Muslime und Hindus

Verbotene Liebe in Indien

21:57 Minuten
Eine Braut, die in einen kleinen Handspiegel schaut, aufgenommen während einer Massenhochzeit in Kolkata, Indien, am 14. Februar 2021
Eine unerreichbare Hindu-Frau? Knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Indiens sind Muslime. © imago images/Hindustan Times
Von Antje Stiebitz · 02.03.2021
Audio herunterladen
"Hindu First" - das ist das Mantra von Indiens Premier Modi. Den Muslimen dagegen wird vorgeworfen, sie verführten systematisch Hindu-Frauen, damit diese zum Islam übertreten. Deshalb werden interreligiöse Ehen jetzt per Gesetz kontrolliert.
Der Soundtrack der weltberühmten indischen Bollywood-Filme unterscheidet sich deutlich von der Realität in Indien.
"Wir sagen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir so viel Liebe atmen, durch Filme, Bücher und Poesie. Das ist so weit verbreitet und wir rühmen es. Aber in unserem Blut fließen Kaste und Religion."
Das sagt Asif Iqbal, Geschäftsführer der Organisation Dhanak, der sich für Paare mit unterschiedlicher Religion einsetzt

Sich verlieben jenseits von Kaste und Religion

Im Stadtteil Mayur Vihar in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. In einer ruhigen Gasse abseits der Straße, im ersten Stock eines Wohnhauses. Auf einem Blatt Papier an der Wand steht "Dhanak", das heißt auf Urdu "Regenbogen".
Die Organisation Dhanak hilft Paaren weiter, die sich über religiöse Grenzen und Kasten-Grenzen hinweg verliebt haben.
Ein Plakat, auf dem "Dhanak" steht, klebt an einer Holztür.
Interreligiöse Paarberatung: die Organisation Dhanak in Neu-Delhi.© Deutschlandradio / Antje Stiebitz
Gleich hinter der Eingangstür rechts führt eine Tür in einen Raum mit einem Sofa, zwei Stühlen und einem Schrank.
Auf dem Sofa sitzen die 23-jährige Varsha und der 24-jährige Adif. Sie schaut freundlich, er knetet sich nervös die Hände.
"Ich bin hier, weil wir in unseren Staaten nicht sicher sind. Wir könnten dort jederzeit umgebracht werden, weil sie Hindu ist und ich Muslim. Dort betrachten die selbsternannten religiösen Führer und die Regierung die Liebe von muslimischen Männern als eine große Sünde und Verbrechen."

Der Vorwurf des "Love Jihad"

Adif steigen die Tränen in die Augen, er ist aufgeregt.
"Ihre Eltern haben behauptet, dass ich sie entführt habe und haben den Fall als 'Love Jihad' angezeigt. Dabei habe ich sie nie dazu aufgefordert, zum Islam überzutreten. Wir wollen durch den Special Marriage Act heiraten, ohne Konversion."
Ein helles Sofa mit zwei braunen Kissen steht in einem Büro.
Das Sofa in den Räumen von Dhanak: Beratung ist für verfolgte interreligiöse Paare wichtig.© Deutschlandradio / Antje Stiebitz
Der Special Marriage Act von 1954 ist ein Gesetz des indischen Parlaments, dass eine standesamtliche Eheschließung für Menschen unabhängig von Religion und Glauben vorsieht.
Varsha bestätigt die Ausführungen ihres Freundes. Sie hat ihren Eltern am Telefon erklärt, dass sie aus freien Stücken mit Adif nach Delhi gekommen ist. Doch die haben ihr nicht geglaubt.
"Die Menschen in Indien sind gegen Muslime eingestellt. Das sollte nicht so sein. Wenn sich zwei Menschen unabhängig von Kaste und Religion lieben, dann haben sie das Recht ihren Lebenspartner auszuwählen und zu heiraten. Wir sollten dieses Recht bekommen."

Gerichtsbeschluss: Prüfung interreligiöser Ehen ab sofort

Varsha stammt aus dem Bundesstaat Madhya Pradesh in Zentralindien und Adif aus dem nördlich daran angrenzenden Uttar Pradesh. Sie gehören zu den ersten "Opfern" der neusten Gesetzgebung in Indien, die die sogenannte "interreligiöse Liebe" betrifft.
Das Höchste Gericht des Landes hatte im Januar erklärt, dass die neu verabschiedeten Gesetze gegen den sogenannten "Love Jihad" rechtens sind.
Die Idee, dass muslimische Männer hinduistische und christliche Frauen heiraten, um sie zum Islam zu bekehren, hat sich in vielen Köpfen der indischen Gesellschaft festgesetzt. Die neuen Verordnungen sehen vor, dass interreligiöse Ehen von nun an offiziell geprüft werden müssen.

Hass gegen die muslimische Minderheit?

Für Kritiker begünstigt das neue Gesetz nur den Hass gegen die muslimische Minderheit. Der Begriff des "Love Jihad" als eine systematische Form des Jihad tauchte in Indien zum ersten Mal im Jahr 2009 auf.
"Das Wort wurde interessanterweise nicht von der BJP oder dem RSS eingebracht. Es war ein katholischer Priester aus dem Bundesstaat Kerala, der ihn gebrauchte und zwar im Zusammenhang mit christlichen Mädchen. Muslimische Männer rauben christliche Mädchen."
Doch hindu-nationalistische Organisationen, wie Premier Modis amtierende Regierungspartei BJP sowie die radikale Kaderorganisation RSS hätten den Begriff sofort übernommen. Der indische Autor und Kolumnist Harsh Mander sitzt auf dem Stuhl in seinem Büro auffällig kerzengerade. Er setzt sich von Neu-Delhi aus schon lange für Menschenrechte ein.

Ein Paar wurde verprügelt und zur Polizei geschleift

Die Idee des "Love Jihad" habe beispielsweise an der Küste des südindischen Bundesstaates Karnataka eine ganze Bewegung hervorgebracht, sagt er.
"Sie rekrutierten Personal in Kinos, in Cafes und in Bussen. Ihr Job bestand darin, der Leitstelle sofort mitzuteilen, sobald ein muslimischer Junge mit einem Hindu-Mädchen auftauchte. Dann kam der Mob sofort, verprügelte beide und schleifte sie zur nächsten Polizeistation."
Ein älterer Herr mit kahlem Kopf, Brille und dunkelrotem Pulli steht in einem Hof vor einem Baum.
Das neue Gesetz kriminalisiere Beziehungen zwischen Hindus und Muslimen, sagt der Menschenrechtsaktivist Harsh Mander.© Deutschlandradio / Antje Stiebitz
Die Polizei habe dann die Eltern des Mädchens informiert, obwohl das damals noch durch kein Gesetz legitimiert war, so Mander. Die neuen Verordnungen hingegen, kriminalisierten solche Beziehungen.
Die Oppositionsparteien, die englischsprachige Presse Indiens sowie die internationale Presse bezeichnen den "Love Jihad" als eine Verschwörungstheorie der indischen Rechten gegen Muslime.
Der Begriff des "Love Jihad" selbst ist im Gesetz gar nicht verankert. Hier ist vom Verbot "ungesetzlicher Konversionen" die Rede. Die mit Gefängnis von ein bis zehn Jahren oder mit Strafzahlungen bis zu umgerechnet 570 Euro bestraft werden können.

Rechtsvertretung für interreligiöse Paare

Im Büro der Organisation Dhanak sitzen Gründer Asif Iqbal und zwei Mitarbeiter am Computer. Sie bereiten gerade eine größere Veranstaltung vor.
Dhanak stellt den Paaren mit unterschiedlicher religiöser Heimat nicht nur schützenden Raum zur Verfügung und hilft ihnen dabei ihre Rechte auszuschöpfen, sondern leistet auch Öffentlichkeitsarbeit. Iqbal verhandelt seit fünfzehn Jahren mit Polizei und Gerichten. Der hochgewachsene Mann weiß genau, wo es klemmt.
"Die größte Herausforderung ist die Familie. Wegen der Denkweise, der Klischees und aus Angst. Sie wissen, dass es schwierig für sie ist, eine Schwiegertochter eines anderen Glaubens zu akzeptieren."

Zur Religionsbarriere kommt das Kastensystem

Hinzu komme, dass die indische Gesellschaft durch alle Religionen hindurch vom Kastensystem durchzogen sei. Die höheren Kasten achteten darauf, dass zwischen hohen und niedrigen Kasten keine Ehen geschlossen würden. Und in Indien gehörten Muslime und Christen meist den unteren Schichten an. Oft seien die Familien mit der Wahl ihres Kindes sogar einverstanden, aber ihr soziales Umfeld sei dagegen.
"Sie wissen, dass sie identifiziert und in die Enge getrieben werden könnten. Sie könnten auch wirtschaftlich Schaden nehmen. Das kam schon vor."
Ein Mann in kariertem Hemd mit Brille und Schnauzer sitzt in seinem Büro vor dem Laptop und tippt.
"Die größte Herausforderung ist die Familie", sagt der Gründer der Organisation Dhanak, Asif Iqbal.© Deutschlandradio / Antje Stiebitz
Die hindu-nationalistische Politik, wie sie von der Regierungspartei BJP betrieben wird, verstärkt diese Vorbehalte. Yogi Adityanath, Ministerpräsident von Uttar Pradesh, ist dafür bekannt, dass er religiösen Hass schürt.

Eine Verschwörung gegen die indische Nation

"Das ist eine Warnung an alle, die ihre Identität und ihren Namen ändern um durch Täuschung mit der Ehre unserer Schwestern und Töchter zu spielen. Wenn sie das nicht ändern, dann wird es eine Begräbnis-Prozession geben."
Im Oktober letzten Jahres greift er in seiner Rede nicht nur das Vorurteil auf, dass Männer ihre muslimische Identität verbergen würden, um Hindu-Mädchen zu verführen. Sondern droht ihnen dafür auch den Tod an. "Love Jihad", behauptet Yogi Adityanath in einem Fernsehinterview, sei eine internationale Verschwörung gegen die indische Nation.
Asif Iqbal von der Organisation Dhanak bestreitet nicht, dass es vorkommen könne, das bei Ehen zwischen unterschiedlichen Religionen, der eine den Glauben des anderen annehme. Ein Grund dafür sei, dass für die Paare eine religiöse Hochzeit oft der schnellste Weg sei.
"Und das geschieht dadurch, dass einer der Partner konvertiert. Das ist normalerweise die Frau, so funktioniert unsere Gesellschaft."

"Es geht immer um die Kontrolle der Frauen"

Der Versuch, einen Religionswechsel zu verhindern, hat für den Iqbal vor allem mit dem Bedürfnis der Mächtigen nach Kontrolle zu tun.
"Wenn Muslime hier die Herrschenden wären, dann würden sie das Gleiche tun. Das hat nichts mit Hindus oder Muslimen zu tun. Es geht darum, wer die Macht hat und es geht um Kontrolle. Das Gleiche passiert in Bangladesch oder Pakistan. Es geht immer um die Kontrolle der Frauen."
Wie sehr patriarchale Strukturen Mädchen und Frauen kontrollieren, zeigt ein Gerichtsurteil von 2017 aus dem südindischen Kerala. Eine 24-jährige Studentin konvertierte zum Islam und heiratete einen Muslim.

Die Liebe über religiöse Grenzen hinweg wird schwieriger

Daraufhin entschied das Hohe Gericht, dass sie indoktriniert wurde und annullierte die Ehe. Dem Vater wurde gestattet, seine Tochter zu Hause unter Arrest zu halten. Erst der Oberste Gerichtshof von Indien hob das Urteil auf und bestätigte die Ehe wieder als rechtskräftig.
Das neue Gesetz gegen "ungesetzliche Konversionen" macht die Liebe über religiöse Grenzen hinweg nun noch schwieriger. Aber wo gibt es Zuflucht für Paare wie Adif und Varsha?
"Wir haben uns 2011 kennengelernt als ich meine Tante besucht habe. Wir haben begonnen miteinander zu sprechen und haben uns verliebt. Im Oktober haben unsere Familien davon erfahren, haben begonnen Druck auszuüben, damit wir jemanden anderen heiraten und haben uns nicht mehr erlaubt, das Haus zu verlassen. Sie wollten, dass ich jemand anderen heirate. Wir hatten keine andere Möglichkeit als wegzulaufen."

Das Ziel: eine gesetzliche Lösung finden

Die Organisation Dhanak versteckt die Paare nicht, sondern geht mit ihnen zur Polizei und strebt eine gesetzliche Lösung an. Rund einen Monat dauert es, den Fall zu prüfen. Dann wird die Zivilehe für einen Monat öffentlich ausgeschrieben, so schreibt es das Gesetz vor. Für die Paare ist das eine kritische Zeit, da innerhalb dieser Frist gegen die Verbindung Einspruch erhoben werden kann.
"Es dauert fast zwei oder drei Monate für ein Paar, die Heiratsurkunde zu bekommen."
Nicht jedes Paar, so Asif Iqbal, hält diesen Prozess durch. Insbesondere, wenn sie ihre vertraute Umgebung hinter sich lassen und in Delhi Fuß fassen müssen. Der Dhanak-Gründer lebt selbst in einer interreligiösen Ehe und er weiß, dass die Heiratskunde nicht das Ende der Schwierigkeiten bedeutet.

Die Gesetze gegen die "ungesetzlichen Religionswechsel" traten in Uttar Pradesh am 28. November 2020 in Kraft. Einen Monat später veröffentlicht der "Indian Express" eine erste Bilanz: Die Polizei hatte 14 angebliche "Love Jihad"-Fälle aufgenommen und 49 Personen in Arrest genommen. In 13 Fällen sollte die Frau zum Islam konvertiert werden, in einem Fall zum Christentum.

Nur in zwei Fällen war die Frau selbst Beschwerde-Führerin. In zwölf Fällen zeigten die Angehörigen an. Bis auf einen Fall waren die Betroffenen erwachsene Frauen. In acht Fällen sagte das Paar, dass sie Freunde sind oder in einer Beziehung leben. In zwei Fällen waren die Frau oder beide bereits mit einer anderen Person verheiratet. In zwei Fällen handelt es sich um eine Anzeige wegen Vergewaltigung. Und eins der Pärchen erklärte, dass es verheiratet sei.

Mehr zum Thema