deutschland (NABU). Gerade kälteempfindliche Arten hätten üblicherweise Verluste in harten Wintern.
Ulrike Timm: Und wir wollen vom Vogelschutzexperten des NABU, von Markus Nipkow, erfahren, wie haben denn eigentlich unsere heimischen Vögel die vielen Wochen dieses harten Winters mit Schnee und Eis, wie haben sie die weggesteckt?

Markus Nipkow: Ja ich bin mir sicher, viele Vögel sind auch froh, dass die Temperaturen wieder steigen und dass dieser wirklich lange, harte Winter vorbei ist, und das war ja schon der zweite in Folge, an für sich ja untypisch geworden in den letzten Jahren – wir hatten ja sehr viele milde Winter vorher und der Klimawandel kündigt ja auch eher eine Erwärmung ab als eine Abkühlung. Aber gut, wir hatten diesen sehr harten Winter und er wird nicht ohne Folgen geblieben sein für einige Arten, gerade für kälteempfindliche Arten, die dann üblicherweise auch eben Verluste haben in solchen Wintern, wo beispielsweise Gewässer alle zugefroren sind oder wo lange Zeit eine Schneedecke liegt und die Vögel dann nicht mehr an ihre Nahrung rankommen.

Timm: Erfrieren sie dann oder verhungern sie?

Nipkow: Nein, das Problem ist in der Regel der Nahrungsmangel, der eintreten kann. Temperaturen dagegen, die werden ziemlich gut vertragen von den Vögeln, die eben hier bleiben. Denn wir müssen uns ja vorstellen: Die Vögel, die bei uns überwintern, die bringen im Prinzip alle guten Voraussetzungen mit sich, um einen normalen Winter auch gut überstehen zu können, also auch durchaus mit Temperaturen von minus 10, minus 15 Grad, das halten die schon aus.

Timm: Hätten wir also mehr Meisenknödel aufhängen sollen?

Nipkow: Das hilft der ein oder anderen Art, die dann auch dahin kommt, die das findet; aber ich würde das auch nicht überbewerten, denn letztlich, die vielen, vielen Vögel auch gerade draußen in der Kulturlandschaft oder im Wald, die können wir natürlich mit der Fütterung bei uns im Garten nicht erreichen.

Timm: Wenn man überhaupt man einen sah, dann war der dick aufgeplustert, hatte also mit dem Federkleid eine Art mollige kleine Lebendbettdecke. Aber die Füße, die sind doch ganz nackt – ich frage mich immer, warum erfrieren die nicht, warum frieren die nicht am Baum fest? Wie geht das?

Nipkow: Ja das ist tatsächlich so, alsodass die Vögel einige Strategien entwickelt haben, um mit der Kälte umgehen zu können. Das eine ist, wie Sie sagen, dass sie sich dick aufplustern, da gibt es wunderbare Bilder manchmal auch davon zu sehen, wie so ein Rotkehlchen einen doppelten Umfang hat bei minus 10 Grad gegenüber plus 20 Grad; ja und mit den Füßen ist das so, dass sie tatsächlich eine ganz spezielle Blutzirkulation besitzen, sodass die Füße sozusagen immer so temperiert sind, dass Vögel grundsätzlich nicht festfrieren können an Eisflächen oder an einem Leitungsdraht beispielsweise.

Timm: Herr Nipkow, ausgerechnet der Eisvogel ist aber kälteempfindlich. Warum das?

Nipkow: Ja, das Hauptproblem für den Eisvögel ist tatsächlich, dass eben ein Gewässer dann zufrieren kann und auf diese Weise er von seiner Nahrung komplett abgeschnitten kann ...

Timm: Fische.

Nipkow: ... im schlimmsten Fall, weil er ausschließlich Fische frisst, auf die angewiesen ist. Das ist vielleicht auch der Grund, warum wir bei uns in Europa, in Mitteleuropa, nur eine einzige Eisvogelart haben – eigentlich eine sehr artenreiche Familie, in Afrika beispielsweise gibt es ganz Dutzend und mehr Eisvögel –, aber diese eine Art, der europäische Eisvogel, der Kingfisher, wie er ja im Englischen auch so schön heißt, ja der hat es geschafft, hier eben auch in normalen Wintern ganz gut zurechtzukommen. Aber klar, wenn alle Gewässer zugefroren sind, dann kommen viele um. Wir haben bei den Daten der letztjährigen Stunde der Gartenvögel feststellen müssen, dass er da schon um etwa ein Drittel zurückgegangen ist nach dem vorvorigen Winter.

Timm: Und warum heißt ausgerechnet der Eisvogel Eisvogel, wenn er das Eis nicht abkann?

Nipkow: Darüber gibt es verschiedene Vermutungen, ganz sicher kann man das nicht sagen. Also einmal könnte es sein, dass er durch seine wunderbar eisblaue Gefiederfärbung diese Assoziation hervorgerufen hat; es kann aber auch sein, dass der Name von eisarn kommt, dem mitteldeutschen eisarn, das heißt schillernd. Und schillern tut er ja nun auch.

Timm Und wie schützt sich der Eisvogel davor, dass der Frost seine Art zu sehr dezimiert, wenn die Bäche, die Seen zu lange zugefroren bleiben wie in diesem Jahr?

Nipkow: Ja das ist eine interessante Geschichte, eben weil sozusagen von der Natur es einerseits vorgesehen ist, dass Eisvögel durchaus in harten Wintern auch umkommen, haben sie eine Strategie entwickelt, dass sie sich anschließend besonders stark wieder vermehren können. Das tun sie mit sogenannten Schachtelbruten, das heißt die brüten dann in einem Jahr bis zu dreimal, angeblich auch schon mal viermal, aber drei Bruten haben wir beispielsweise beim NABU selbst erlebt, als wir im vorigen Jahr, als er Vogel des Jahres war 2009, ihn mit einer Webcam beobachtet hatten, da brütete dieses Paar dreimal nacheinander und eben in solchen Schachtelbruten. Das heißt, während das Männchen noch die Jungvögel von der ersten Brut fütterte, außerhalb der Brutröhre, saß das Weibchen schon auf den Eiern der nächsten Brut und in diesen wenigen Wochen eines Frühjahrs und Frühsommers haben die es dann geschafft und haben nach dem harten Winter 16 Jungvögel großbekommen.

Timm: Das klingt nach unendlich viel Arbeit, Schachtelbrüten – woher wissen denn Eisvogeleltern, dass sie schachtelbrüten müssen?

Nipkow: Ja "wissen" eben in Anführungszeichen. Das ist ja tatsächlich so, dass sich das dann eher durch Konkurrenzmechanismen auch so entwickelt. Nach dem harten Winter, muss man sich vorstellen, ist letztlich für die übriggebliebenen Vögel insofern eine optimale Situation, weil sie sich die besten Brutgebiete aussuchen können, also weniger Konkurrenz haben, an den besten Standorten, dann zur Brut schreiten und es ihnen dann auch leichter fällt, da sehr erfolgreich zu sein. Das ist eine Strategie, ja vielleicht ähnlich wie auch Schleiereulen in guten Mäusejahren auch sehr viel mehr Jungvögel aufziehen, und wenn überhaupt keine Mäuse da sind, dann brüten die noch nicht mal.

Timm: Deutschlandradio Kultur, die Vogelwoche im "Radiofeuilleton". Markus Nipkow sagt uns, wie die Vögel durch den Winter gekommen sind. Herr Nipkow, manch ein Storch, der pünktlich Anfang März aus dem Süden nach Deutschland kam, der fand ja sein Nest vereist in diesem Jahr, und Regenwürmer und Frösche waren auch knapp unter dem Schnee. Was machen die Vögel dann, wenn sie merken, sie sind zu früh wieder zu Hause?

Nipkow: Ja also diesen Vögeln, die früher zurückkehren als das früher noch der Fall war, denen kann das schon auch noch mal zum Verhängnis werden. Also wenn jetzt eben ein Insektenfresser wie beispielsweise auch ein Hausrotschwanz schon Anfang März zurückkehrt und es kommt dann noch mal zu einem Kälteeinbruch oder sogar noch im Februar, dann ist der sozusagen wegselektioniert, also der wird sich dann ja nicht fortpflanzen in dieser Saison und von daher ist das dann ein Rückschlag für solche Vögel, die zu früh zurückkehren.

Timm: Nun haben wir in diesem Winter einen harten erlebt, aber auf lange Sicht wird sich das Klima weiter erwärmen. Verändert das das Verhalten von Zugvögeln?

Nipkow: Ja das tut es bereits. Also wir beobachten schon sehr deutlich seit etwa 20, 25 Jahren verschiedene Phänomene, beispielsweise eben dass eine Reihe von Arten immer früher zurückkehrt aus dem Winterquartier, man kann so grob sagen, um 14 Tage früher als das noch vor etwa 20 Jahren der Fall war. Das trifft nicht auf alle Arten zu, aber auf viele, gerade solche, die ohnehin nicht sehr weit weggezogen sind, also so die Kurzstreckenzieher, die nur im Mittelmehrraum oder in Südwestfrankreich überwintert haben wie Kiebitze, Stare, Hausrotschwänze, Feldlärchen, die kommen früher zurück. Ein anderes Phänomen ist, dass Arten auch einfach früher brüten, auch solche, die im Winter hiergeblieben sind, das kann man durch langfristige umfangreiche Untersuchungen ja auch wunderbar zeigen, das ist so ein Phänomen. Ja und das dritte ist schließlich auch, dass es ganze Arealverschiebungen gibt bei manchen Arten, ein schon fast berühmtes Beispiel ist ja inzwischen der Bienenfresser, ein sehr exotischer, bunter, wunderbarer Vogel, der eigentlich in Südeuropa beheimatet ist, der innerhalb kürzester Zeit, innerhalb von 15 bis 20 Jahren in Deutschland wieder eine beachtliche Population jetzt aufgebaut hat. Er war früher schon mal da, ganz, ganz selten in der äußersten Südwestecke von Deutschland, am wärmsten Ort, nämlich rund um den Kaiserstuhl, letzte Brut 1959, dann also die ganze Zeit verschwunden. Und nun ist er wieder da in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt schon über 300 Brutpaare dort – also das ist sozusagen eine Erfolgsstory. Also er ist auf jeden Fall ein Gewinner des Klimawandels, aber es gibt leider auch eine ganze Reihe von Verlierern.

Timm: Markus Nipkow war das, der Vogelschutzreferent des NABU, im Gespräch mit dem "Radiofeuilleton" in unserer Vogelwoche und heute Nachmittag erfahren Sie dann alles über Kakapos, das sind neuseeländische Vögel, die das Fliegen verlernt haben. Kein Wunder, dass sie ständig gefressen werden und es also nur noch wenige Kakapos gibt.