Moses Sumney und sein Debütalbum "Aromanticism"

Der Antiromantiker

Moses Sumney bei einem Auftritt in London im April 2017. Der Sänger spielt Gitarre.
Moses Sumney bei einem Auftritt in London im April 2017. © Imago/ Alberto Pezzali
Von Bernd Lechler  · 21.09.2017
Er spielte im Vorprogramm von James Blake und Beck, obwohl er nur eine EP veröffentlicht hatte. Mit seinem ebenso ätherischen wie eindringlichen Falsettgesang und Lo-Fi-Soul-Folk überzeugt Moses Sumney jetzt auch auf seinem Debütalbum "Aromanticism".
"Bin ich am Leben, wenn mein Herz nichts tut?", fragt Moses Sumney im Song Doomed, "oder bin ich verloren?" Die Frage geht an Gott: Findet das Universum uns unnütz, wenn wir nicht lieben?
"Und nicht nur das Universum. Tue ich meine Pflicht als Mensch, von der alle ständig reden? Die Welt, die Literatur, die Musik, die Bibel, der Koran, die griechische Mythologie? Man muss das in Frage stellen! Sonst führst du ja nur Befehle aus. Oder folgst deinem Gefühl, aber: Was wir fühlen und was uns befohlen wird zu fühlen, hat ja miteinander zu tun."

Er verliebt sich nicht

"Aromanticism" ist ein Konzeptalbum, der Titel ein gefundener Begriff, den Moses Sumney gern im Duden sähe. Denn die "Aromantik" ist sein Leiden und sein Thema: Er verliebt sich nicht. Oder nur schwer. Oder nicht sehr. Singt wie in "Doomed" über die damit verbundenen Selbstzweifel, an anderer Stelle über längst neu verbandelte Verflossene oder übers Alleinsein als Naturzustand.
Es ist ein recht loses Konzept, aber natürlich brechen diese ganz speziellen Liebeslieder mit allen Klischees und Erwartungen - und das ist sein zweites Thema, denn mit Klischees und Erwartungen kennt er sich aus. Hat ja dunkle Haut.
"People are lazy, journalists are lazy."
Die Menschen seien faul, sagt er, Journalisten erst recht - und dann macht man eine Art Lo-Fi-Soul-Folk oder ganz etwas Eigenes, und wird doch als R&B etikettiert.

"Ey, du kannst schwarz und schräg sein!"

"Ich spüre den Druck und sage mir dann: 'Ey, du kannst schwarz und schräg sein! Oder schwarz und nicht supermaskulin!' Aber dieser Druck ist grundfalsch. Es müsste doch längst klar sein, dass jeder alles Mögliche sein kann! Ich will hier nichts beweisen, aber ich registriere die Sehnsucht danach. Zu sagen: 'Ich bin übrigens ganz anders!' Aber dass das überhaupt nötig sein soll, ist bescheuert."
Moses Sumney hat diverse Produzenten ausprobiert, fühlte sich dabei aber immer eingeengt, wie er sagt. Er habe doch selber noch gar nicht gewusst, wie es klingen soll!
In Eigenregie ist es nun eine irgendwie unwirkliche Musik geworden, die teils an die Soundscapes von James Blake erinnert. Akustische Instrumente und organische Elektronik; dichte Gesangsschichten, oft kein Beat - und deutliche Jazzeinflüsse.
"Schon als Teenager entdeckte ich Ella Fitzgerald und andere Jazzsänger. Das habe ich jetzt im Blut, nach all den Jahren, und das hört man."
Er stammt aus Kalifornien. Mit zehn zog er mit den Eltern für sechs Jahre in deren Heimat Ghana, wo er ein Außenseiter blieb und sich nie wirklich einlebte.
"Mit 17, wieder in Kalifornien, sang ich im Highschool-Chor. Da fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben zugehörig. Und willkommen. Und ich sang zum ersten Mal öffentlich und lernte Dinge wie Mehrstimmigkeit."
Erst als 20-Jähriger in L.A. rückte Moses Sumney mit seinen Songs heraus. Bis dahin hatte er heimlich in seinem Zimmer gesungen - auch wenn ihm immer klar gewesen sei, dass er sich musikalisch äußern müsse. Er singe ständig, ohne es zu merken.
"People who know me, know I’m singing all the time, I’m always humming something, always walking around singing, and I’m never aware of it. It just flows out."

Kunstvoll und doch ungekünstelt

Auch auf seinem Album singt er kunstvoll und doch ungekünstelt - manchmal wirklich wie einer, der vor sich hinsummt. Auch da denkt man ans Falsett von James Blake (der Sumney auch schon ins Vorprogramm lud) oder an die Engelsstimme von Ahnoni, vormals Antony Hegarty.
Denn ganz ähnlich gewinnt auch der Gesang von Moses Sumney Kraft durch den Mut zum Fragilen und Seltsamen. Er klingt sehr intim und nah; und doch mit den ineinander verwobenen Stimmen und Effekten zugleich artifiziell.
Seine Flügel seien aus Plastik, gesteht der Held einem Bewunderer im Song "Plastic"; und doch sagt Sumney, er wolle zukünftig diese außerweltliche Figur, die aus seinem Sound entstanden ist, auch bei Auftritten noch stärker betonen.
Nicht zuletzt diese Spannung zwischen dem Persönlichen und dem Inszenierten macht seine Musik aufregend. Er wolle etwas Neues bieten, sagt Moses Sumney, und zeigen, dass Ehrlichkeit okay ist: Musikalisch, indem man tut, was man will. Und textlich, indem man sagt, was man fühlt:
"I just want people to feel like they’re listening to something new and that they’re listening to something honest. I wanna tell people that it’s okay to be honest, whether that means sonically-musically by doing what you want, or lyrically by saying how you feel."
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