Moshin Hamid: "Exit West"

Türen, die in andere Welten führen

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Moshin Hamid: Exit West © Dumont-Buchverlag, Imago
Von Carsten Hueck · 26.09.2017
Die Geschichte von "Exit West" beginnt in einer namenlosen muslimischen Stadt in einem namenlosen muslimischen Land. Der pakistanische Autor Moshin Hamid erzählt von einem jungen Paar und seiner Flucht - doch er macht auch Mut für die Zukunft.
Wir kennen die Bilder von Flüchtlingen: zusammengepfercht in Booten auf dem Mittelmeer, in Lagern und Noteinrichtungen, in langen Schlangen vor Ämtern. Aber ihre Geschichte, den Alltag vor der Flucht, die Normalität, aus der sie sich heraus katapultiert haben, die können wir uns kaum vorstellen. Und auch nicht, wie es für sie weitergehen könnte.
An dieser Stelle setzt "Exit West" ein, der neue Roman des im pakistanischen Lahore geborenen Moshin Hamid. Der Autor ist kein Flüchtling, im Gegenteil. Hamid, Sohn eines Professors, hat in Harvard und Princeton Wirtschaftswissenschaften studiert, bei Toni Morrison das Schreiben gelernt, in New York bei McKinsey und als Markenberater in London gearbeitet. Als Autor debütierte er im Jahr 2000, sein Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" (2007) wurde ein Millionen-Bestseller und stand auf der Booker-Prize-Shortlist - genau wie jetzt sein aktueller Roman.

Eine Liebe in bedrohlichen Verhältnissen

Die Geschichte von "Exit West" beginnt in einer namenlosen muslimischen Stadt in einem namenlosen muslischen Land. Bei einem Abendkurs über Corporate Identity und Product Branding begegnen sich Saeed und Nadia. Er arbeitet in einer Werbeagentur, sie in einer Versicherungsgesellschaft. Er ist ein aufgeklärter Muslim, sie eine Rebellin. Zwar trägt sie ein langes, schwarzes Gewand, das ihren Körper bis zum Hals bedeckt, doch lebt sie allein, fährt Motorrad und genießt hin und wieder psychedelische Pilze. Saeed hingegen wohnt noch bei seinen Eltern, schaut abends mit einem Teleskop nach den Sternen und betet mehr oder weniger brav.
Sie verlieben sich ineinander, doch gleichzeitig werden die Verhältnisse in der "von Flüchtlingen wimmelnden Stadt" immer bedrohlicher. In entfernten, dann benachbarten Stadtvierteln wird mit schweren Waffen gekämpft und Saeeds Mutter getötet - ein zufälliges Opfer der eskalierenden Auseinandersetzung zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Büros und Geschäfte schließen, die Infrastruktur bricht zusammen, die Versorgung mit Lebensmitteln kommt zum Erliegen, extremistische Fanatiker übernehmen die Herrschaft.

Die Flucht

Das junge Paar entschließt sich zur Flucht. Mit Hilfe eines Schleusers gelangen Saeed und Nadia zu einer Tür. Durch sie gelangen die beiden - wie in einem Fantasy-Roman - an den Strand von Mykonos. Das Motiv der Türen, die in andere Welten führen, hat Moshin Hamid tatsächlich aus den "Chroniken von Narnia" übernommen, dem Lieblingsbuch seiner Kindheit. Es taucht wiederholt auf: Vom Flüchtlingscamp auf Mykonos führt eine Tür nach London, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht, Bevölkerung und Immigranten kommt, und von dort aus nach San Francisco. Hier trennen sich die Wege der Liebenden, die unterschiedlich auf die Erfahrung der Migration und der veränderten Lebenssituation reagieren.
In "Exit West" werden so alle Versatzstücke unserer Gegenwart - jenseits naheliegender Klischees - neu gemischt. Die Geschichte selbst lässt der Autor wie eine Legende von einem allwissenden Erzähler berichten, einem Augenzeugen und Chronisten. Moshin Hamids Empathie, seine Fantasie und seine schnörkellose, von genauen Beobachtungen gespeiste Sprache machen "Exit West" zu mehr als einer bloßen Flüchtlingsgeschichte. Sie ist universell – und endet vage optimistisch. Die Protagonisten müssen sich zwar erschöpft durch apokalyptische Szenarien kämpfen, doch der Autor zeigt dabei ihre Würde und Kraft. Und entwickelt Ideen, wie man im Westen sinnvoll mit dem Zustrom von Migranten umgehen kann. Das macht Mut zur Zukunft.

Mohsin Hamid: "Exit West"
Roman. Aus dem Englischen von Monika Köpfer.
DuMont Verlag, Köln 2017
222 Seiten, 22,00 Euro

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