Musik von heute plärrt, kreischt und fiept

Von Christine Kewitz · 05.08.2013
Die Musik von heute hört sich anders an als noch vor Jahrzehnten. Ihr fehlen die Bässe, der Klang ist dünner – denn so kann der Sound von Smartphones besser wiedergegeben werden. Experten kritisieren, dass Lieder zur reinen Hintergrundberieselung verkommen.
So klingt Musik heutzutage. Aus Handylautsprechern, iPod-Dockingstationen und Laptopboxen. Es plärrt, es kreischt, es fiept. Seit den Hochzeiten des Hifi in den 70er Jahren ist der gute Klang als Komponente des Musikkonsums immer unwichtiger geworden.

Obwohl von technischer Seite her zumindest theoretisch eine unglaublich hochauflösende Tonqualität möglich wäre, sind wir bei mp3 und dem Kreischen von Handyboxen angelangt. "Was ist eigentlich noch der Wert von Musik?" fragen die Musiker Hans Platzgumer und Didi Neidhart in einem Essay. Titel: "Musik=Müll". Hans Platzgumer:

Platzgumer: "Irgendwann ist mir dann klar geworden, dass eigentlich unsere ganze Musik heutzutage in der Gesellschaft - wie sie wahrgenommen wird - eigentlich als Funktionsmusik, als Gebrauchsmusik dient. Sie muss immer ständig verfügbar sein, ihr Wert ist gleich Null, weil sie immer gratis auf Klick ganz schnell hier sein muss und sie hat eigentlich nur uns zu unterstützen in unseren Launen und in dem Gebrauch, den wir gerade für sie ausgedacht haben, aber dieser autonome wirkliche Wert von Musik ist in unserer Gesellschaft eigentlich extrem verloren gegangen."

Musik als Hintergrundberieselung. Viele Songs werden extra für die Anforderungen von Minilautsprechern mit beschränkter Wiedergabequalität produziert. Kaum Bässe, viele Höhen, dünner, aber eingängiger Sound.

Aufgeblasene MP3s dieser Art sind auch auf guten Boxen kein Genuss für die Ohren. Doch die Botschaft "Hände in die Luft und Party" kommt durch. Über Minibrüllwürfel und High End Boxen.

Weil heute im Prinzip jeder Musik produzieren kann, kommt so viel wie nie auf den Markt. Je eingängiger und handykompatibler der Refrain und je schriller und abgefahrener die Effekte, desto größer die Erfolgsaussichten. Didi Neidhart:

"Die Nullerjahre sind wahrscheinlich das erste Jahrzehnt, wo es ganz schwer ist, so Jahressampler zu machen wie wir sie kennen: die Hits der 70er, die Hits der 80er, die Hits der 90er. In den Nullerjahren ist alles so zerspragelt und man hat total viele Mikrotrends. Früher war es so, wenn man ein Jahr nach hinten war, wars schon kompliziert. Jetzt kanns sein, dass die Musik die im Jänner super war, im April schon total out ist, weil's schon wieder was anderes gibt."

Die sogenannte geplante Obsoleszenz, die technische Geräte früher als nötig kaputt gehen lässt, hat die Popmusik erreicht. Es geht nicht mehr um den Song, es geht um den Moment. Gleichzeitig ist auch das Initiationsritual verschwunden, das die Anschaffung der ersten Stereoanlage bedeutete.

Hannes Bieger ist Produzent, Dozent und Autor. Er glaubt, dass es heute einen Mix aus Geräten gibt - nicht nur für den Musikkonsum. Man guckt mal eben auf dem Tablet ein Video, dann schreibt man am Rechner eine Mail, zwischendurch beschäftigt man sich auf dem Smartphone mit Facebook und hört währenddessen auf einem der Geräte MP3s oder legt eine CD ein. Falls man noch welche hat:

"Ich denke, dass es heute einfach ein sehr diverser Medienkonsum ist, wo die Stereoanlage als Musikschrein einfach keine große Rolle mehr spielt. Sondern die große Aufregerfrage eher ist, ob das iPhone einen neuen Dock-Connector hat und die alte, kleine, mobile Anlage keinen Steckplatz mehr hat, wo man das neue Telefon reinstecken kann."

Mit der kürzeren Aufmerksamkeitsspanne für Musik und dem vernachlässigten Klangerlebnis, sinkt auch der Ehrgeiz der Produzenten, qualitativ hochwertige Songs zu produzieren. Das oft geringe Produktionsbudget tut ein Übriges.

Doch Hannes Bieger ist kein Kulturpessimist. Seiner Meinung nach ist ein richtig guter Song auf jedem Abspielgerät ein richtig guter Song. Zum Beispiel die Produktionen von Frank Sinatra, die trotz dynamischer, anspruchsvoller Aufnahme auch von Handylautsprechern nicht kaputt zu kriegen sind.

Musik steht heute im Zeichen des Loudness War. Durch möglichst starke Kompression vermitteln die Songs maximale Lautstärke. Das zerstört zwar die Dynamik und Vielschichtigkeit, erreicht aber auch gewisse Effekte. Hannes Bieger:

"Zum Beispiel auch in dem Sinne, dass das ja auch eine künstlerisch wertvolle Aussage sein kann in der Musik, in der Produktion selber schon den Klang einer völlig aufgedrehten Autostereoanlage zu simulieren, weil das ein gewisses Gefühl transportiert. Und man kann da sicherlich sagen, das klingt nach objektiven Kriterien schlecht, aber es bringt auch ein gewisses Gefühl rüber, was definitiv auch seine Gültigkeit hat."

Dass das Rezept, je lauter, desto erfolgreicher nicht immer funktioniert, bekamen Metallica bei "Death Magnetic" zu spüren - das zeitweise als das lauteste Album aller Zeiten galt. Um dieses Ziel zu erreichen nahm die Band Verzerrungen in Kauf, die klingen, als hätte man mit Stricknadeln die Lautsprechermembranen zerstochen. Daraufhin baten 10 000e Fans in einer Petition die Band, das Album in besserer Klangqualität herauszubringen.

"Das sind immer wieder viel zitierte Beispiele, die zeigen, dass es bei den Hörern ein Bewusstsein für Klang gibt und dass, glaube ich, wir mittlerweile an einem Punkt sind, wo dieser Loudness War um möglichst geringen Dynamikumfang und möglichst hohen, konkurrenzfähigen Pegel auch an so nem Punkt angekommen ist, wo so ein Gleichgewicht des Schreckens herrscht wie im Kalten Krieg, wo alle die selben Audionuklearwaffen haben und man merkt, dass man damit auch nicht weiter kommt."

Die Verantwortung für die Schuld am schlechten Sound lässt sich also nicht immer dem Konsumenten andrehen, der angeblich an keiner besseren Qualität interessiert ist. Doch wenn eine Generation herangewachsen ist, die keinen vollen, dynamischen Klang mehr kennt, muss die Definition von "gutem Klang" wohl neu überdacht werden.

Hans Platzgumer/Didi Neidhart: "Musik ist Müll"
Limbus Verlag, Insbruck 2012
128 Seiten, 10 Euro