Mouhanad Khorchide über mangelnde Verständigung

Islamische Fundamentalisten profitieren von der AfD-Rhetorik

Fallback Image
Muslime sollten auf dem Katholikentag stärker mit ihrer Kunst und Musik vertreten sein, sagt Mouhanad Khorchide. © Deutschlandradio
Mouhanad Khorchide im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 14.05.2018
Der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide wirft der AfD vor, durch Polarisierung die Gesellschaft zu spalten. Und das würde auch islamischen Fundamentalisten in die Hände spielen. Khorchide plädiert für einen stärkeren Austausch über Kultur und Alltagsthemen.
Anne Françoise Weber: Nicht nur die Ökumene war beim Katholikentag ein wichtiges Thema, sondern auch der Dialog mit anderen Religionen, und allen voran der Islam. Da war man hier in Münster auch am richtigen Ort, denn hier ist eins der Zentren für Islamische Theologie angesiedelt. Geleitet wird es von Mouhanad Khorchide, er ist Professor für islamische Religionspädagogik und hier jetzt bei mir im Ü-Wagen. Schön, dass Sie hier sind! Herr Khorchide, es scheint ja wirklich ein großes Interesse an diesem muslimisch-christlichen Dialog zu geben. Sie waren allein bei fünf Veranstaltungen auf dem Podium – da ging es um Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen hier und in Nordghana, es ging um Jesus im Koran und um Ästhetik und Poesie des Koran. Haben Sie denn da gleichberechtigte Gespräche mit Ihren christlichen Gesprächspartnern führen können und ist es das Gleiche, ob Sie so eine Veranstaltung auf der Buchmesse oder auf dem Katholikentag machen?
Mouhanad Khorchide: Definitiv hatte ich gleichberechtigte Gespräche. Der Kirchentag – ob jetzt der Katholikentag oder der Evangelische Kirchentag, sind die zwei einzigen Anlässe, die mir bekannt sind, wo wir Muslime auch über islamisch-theologische Themen sprechen, nicht über den Islam gesprochen wird, sondern wir wirklich auch ein Stück in die Tiefe gehen, also mit einem Unterschied zur Buchmesse. Auf der Buchmesse sind meist die Gespräche eher an der Oberfläche. Man stellt hier Bücher vor oder spricht Themen gerade nur sehr oberflächlich an, aber Sie haben es sehr schön angedeutet, wir sind hier etwas in die Tiefe gegangen. Allein in meinen Veranstaltungen über Themen, die uns alle interessieren – Jesus im Koran, wie lesen wir heute auch den Koran, die Ästhetik des Koran, das sind zum Teil auch theologische Themen. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit, die wir Muslime, auch gerade muslimische Theologen haben, uns am Kirchentag einzubringen.

Ganze Bandbreite islamischer Positionen sollte vertreten sein

Weber: Hier in Münster gibt es eine große Moschee der Ditib, also des Islamverbands, der der türkischen Religionsbehörde Diyanet nahesteht oder von ihr abhängt – darüber reden wir jetzt mal nicht –, aber auf jeden Fall damit zusammenhängt. Es gab dort Moscheeführungen, aber ich habe keinen Ditib-Vertreter auf einem Podium gefunden. Hätte man das nicht auch tun sollen, um so die Bandbreite des Islam in Deutschland abzubilden? Sie sind nun ein sehr liberaler, sehr anschlussfähiger Vertreter des Islam, wenn ich das so sagen darf. Wird das den Muslimen in Deutschland gerecht, wenn man nur solche Vertreter holt?
Khorchide: Ich mache diese Beobachtung seit mehreren Jahren an Kirchentagen, dass die Muslime, die hier zu Wort kommen, meist ja Theologinnen, Theologen oder schon im interreligiösen Dialog involviert sind. Die kennt man, die lädt man ein. Die anderen, die vielleicht weniger offen sind für den interreligiösen Dialog, die lädt man selten ein zu solchen Veranstaltungen, weil man ja mit Menschen reden will, die offen sind für das Gespräch. Hier könnte man ja für die Zukunft überlegen, ob man nicht stärker auch diejenigen Muslime einbeziehen soll, die nicht von vornherein vielleicht diese Offenheit haben, damit in der Tat, wie Sie sagen, die ganze Bandbreite vertreten ist. Ich würde nicht sagen, dass jetzt die ganze Bandbreite an islamischen Positionen vertreten ist am Kirchentag, sondern eher die offeneren Positionen.
Weber: Und es schien mir auch hier eine sehr intellektuelle Diskussion zu sein. Ich hab nichts gefunden, wo wirklich gemeinsam gefeiert wurde. Also man muss ja nun vielleicht nicht gleich gemeinsam beten, das ist für viele Gläubige schwierig, aber man kann sich trotzdem zusammenfinden, und der eine spricht ein Gebet aus den christlichen Traditionen, der andere spricht ein Gebet aus der muslimischen Tradition. Das habe ich in Leipzig beim Katholikentag erlebt, hier nicht. Finden Sie, so was hätte auch dazugehört?
Khorchide: Definitiv, das hätte unbedingt dazugehört, dass nicht nur auf einer elitären Ebene Theologen jetzt vertieft über theologische Themen sprechen. Denn was das eigentliche Zusammenleben ausmacht, sind nicht unbedingt die theologischen Themen auf beiden Seiten, sondern eher die Alltagsthemen, aber auch die kulturellen Themen. Und in der Tat, ich habe hier vermisst, auch im Kulturprogramm, dass hier Muslime durch Kunst, Musik und vieles mehr, Theaterstücke zum Beispiel, sichtbar werden. Ich behaupte, dass das die Menschen ein Stück mehr interessiert sogar, oder zumindest genauso viel interessiert wie auch das Reden über den Koran oder Jesus oder Mohammed im Islam.

Die Lebenswirklichkeit widerspiegeln

Weber: Es heißt ja dann oft von christlicher Seite, ja, wir haben ja keine Ansprechpartner, aber das stimmt nicht, es gibt genug muslimische Künstler, die man hier hätte einladen können oder irgendwelche Initiativen, die man hätte ansprechen können, oder?
Khorchide: Definitiv. Ich habe auch an anderen Kirchentagen erlebt, wie Musiker, Maler, andere Künstler auch sichtbar geworden sind, die Möglichkeit hatten, sich zu präsentieren. Ich glaube, das ist auch sehr wichtig, damit wir die Lebenswirklichkeit widerspiegeln auch am Katholikentag. Die Lebenswirklichkeit, wie gesagt, ist nicht durch die theologischen Debatten bestimmt, sondern eben durch auch solche kulturellen Mitwirkungen oder Gestaltungen.
Weber: Es gab eine Veranstaltung mit den religionspolitischen Sprechern der Bundestagsparteien, und die war sehr umstritten, weil eben auch Volker Münz von der AfD dabei war. Der hat dann auch ganz konkret über Sie geredet, wir hören uns das jetzt mal an:

Von der Rhetorik der AfD profitieren die Fundamentalisten

Volker Münz: Hier in Münster gibt es einen Islamwissenschaftler, Mouhanad Khorchide. Der hat versucht, den Islam aufklärerisch zu deuten, sein Buch [heißt] "Islam der Barmherzigkeit". Dieser Mann lebt jetzt unter Polizeischutz, und der ist insbesondere von der Ditib, von dem größten Islamverband, massiv angefeindet worden. Und deswegen sage ich: Gute Worte reichen hier nicht. Und darauf zu vertrauen, dass der Islam irgendwann sich so liberalisiert, das wird nicht funktionieren.
Weber: Was sagen Sie dazu, Herr Khorchide?
Khorchide: Meine Arbeit wird viel mehr helfen, wenn die AfD unsere Gesellschaft nicht stark polarisiert, denn in der Rhetorik der AfD, diejenigen, die davon profitieren, sind unsere Fundamentalisten, Salafisten wie andere Extremisten, weil sie pauschalieren und sagen: Schau mal, was die AfD sagt, das ist der Westen. Der Westen hasst euch, liebe Muslime, deshalb ist das euer Feindbild. Die AfD-Rhetorik macht auch aus den Muslimen ein Feindbild. Einem aufgeklärten Islam wird viel mehr geholfen, indem man diese Polarisierung und diese Instrumentalisierung des Islams oder überhaupt von Religionen für politische Zwecke unterlässt. Ich sehe nicht ein, dass ich hier vereinnahmt werde oder die islamische Theologie hier in Münster, die eher aufgeklärt, offen ist, dass sie vereinnahmt wird für irgendwelche politischen Statements seitens der AfD, weil worauf es ankommt, sind nicht solche Statements, sondern die eigentliche Politik der AfD. Und sie ist alles andere als versöhnlich, als integrativ, wo wir von einem großen Wir in unserer Gesellschaft sprechen, wo die Muslime selbstverständlich dazugehören. Die Polarisierung bringt uns nur auseinander, spaltet unsere Gesellschaft.

Antisemitismus und Islamfeindlichkeit nicht in einem Satz nennen

Weber: Der Katholikentag hatte in seinem Programm einen weißen Fleck gelassen, um dann aktuell noch reagieren zu können, und da wurde dann eine Veranstaltung über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit kurzfristig reingenommen. Bei dieser Veranstaltung wurden beide – Antisemitismus wie Islamfeindlichkeit – verurteilt, aber ist es nicht doch oft so, dass im Kampf gegen Antisemitismus antimuslimische Vorurteile verstärkt werden, und ist da nicht auch gerade die Christenheit in Gefahr, das zu machen, so nach dem Motto: wir solidarisieren uns mit unseren jüdischen Brüdern und Schwestern und kritisieren Muslime dafür, wenn da antisemitische Töne laut werden?
Khorchide: Islamfeindlichkeit in Deutschland oder in Europa ist natürlich ein Thema, das stärker angesprochen werden soll, allerdings gehöre ich zu denen, die jetzt diese Islamfeindlichkeit mit Antisemitismus nicht in einem Satz so zusammenbringen möchten, weil das ja zwei unterschiedlichste historische Kontexte sind, und das ist auch ein Teil der Verharmlosung des Antisemitismus, wenn wir das mit der Islamfeindlichkeit, die einen völlig anderen Hintergrund hat, vergleichen. Und mir ist auch wichtig, dass wir Muslime uns nicht in einem Opferdiskurs verlieren und einfach pauschalieren und meinen, ja, so wie damals die Juden, jetzt geht es uns auch schlecht, wir müssen uns ja verteidigen gegen diese Gesellschaft und so, weil das die Überbetonung der Islamfeindlichkeit, die keineswegs von der deutschen Gesellschaft ausgeht, sondern nur von bestimmten kleinen, zum Glück kleinen, marginalisierten Gruppierungen. Die Pauschalierung könnte nur die Gesellschaft spalten und polarisieren, davor müssen wir uns alle schützen.

Ein Religionentag mit theologischen und gesellschaftspolitischen Themen

Weber: Ganz kurz zum Schluss: Könnten Sie sich vorstellen, dass die Muslime in Deutschland irgendwann einen Moscheetag oder Muslimtag organisieren und welche Themen wären dann wichtig?
Khorchide: Es gibt immer am 3. Oktober den Tag der offenen Moscheen, das ist aber zu wenig. Ein Moscheetag so wie ein Kirchentag wäre sicher sinnvoll, aber dann kommen andere Fragen: Wer soll das alles finanzieren, woher das Geld, woher so viele muslimische Theologinnen und Theologen? Deshalb wäre ich persönlich eher für eine Art ökumenischen Kirchentag, nicht nur evangelisch-katholisch …
Weber: Interreligiös.
Khorchide: … interreligiös, genau, wo die Muslime auch mit dabei sind und wo auch hier Themen angesprochen werden, die nicht nur – also auf der einen Seite natürlich auch theologische Themen, aber auf der anderen Seite auch stärker gesellschaftspolitische Themen, die die breite Masse auch interessiert, wo womöglich auch viele Ängste da sind, dass wir die mit viel Mut ansprechen und nichts unter den Teppich kehren, sondern auch die Finger auf die Wunde legen und das mit Mut und Offenheit und Ehrlichkeit ansprechen.
Weber: Ein Plädoyer für einen Religionentag. Vielen Dank, Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema