Muslimische Minderheit in Myanmar

"Vollkommen entrechtet"

Eine Frau und ein Mädchen der muslimischen Volksgruppe Rohingya
Eine Frau und ein Mädchen, die der muslimischen Bevölkerungsgruppe der Rohingya angehören. © imago/ZUMA Press
Ulrich Delius im Gespräch mit Philipp Gessler · 03.07.2016
Die muslimische Minderheit der Rohingya darf sich nicht mehr so nennen - das verlangt die Regierung in Myanmar. Stattdessen soll der Name lauten "Menschen, die den Islam lieben". Der Asienexperte Ulrich Delius sieht darin eine klare Diskriminierung.
Philipp Gessler: Die Rohingya, eine muslimische Volksgruppe in Myanmar, dem früheren Birma oder Burma, werden staatlicherseits unterdrückt. Das ist erstaunlich, da man der überwiegend buddhistischen Bevölkerung das eigentlich nicht zutraut, gilt der Buddhismus doch als eine sehr sanfte Religion. Außerdem ist die Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi an der Macht, und sie gilt als ein Idol der Gewaltlosigkeit weltweit. Wir wollen uns das alles erklären lassen vom Asienexperten der "Gesellschaft für bedrohte Völker". Ulrich Delius habe ich zunächst gefragt, ob er erstaunt sei, dass der Buddhismus in Myanmar offenbar nicht so friedlich ist, wie man gemeinhin glaubt.
Ulrich Delius: Es gilt natürlich nicht für alle Birmanen, dass sie nationalistische Buddhisten sind, aber es gibt einen Kreis, der wirklich sehr massiv die Vision vertritt, Birma sei ein Land der Buddhisten und keiner anderen Religionen, und das hat zu massiven Problemen in den letzten vier Jahren geführt, Übergriffen auf Muslime. Vor allem eine Gruppe ist sehr stark davon betroffen, und das sind die muslimischen Rohingya. Das hat uns in gewisser Weise nicht gewundert, weil wir das über Jahre verfolgt haben. Es gab immer mal wieder Eskalationen der Gewalt gegenüber diesen Rohingya, aber dass es so schlimm wurde wie jetzt im Jahr 2012, 2013, 2014, 2015 – es geht weiter bis heute, bis zu einer apartheidähnlichen Ausgrenzung der Rohingya, das hätten wir auch nicht gedacht.

Ausgrenzung in allen Bereichen der Gesellschaft

Gessler: Das sind ja ungefähr eine Million Menschen in Myanmar, die Rohingya. Die haben keinen Anspruch auf die myanmarische Staatsbürgerschaft. Warum eigentlich nicht?
Delius: Man begründet das vonseiten der Behörden mit dem Staatsbürgerschaftsrecht und dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1992, das besagt, dass man schriftlich mit Dokumenten nachweisen muss, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, dass man immer eben in diesem Land gelebt hat. Das können die wenigsten Menschen in Myanmar, das nachweisen, und natürlich auch nicht die Rohingya. Und so bleibt das Gros dieser Rohingya ausgeschlossen von dem Recht, eben Staatsbürger zu werden, und das hat gravierende Folgen für Sie. Man schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein, das heißt, sie dürfen nicht aus ihren Dörfern rausgehen, sie dürfen nicht heiraten ohne Zustimmung der Behörden, sie dürfen keine Kinder kriegen, sie kriegen kaum Arbeit. Es ist also wirklich eine Ausgrenzung in allen Bereichen der Gesellschaft, der bürgerlichen Rechte, sodass man tatsächlich von so einer Art System der Apartheid spricht.
Gessler: Die Vereinten Nationen haben die Rohingya sogar als die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt eingestuft. Ist das wirklich zutreffend?
Delius: Das ist natürlich ein starkes Wort, aber es stimmt eben auch. Wenn man sich anschaut, wie diese Menschen leben, dann muss man sagen, sie sind eigentlich vollkommen entrechtet, und das in einem Staat, der von sich selbst behauptet, mit seiner bekanntesten Politikerin, Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi, wir sind eine kommende Demokratie Asiens. Und da ist die Entrüstung der Vereinten Nationen schon durchaus zu verstehen, und die Vereinten Nationen legen auch regelmäßig da nach. Erst vor gut anderthalb Wochen hat der UN-Hochkommissar für Menschenrechte einen neuen Bericht vorgelegt, der massive Verletzungen der Menschenrechte gegenüber den Rohingya der Regierung Myanmars vorwirft und sagt, es gibt sogar den Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das geht also sehr weit.

"Das ist einer Friedensnobelpreisträgerin nicht angemessen"

Gessler: Nun hat ja die Regierung von Myanmar eben unter Aung Sang Suu Kyi, unter der Führung oder De-facto-Führung von Aung Sang Suu Kyi, vor ungefähr zehn Tagen den Gebrauch des Namens Rohingya verboten. Was bezweckt die Regierung von Myanmar damit?
Delius: Offiziell sagt sie, sie will damit zur Beruhigung der Situation beitragen. Wir Menschenrechtsorganisationen sehen das natürlich etwas anders. Wir sagen: Wenn man ein akutes politisches Problem, das man hat, und das ist definitiv da, weil das drückt sich auch stetig in Zahlen von Flüchtlingen zum Beispiel aus, dass mehr als 120.000 Menschen vor dieser Gewalt geflohen sind, dann bringt das nichts, wenn man versucht, dieses Problem einfach unter den Teppich zu kehren, sozusagen die Augen vor den Schwierigkeiten zu verschließen. Man muss darüber reden. Und wenn man der betroffenen Gruppe nun auch noch ihre Selbstbezeichnung verweigert, dann ist das nach unserer Ansicht eben kein Schritt zu einer Beruhigung dieser Situation, zu einer Aussöhnung, sondern schlicht und einfach nur ‚Lasst uns in Ruhe mit diesen Problemen, wir haben andere Schwierigkeiten, wir wollen da momentan nicht drüber reden‘. Das ist der Ansatz, den Aung Sang Suu Kyi vertritt. Und da sagen wir, das ist eigentlich einer Friedensnobelpreisträgerin eigentlich nicht angemessen.

Religion und ethnische Identität werden miteinander verwechselt

Gessler: Nun hat die Regierung von Myanmar ja die Idee gehabt, man solle jetzt die Rohingya offiziell "Menschen, die den Islam lieben" nennen. Das hört sich ja auf den ersten Blick erst mal ziemlich charmant an. Wo ist das Problem?
Delius: Das ist an allen Ecken und Enden schräg letztlich, diese Formulierung, weil natürlich nicht jeder, der Rohingya ist in Myanmar, auch den Islam liebt. Genau, wie hier auch nicht jeder Deutsche dann automatisch Christ, Muslim oder Jude oder als sonstiges sich bezeichnet, sondern das ist einfach, da werden zwei Größen letztlich miteinander verwechselt und vermischt. Das eine ist die ethnische Identität als Rohingya, und das andere ist der Glaube als Muslim. Und daher passt das absolut nicht.
Aber was wir als viel erschütternder und beängstigender an diesem Vorgehen ansehen, das ist die Tatsache, dass man damit eigentlich die Grenzen der Konflikte vermischt. Es geht hier um einen ethnischen Konflikt. Man ist nicht bereit, die Rohingya als ethnische Gruppe anzuerkennen und ihren Angehörigen eben die Staatsbürgerschaft zu geben. Jetzt weitet man das einfach aus zu einem religiösen Konflikt und erklärt alle Rohingya zu Muslimen, dass im Prinzip kein Unterschied zwischen Muslim und Rohingya besteht. Und das hat dann ganz schwerwiegende Folgen für die anderen Muslime, die in Myanmar leben, die durchaus nie Probleme hatten mit den Behörden oder ihren buddhistischen Nachbarn. Die fürchten jetzt eben auch um ihre Existenz und sagen, ja, aber wir sind Muslime, wir haben nur den Glauben gemeinsam mit den Rohingya, warum werden wir jetzt quasi auch mit denen in einen Topf getan und auch ausgegrenzt. Das bedeutet für mich als Muslim eine akute Gefährdung. Ich kann zum Beispiel nicht mehr als Händler arbeiten. Es gibt dann buddhistische Nationalisten, die dann anfangen, auf die Geschäfte dieser Muslime Aufkleber zu kleben, kauft nicht bei Muslimen ein et cetera. Das sind alles Sachen, die wir hier auch aus Mitteleuropa gut kennen und die eigentlich uns warnen müssten vor solchen Vereinfachungen.
Gessler: Also die Gefahr eines, sagen wir mal, religiösen Konfliktes oder eines Religionskrieges ist da in der Luft?
Delius: Im Prinzip werden Sachen miteinander vermischt, die nicht vermischbar sind. Und das ist vor dem Hintergrund einer Region, die eben viele Religionen aufweist, äußerst gefährlich. Wir haben in den Nachbarländern fast überall Probleme. Wir haben in Bangladesch Probleme mit radikalen Islamisten. Wir haben im Nachbarland Thailand einen Bürgerkrieg im Süden des Landes seit Jahren, wo Muslime um ihre Selbstbestimmung kämpfen. Das heißt, alles, was in Myanmar passiert, hat sofort Auswirkungen auf die Nachbarländer, und umgekehrt. Wenn in Myanmar eine Moschee in Brand gesetzt wird, dann können Sie sicher sein, dass die buddhistische Pagode im Nachbarland Bangladesch innerhalb von drei oder vier Tagen brennt. Insofern ist das wirklich ein Zündeln mit einem hoch heiklen Thema, was gravierende Folgen nicht nur für Myanmar haben kann, sondern eben für die gesamte Region Südostasien.
Gessler: Die Regierung von Myanmar macht jetzt auch Druck auf die internationale Staatenwelt, dass auch dort der Name Rohingya nicht mehr genutzt wird. Ist das von irgendeinem Erfolg gekrönt?
Delius: Ja, leider ist es wohl erfolgreich, zum Beispiel bei der Europäischen Union, über die ja viele Menschen enttäuscht sind. Leider setzt sich diese Enttäuschung auch bei uns Menschenrechtlern fort. Wenn wir uns anschauen, wie die Europäische Union mit diesem Rohingya-Problem umgeht. Sie geht es nämlich ganz anders an als zum Beispiel die US-Regierung. Die USA hat gesagt, wir lassen uns hier nicht einschüchtern, wir reden weiter über die Konflikte, die bestehen einfach im Land, und man muss auch über die Probleme reden können. Die Europäische Union hat hingegen erklärt nun, wir beugen uns sozusagen diesem Wunsch der Regierung Myanmars und werden jetzt erst mal nicht mehr von den Rohingya direkt sprechen. Wir sehen, dass Myanmar einen großen Bedarf hat, dieses Problem zu lösen, aber wir geben dem Land sozusagen Zeit. Wir halten das für einen vollkommen falschen Ansatz. In Fragen von Apartheid sollte man nicht schweigen. Das hat sich nie ausgezahlt, weder bei Südafrika noch bei anderen gravierenden Menschenrechtsproblemen in der Welt. Man muss es deutlich auf den Tisch bringen, weil man einfach nicht davon ausgehen kann, dass die regierende politische Klasse in Myanmar in irgendeiner Weise ein Interesse daran hat, diesen Rohingya-Konflikt politisch zu lösen und diesen Menschen ihre Menschenrechte zu gewähren.

Neue Politik von Aung Sang Suu Kyi enttäuscht Menschenrechtler

Gessler: Sind Sie eigentlich enttäuscht über Aung Sang Suu Kyi, die ja einst eine Ikone der Gewaltlosigkeit war, dass sie nun in der von ihr doch stark geprägten Regierung einen ganz harten Kurs auch gegen die Rohingya führt?
Delius: Die Enttäuschung ist bei uns, bei der Gesellschaft für bedrohte Völker schon sehr groß, weil man hat natürlich ganz andere Erwartungen an sie gehabt. Sie sagt, sie will sich für Frieden und Versöhnung einsetzen. Aber was ist das für eine Politik? Die zielt ja nicht auf Versöhnung ab, sondern auf Ausgrenzung ab. Sie macht das weiter, was die Militärs über Jahrzehnte in Myanmar gemacht haben, nämlich bestimmte Gruppen auszugrenzen, und das als Friedensnobelpreisträgerin. Das ist einfach eigentlich unvorstellbar gewesen, aber es deutete sich über die letzten Monate immer wieder an. Weil wir haben zum Beispiel beobachtet, dass im Wahlkampf, der Aung Sang Suu Kyi dann diesen großen Erfolg beschert hat, schön die NLD dafür gesorgt hatte, dass kein Muslim Kandidat wurde. Also Muslime sind gar nicht mehr auf den Kandidatenlisten für die Parlamentswahl vertreten gewesen.
Gessler: Das war die Partei, die jetzt Regierungspartei ist?
Delius: Genau, der größten Partei eben, von Aung Sang Suu Kyi. Sie hatte Angst vor den Populisten und Demagogen der buddhistischen Nationalisten, dass sie ihr vorwerfen würden, die Rohingya zu unterstützen. Daher hat sie erst gar keinen Moslem zu einem Kandidaten gemacht, was zur absurden Situation führt, dass die muslimische Minderheit heute insgesamt im Parlament Myanmars gar nicht vertreten ist, mit keiner einzigen Stimme. Und das ist einfach eine Unmöglichkeit für ein Land, das eben auch ein Vielreligionen-Land ist.
Gessler: Mehr Informationen zu den Rohingya und andere bedrängte Minderheiten auf der Homepage der Gesellschaft für bedrohte Völker unter www.gfbv.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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