Musik-Reihe 1966

Der Pop wird erwachsen

Die amerikanische Rockgruppe "The Byrds" bei ihrer Ankunft auf dem Londoner Flughafen im August 1965.
"Eight Miles high" von den Byrds wird 1966 quasi in der Sekunde seines Erscheinens gefeiert als Meilenstein des psychedelischen Rock. © picture-alliance / dpa / DB PA
Von Klaus Walter · 17.10.2016
Höher! Schneller! Weiter! So funktioniert Pop 1966. Er wird erwachsen und tut Dinge, die Erwachsene tun: Sex haben, Drogen nehmen, diskutieren, demonstrieren. 1966 ist Pop mehr als bloß eine Sache für Teenager.
1966 ist das Jahr der Explosionen. Und der Expansionen. Bob Dylan veröffentlicht "Blond On Blonde", eines der größten Alben der Pop-Geschichte. Und eins der längsten. "Blond On Blonde" hat eine Spielzeit von fast 73 Minuten, es ist eines der ersten Doppelalben. Mit einem Singlehit.
Alle müssen high werden, Everybody must get stoned, der Refrain von Bob Dylans Top Ten Hit "Rainy day women 12 & 35". Frauen für regnerische Tage Nummer 12 & 35? Der Titel gibt Rätsel auf und Dylan selbst tut nichts, um das Rätsel zu lösen. Im Gegenteil: in den wenigen Interviews, zu denen er sich herablässt, wirft er Nebelkerzen. "Mathematisch" seien seine Lieder, so Dylan in einem denkwürdigen Interview 1966.
"My songs are all mathematical songs, you know what that means?"
Nein, der bedauernswerte Interviewer weiß nicht, was das mit der Mathematik bedeutet. Für die Hobby-Dylanologen rund um den Globus stellen allein schon die beiden Zahlen im Songtitel eine Herausforderung dar: Frauen für regnerische Tage Nummer 12 & 35. Eine beliebte Interpretation läuft über die Multiplikation: 12 mal 35 macht 420. Und 420 ist in einem damals gängigen Polizeicode die Codenummer für: Cannabis, Gras, Mariuhana.

Dylan genoss die Kaffeesatzleserei in seinen Songtexten

Dylan selbst macht sich einen Spaß daraus, diese Kaffeesatzleserei noch anzuheizen mit mehr oder weniger absurden Aussagen. Besonders gern macht er sich lustig über die Bezeichnung "Protestsänger", die ihm von den Medien verpasst wurde, quasi als Berufsbezeichnung. "Rainy Day Women" sei so ein mathematischer Protestsong, fabuliert Dylan. Es gehe irgendwie um Minderheiten, Orientalen, das sei so ein mexikanisches Ding, sehr protesty, eins der protestiesten Dinge, gegen die er jemals protestiert habe in seinen Protestjahren.
Everybody must get stoned, es war Bob Dylan, der die Beatles 1964 mit Marihuana bekannt gemacht hatte. Zwei Jahre später hinterlässt eine legale Droge ihre Spuren im Pop. Eine noch legale, so der britische Kritiker Jon Savage.
"Zu Beginn des Jahres 1966 war LSD noch legal. Verboten wurde es erst im Laufe des Jahres. Das lag auch an Drogensongs wie 'Eight Miles high' und '19th nervous breakdown' und an der Tatsache, dass sowohl die Beatles wie auch die Rolling Stones und Bob Dylan bereits 1965 LSD genommen hatten. Es wurde dann im Laufe des Jahres 1966 verboten."
"Eight Miles high", einer der Schlüsselsongs 1966, von den Byrds aus Los Angeles. Ein Quantensprung, und das aus zwei Gründen. Da ist einmal die Musik: Das Summen, Surren und Dröhnen der Gitarren ist für die damalige Zeit unerhört. Die Byrds überführen zwei musikalische Strömungen ins Pop-Format, die bis dahin diskreditiert sind als elitärer Stoff für Kultursnobs: Free Jazz und klassische Musik aus Indien. Die Paten von "Eight Miles high" sind John Coltrane und der Sitar-Pionier Ravi Shankar.

Radiosender boykottierten Kultsong "Eight Miles high"

Der Song von den Byrds wird quasi in der Sekunde seines Erscheinens gefeiert als Meilenstein des psychedelischen Rock. Auch der Begriff Raga Rock kursiert. Wegen der indischen Einflüsse. Und dann ist da noch der Text: Acht Meilen hoch…
"Eight Miles high" wird zum Kultsong, schafft es allerdings weder in England noch in Amerika in die Top Ten (ein "Hit" schafft es m.E. per Definition in die Top Ten). Das Radio spielt nicht mit. Die meisten Sender in den USA setzen "Eight Miles high" auf die schwarze Liste, zu viele Drogen-Anspielungen im Text. Dabei ging es doch nur um ein Flugzeug über London, erklärt Roger McGuinn, Sänger und Schreiber der Byrds.
"Es geht um London, regengraue Stadt, berühmt für ihren Sound. Acht Meilen hoch, das bezieht sich auf das Flugzeug." (ja, klar, Flugzeug ;)
Ein paar Jahre später sollten die Byrds zugeben, dass "Eight Miles High" sich auch um drogenverstärkte Höhenflüge dreht. 1966, ein Jahr der Explosionen im Pop, so das Fazit von Jon Savage.
"Plötzlich geht es um die ernsten Dinge des Lebens, nicht nur Teenagerliebe. Die Hits von Bob Dylan, die Bürgerrechtsbewegung, der Triumph der schwarzen Musik, der Einfluss von Drogen – alles ändert sich schlagartig 1966."
Und was sind die Folgen dieses explosiven Jahres. Fünfzig Jahre später bekommt Bob Dylan den Nobelpreis, für Literatur. Und am anderen Ende der Erde werden fünfzig Jahre später Frauen gesteinigt, für außerehelichen Sex.
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