Mozart - ein Komponist wird gefeiert

Von Rolf Schneider · 15.01.2006
Das Jahr 2005 bescherte uns runde Lebensdaten von Friedrich Schiller, Hans Christian Andersen, Thomas Mann und Adalbert Stifter. Jedes Mal war der mediale Aufwand beträchtlich. Es gab Biografien, Veranstaltungen und Werkausgaben.
Das Jahr 2006 wird uns mit runden Lebensdaten von Wolfgang Amadeus Mozart, Heinrich Heine und Bertolt Brecht verwöhnen. Im Unterschied zu Stifter oder Schiller und in Analogie zu Thomas Mann besteht bei keinem der drei Genannten ein kommunikativer Nachholbedarf, bei Mozart am allerwenigsten.

Dessen 250. Geburtstag fällt bereits in den Januar. Die sommerlichen Festspiele werden, wenn sie dann anheben, das Geburtstagskind gleichwohl ausführlich feiern, denn das gesamte 2006 wurde zum Mozartjahr ausgerufen. Des Tonsetzers Geburtsstadt will seine sämtlichen Opern zeigen, mal in älteren, mal in neuen Inszenierungen. Radiostationen wollen täglich einen Mozart-Brief senden, vorgelesen vom Burgtheaterstar Klaus Maria Brandauer. CD-Boxen mit Mozarts Gesamtwerk stapeln sich auf den Regalen der Musikalienhandlungen. Landauf landab sollen Mozarts sinfonische Highlights die Konzertsäle füllen.

Die Liste der Mozart-Bücher wird weiter wachsen, Wolfgang Amadeus gilt als die meist beredete Person der Musikgeschichte nach Richard Wagner. Derzeit begibt sich ein neues Dutzend Titel auf den Weg in die Sortimente und bietet unter anderem Extravaganz. Ein studierter Ägyptologe beugte sich über die Figuren der "Zauberflöte" und entdeckte zahlreiche bislang noch nicht bedachte Motive und Mythologeme, alle wurzelnd im alten Pharaonenreich. Der Mann vernachlässigt, dass der Operntext nicht von Mozart, sondern von Schikaneder stammt, und der steht in der Tradition des Zaubermärchens und der Wiener Vorstadtposse, die immer eine lustige Figur auftreten lassen, im Fall der "Zauberflöte" heißt sie Papageno. Das protestantische Deutschland hatte sich, mit Hilfe des Theaterprofessors Gottsched aus Leipzig, des Hanswursts für alle Zeit entledigt.

Möglicherweise wird neuerlich auch der durchaus überflüssige Streit anheben, wie viel Österreich denn in und an Mozart sei. Vater Leopold stammte aus Augsburg und kam erst als Student nach Salzburg, das damals noch nicht zu Österreich gehörte. Dies geschah erst durch die entsprechende Übereinkunft des Wiener Kongresses. Zuvor besaß Salzburg eine etwas verzwickte Autonomie, garantiert unter anderem durch Bayern, also jene Region, in der auch Augsburg liegt. Der Streit, welche deutschsprachige Nation Mozart für sich beanspruchen dürfe, ist so müßig wie der ähnlich geartete Streit um den mit niederländischen Wurzeln zu Bonn geborenen und in Wien tätigen Beethoven.

Nun galt, noch bis tief ins Zwanzigste Jahrhundert hinein, der Schöpfer des "Fidelio" als das überhaupt größte unter den musikalischen Genies. Sein tragischer Ernst, seine sinfonische Klanggewalt wurden als Krönung alles kompositorischen Wirkens empfunden. Ihm gegenüber erschien Mozart als heiterer Rokoko-Bube, verspielt selbst in den Sphären musikalischer Seriosität. Solches Urteil war albern und falsch, was doch nicht verhinderte, dass es tief im kollektiven Bewusstsein verharrte. Heute steht in den Rankings Mozart mindestens neben, wenn nicht über Beethoven.

Seine Popularität ist außerordentlich. Seine sämtlichen Bühnenwerke, auch die frühen, selbst die vergleichsweise spröden Schöpfungen auf dem Gebiet der opera seria, werden fleißig gespielt. Così fan tutte, lange Zeit vernachlässigt, wird heute als ranggleich mit "Don Giovanni" empfunden. Die vor allem von Nikolaus Harnoncourt angeregte historische Aufführungspraxis mit alten Instrumenten hat Schlagern wie der Jupitersinfonie ein überraschend anderes Klanggewand beschert.

Die Malerei hat sich Mozarts bemächtigt, mit allerlei Porträts und Illustrationen. In der schönen Literatur gibt es Mörikes Novelle um die Uraufführung von Don Giovanni und die verschiedenen Texte um Mozart und Salieri, von Puschkin bis Shaffer, dessen viel gespielter Bühnenreißer noch zu einem erfolgreichen Spielfilm wurde. Es gibt ein Musical mit Mozart als Helden, dessen Partitur idiotischerweise keine Mozartkomposition bietet; inszeniert wurde es im Theater an der Wien, einst Schikaneders Bühne, der hier die Uraufführung der "Zauberflöte" ausrichtete.

Dies alles wird die nächsten zwölf Monaten beredet, beschrieben und präsentiert werden. Es könnte sein, dass man im Dezember 2006 den Namen Mozart nicht mehr hören mag. Der warnenden Beispiele sind hier etliche. Schiller wurde gerade erst ebenso zu Tode gefeiert wie im selben Jahr das Ende des Zweiten Weltkriegs. Unser Kulturbetrieb hat eine grauenvolle Neigung zum Event, das dem Höhepunkt alsbald den tiefsten Fall folgen lässt, mit Dauerschäden für den Fallenden. Droht dies auch dem Komponisten mit den tatsächlichen Vornamen Johannes Chrysostomos Wolfgangus Theophilus? Wir werden es sehen.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Schriftstellerkollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u. a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Rolf Schneider schreibt u.a. auch für eine Reihe angesehener Zeitungen und äußert sich insbesondere zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen.