Musikproduzent Arca

So klingen die Ängste unserer Zeit

Der Musikproduzent Alejandro Ghersi, besser bekannt als Arca
Der Musikproduzent Alejandro Ghersi, besser bekannt als Arca © Arca
Klaus Walter im Gespräch mit Andreas Müller · 23.12.2015
Kanye West, Björk, Kelela oder FKA Twigs – alle wollten sie mit Arca zusammenarbeiten. Dabei ist die Musik des 25-Jährigen alles andere als leichte Kost. Was macht den gebürtigen Venezolaner zu einem der zurzeit gefragtesten Produzenten?
Tanzen kann man zu der Musik von Arca, der bürgerlich Alejandro Ghersi heißt, nicht – zu zerschossen sind die Beats. Und auch wenn man die Musik nur hören will, ist das mitunter ein anstrengendes Unterfangen. Aber Musikerkollegen und die Presse feiern den 25-Jährigen. Das liegt unter anderem daran, dass Arcas Musik die Ängste unserer modernen Welt zum Klingen bringe, meint der Musikjournalist Klaus Walter. Das aktuelle Album des in London lebenden Künstlers heißt "Mutant" – nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit Körper- und sexuellen Identitäten, die Arca in seinem Musikclips auch visuell umsetzt.
Andreas Müller: Der Musikjournalist Klaus Walter ist mir jetzt zugeschaltet. Schönen guten Tag. Was ist dieser Arca denn überhaupt für ein Typ?
Klaus Walter: Ja, guten Tag erst mal. Wie Sie sagen, er ist 25, und damit ist er im engeren Sinn des Wortes ein Digital Native, also einer, der buchstäblich im Internet aufgewachsen ist, der nicht mehr den Unterschied macht zwischen dem Leben im Netz und einem Leben außerhalb des Netzes, der auch seine musikalischen Freundschaften und auch andere zuerst im Netz schließt.
Und diese Existenz, denke ich, spiegelt sich in seiner Musik. Es gibt ein schönes Wort von der Musikerin Holly Herndon, kalifornische Laptop-Künstlerin. Die hat mal sinngemäß gesagt: Gefühle, die man bei einem Trennungsgespräch über Skype hat, die sollten nicht mit derselben Musik transportiert werden wie sie vielleicht zu einer Milkshake-Bar in den 50er-Jahren gepasst hätte. Und das trifft es ganz gut, finde ich. Deswegen muss die Musik von Arca jetzt anders klingen als ein Weihnachtslied von Helene Fischer oder so eine Bombast-Ballade von Adele.
Andreas Müller: Das ist ein Dickicht aus Soundschichten, Musik, in der es drunter und drüber geht. Und das ist eigentlich nicht neu. Das gab es zum Beispiel auch bei Aphex Twin, Mitte der 90er, wenn auch ein bisschen anders geartet. Was genau macht Arca denn nun zum Produzenten der Stunde?
Klaus Walter: Na, das mit dem Produzenten der Stunde, das wird ja schnell mal ausgerufen von der Musikpresse. Tatsächlich hat Arca Aphex Twin genannt als wichtigen Einfluss, auch Squarepusher, der in den 90ern ähnliche Sachen gemacht hat. Das "Groove"-Magazin schreibt: "Er zeichnet mit düster futuristischen Abgründen die Angst erfüllte Wirklichkeit unserer modernen Welt nach." Das klingt ganz gut.
Aber ich würde weniger sagen, dass er sie nachzeichnet eher als dass seine Musik solche Ahnungen evoziert, solche Ängste vielleicht zum Klingen bringt. Man könnte vielleicht von einem Verstör-Effekt sprechen. Die Musik erinnert uns daran, dass die Welt eben komplexer ist als in einem Song von Adele. Dass wir uns also nicht so begnügen sollten mit so einfachen Lösungen. Das ist, glaube ich, das entscheidende Andere an Musik von Arca.
Andreas Müller: "Mutant" heißt ja diese Platte von ihm. Auf dem Cover ist eine Art Knetfigur abgebildet – mit einem Menschenkopf, aus dem Stier- oder auch Teufelshörner entwachsen, der Körper dicklich verformt. Vom "Verflüssigen der Unterschiede" schrieb die Musikzeitschrift "Spex". Das scheint ganz gut zur Musik zu passen.
Klaus Walter: Ja, das trifft es ganz gut. Das korrespondiert ja auch mit der Lebenswelt von Arca und mit dieser flüssigen Identität, oder vielleicht besser: Identitäten. Alejandro Ghersi alias Arca hat ja alles andere als eine Standard-Biografie: Sohn eines Investment-Bankers aus Venezuela, in der Kindheit schon rumgereist, in Connecticut gelebt, dann zurück nach Caracas. Dort nennen sie ihn Gringo.
Ausschnitt aus dem Album-Cover "Mutant" von Arca
Ausschnitt aus dem Album-Cover "Mutant" von Arca© Mute Germany
Er hat mal gesagt, er fühlt sich überall als Außenseiter, auch weil er schon als Kind früh spürt, dass er nicht der Heteronorm entspricht. Also er spürt etwas, was sich dann später als seine Homosexualität rausstellen sollte. Das sind alles Aspekte, die in dieser Musik sich wiederfinden und die diese Musik so sehr speziell machen, und eben, wie gesagt, diese künstlichen Lebenswelten: Er lebt lange in einer Gated Community, also in ummauerten, bewachten Siedlungen, in denen sich die Reichen vor den weniger Reiche schützen. Und ich denke, es ist verlockend, aus dieser Biografie Rückschlüsse auf die Musik zu ziehen.
Andreas Müller: Wie geht Arca mit dem Verhältnis zwischen Körper und elektronischer Musik um? Dieses, was Sie da eben geschildert haben, irgendwann nicht mehr genau zu wissen, da ist etwas im Fluss. Und was sind das für Identitäten, die er uns da in seiner Musik und auch in ihrer visuellen Aufarbeitung präsentiert?
Klaus Walter: Er hat eine Figur. Es gibt eine Kunstfigur namens Xen. So heißt auch sein erstes Album von 2014. Das ist eine Figur, die auch in einem Video zu sehen ist, dass Kanda produziert hat. Jesse Kanda, das ist Arcas quasi kreativer Partner. Da sehen wir so eine ganze bizarre Figur, eine nackte Frau, so einen Cyborg-Frau, mit dem Rücken zum Zuschauer tanzt sie in einem kahlen Raum. Sie sieht eigentlich aus wie eine aus der Form geratene, deformierte Grace-Jones-Figur, wackelt mir ihrem Hintern, was natürlich in vielen Hip-Hop-Videos auch vorkommt. Es ist eine sehr zwiespältige Figur. Und es ist quasi die pangeschlechtliche Projektion von Arca, hat er mal gesagt. Schon in frühester Kindheit hat er sich diese Figur quasi ausgedacht, mit acht Jahren. Das war sozusagen einerseits die Faszination für das weibliche Geschlecht und die aufkeimende Homosexualität in einer Figur. Er hat selbst gesagt, sie war meine Kindheitsflucht.
Andreas Müller: Zum Abschluss: Wie kann man seine Arbeit einordnen? Ist er Teil einer neuen Generation von Elektro-Musikern, die ähnliche Ansätze teilt? Oder ist er mehr ein Einzelkämpfer?
Klaus Walter: Das ist schwer zu sagen. Also, Einzelkämpfer sind ja heute viele einfach durch ihre Produktionsweise: dass man sich eben nicht mehr im Studio trifft und jeder bringt sein Instrument mit, sondern viele produzieren sehr einsam. Insofern sind sie Einzelkämpfer. Und was Arca auszeichnet, ist, glaube ich, das, was er mal gesagt hat im Interview: "Sobald die Leute etwas von mir erwarten, werde ich das Gegenteil tun." Und solange er das Gegenteil tut, bleibt er vielleicht unberechenbar. Ich glaube, er ist einfach schwer auszurechnen. Er bleibt so ein Rätsel. Und wenn er keins mehr ist, naja, dann haben wir vielleicht auch kein Interesse mehr an Arca.