Musik und politischer Aktivismus

Elektropop für kurdische Revolutionärinnen

Kurdische Kämpferinnen in einem Militärcamp südlich von Kirkuk; Aufnahme vom September 2014
Kurdische Kämpferinnen in einem Militärcamp südlich von Kirkuk; Aufnahme vom September 2014 © picture alliance / dpa / Christophe Petit Tesson
Von Jutta Petermann · 14.06.2016
Die Kompilation "Aufmerksamkeit und Solidarität mit der Revolution in Rojava" führt ins Kriegsgebiet im Norden Syriens. Rund 7000 Kurdinnen kämpfen hier gegen Krieger des sogenannten "Islamischen Staates". Und für diese Frauen haben Künstlerinnen nun Musik gemacht.
"Da gab es einen Clip von einer Frau, die verletzt wurde in einem Kampf in Kobane und die wird verarztet und sie singt dieses wichtige Lied. Und es war so eine Schlüsselstelle für uns, so eine musikalische Brücke auch, weil sie ihre Stimme und dieses Lied benutzt, um den Schmerz auszuhalten. Aber auch diese Hoffnung, dass sie Kobane, dass es erfolgreich war, die haben ja gesiegt da. Die ist aber jetzt gefallen, also die Frau lebt nicht mehr, und die ist jetzt in vielen unserer Lieder gesampelt, das ist schon sehr bewegend."
Antye Greie hat die Kompilation für die Frauen in Rojava zusammengestellt. Das Material mit der singenden Kämpferin Viyan Peyman, die die Stadt Kobane mit befreit hat, bekam die Musikproduzentin und Klangkünstlerin auf der letzten Clubtransmediale im Januar in Berlin von Aktivistinnen aus Rojava. Die Komponistin und Klangkünstlerin Miranda de la Frontera machte daraus diesen Track. Gut 60 Musikerinnen und Künstlerinnen folgten dem Aufruf Antye Greies und des Netzwerks "female:pressure" Musik und Klangkunst zum Thema Rojava zu komponieren.
"Im Allgemeinen sind das Menschen, die sich mit dem Zuhören beschäftigen und durch diese Sensibilität entsteht vielleicht nochmal ein anderer Aktivismusansatz. Zum Beispiel in diesem Sampler haben sich ja viele Frauen Originalstimmen ausgewählt und Interviews oder auch Youtube-Aufnahmen: Als elektronischer Musikproduzent oder Soundkünstler kann man daraus Klangskulpturen oder Geschichten formen und das bietet sich dadurch an."
Einige Stücke sind Ton- und Geräuschcollagen unterlegt, mit Beats und elektronischen Sphären, andere funktionieren als reine Trance-Clubtracks mit orientalischen Gesängen.

Seit März sind die kurdischen Gebiete autonom

Rojava liegt im Norden Syriens, es bezeichnet die seit März dieses Jahres autonomen kurdischen Gebiete. Rund 7000 Frauen kämpfen dort an der Waffe gegen den sogenannten "Islamischen Staat". Es gibt gemischte aber auch reine Frauenarmeen. Ein immer wiederkehrendes Thema in den zwölf Tracks der Kompilation - aber nur selten trafen Musikerinnen und Kämpferinnen direkt aufeinander.
"Sky Deep ist 'ne Techno DJ und Produzentin, die hat eine Frau interviewt, die erst kürzlich in Rojava war. Also damit hatten wir einen richtigen O-Ton und daraus hat sie ein ganz spannendes Stück gemacht, wo sie auch erklärt, dass die Frau mit der Waffe in der Hand eine Verteidigungseinstellung ist und es nicht die Wahl dieser Frauen ist Gewalt auszuüben."
Die kämpfenden Frauen wissen um die Angst der radikalen Islamisten, von einer Frau getötet zu werden. Militärische Verherrlichung aber liegt "female:pressure" fern. Antye Greie sagt, sie bewundern auch und vor allem die friedliche Geschlechterrevolution in Rojava, die parallel zum bewaffneten Kampf stattfindet und sich sozial und politisch in der dortigen kurdischen Gesellschaft niederschlägt.
"Die haben sehr interessante Wege gefunden, zum Beispiel Kopräsidentschaft, also das es immer zwei Präsidenten gibt für jeden Verein, und es ist immer ein Mann und eine Frau. Und es muss immer eine Geschlechterverteilung von 60/40 stattfinden, also in beide Richtungen, das sind so Grundsätze, die sie versuchen durchzusetzen."
Fünf Euro kosten die zwölf Tracks der Kompilation auf Bandcamp mindestens, man kann auch gerne mehr geben. Zu allen Tracks gibt es Hintergrundinfos online hinzu. Das Geld fließt in die Errichtung eines Frauen-Schutzdorfes in Rojava.
"Man muss bedenken, die Frauen leben in einem Kriegsgebiet, in einem hauptsächlich islamischen Kriegsgebiet. Und die Aussichten für diese Frauen und ihr Leben sind sehr schwierig. Es gibt Sex-Sklaverei, es gibt Massenmorde an Frauen. Meistens können auch die Frauen nicht flüchten. Die meisten, die flüchten, sind Männer, ökonomische Schwierigkeiten - also, die Frau hat eine besonders schwere Stellung in so einem Krieg."
Rebellen der Kurdenmiliz YPG im Training im Militärkrankenhaus von Kobane.
Rebellen der Kurdenmiliz YPG im Training im Militärkrankenhaus von Kobane.© picture-alliance / dpa / Yasin Akgul