Mordserie von Neonazis "hat uns alle doch sehr nachdenklich gemacht"

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Matthias Thiel und Michael Groth · 17.12.2011
Der Bundesinnenminister dringt auf weitere Befugnisse für die Fahnder in der Überwachung von Kriminellen, die im Internet Straftaten begehen oder verabreden. In Bezug auf die Taten der Zwickauer Zelle solle man nicht jammern, sondern die richtigen Konsequenzen ziehen, sagte Hans-Peter Friedrich.
Deutschlandradio Kultur: Herr Friedrich, Sie gelten als zurückhaltend. Dafür ernten Sie auch Lob, zumal in Zeiten, in der die Forderung nach Aktionismus von den Stammtischen schallt. Dann gibt’s aber auch Kritiker, die sich einen Sheriff, wie zum Beispiel Otto Schily zurückwünschen, der mit markigen Worten dann schon mal Zeichen setzte. Ist es ein Spagat für Sie, damit zurechtzukommen?

Hans-Peter Friedrich: Jeder hat seinen eigenen Politikstil, den er im Laufe seiner Jahre geprägt hat. Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, wenn man jemanden anderen spielen wollte. Als ich Innenminister wurde, habe ich schon sehr früh gemerkt, dass es eine gewisse Erwartung gibt: ein hartes Auftreten. Und dann hat mir auch mal jemand gesagt, Sie müssen auch mehr Stahl in die Stimme legen.

Das finde ich alles nicht. Ich finde, dass es am Ende darauf ankommt, wie man handelt. Ich glaube, dass ich sehr konsequent handle. Ich hatte damit, mit meiner Art Politik zu machen, auch immer Erfolg. Ich glaube nicht, dass es anders sein muss, wenn man Innenminister ist.

Deutschlandradio Kultur: Herr Friedrich, die zentrale Frage in diesen Tagen und Wochen ist aber: Wie konnte eine Gruppe von Neonazis in den Untergrund abtauchen und 13 Jahre lang morden und rauben. Wer war da blind auf dem rechten Auge?

Hans-Peter Friedrich: Ich glaube, das hat uns alle doch sehr nachdenklich gemacht, wenn ich das mal so untertrieben sagen darf, natürlich vor allem auch die Sicherheitsbehörden selber, die über viele Jahre in die Berichte geschrieben haben, rechtsterroristische Anzeichen nicht erkennbar. Und es wird jetzt so nach und nach auch deutlich, dass wir an der einen oder anderen Stelle strukturelle Probleme bei der Zusammenarbeit von unterschiedlichen Behörden haben. Und es geht jetzt darum, dass man nicht nur aufklärt, was da passiert ist, sondern auch Konsequenzen zieht und dafür sorgt, dass es nicht mehr passieren kann. Und auf diesem Weg sind wir.

Deutschlandradio Kultur: Hat man nach 9/11 zu sehr auf den islamistischen Terror geschaut?

Hans-Peter Friedrich: Das hat sicher eine Rolle gespielt, dass 9/11 ein absoluter Schock war, nicht nur für die USA, für die ganze Welt. Und man hat natürlich alles konzentriert, um diesen internationalen Terrorismus abzuwehren. Das hat natürlich viele Kräfte, auch viel Aufmerksamkeit gebunden. Das hat sicher auch eine Rolle gespielt, aber auch viele unglückliche Umstände. Das muss man alles sehen. Aber man muss jetzt im Nachhinein nicht jammern, sondern, ich glaube, jetzt geht es darum, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und das tue ich. Wir haben gestern ja das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Das ist ein erster, wie ich glaube, wichtiger Schritt.

Deutschlandradio Kultur: Gerade in den neuen Bundesländern ist das rechtsextremistische Gedankengut relativ weit verbreitet. – Arbeitslosigkeit, schlechte soziale Aussichten, das wird oft als Grund genannt. Muss sich der Bund jetzt in diesem Bereich stärker engagieren?

Hans-Peter Friedrich: Die Ursachen, warum sich Menschen in extremistische ideologische Kreise begeben, sind ganz vielschichtig. Ich glaube, da gibt es ein ganzes Bündel an Ursachen. Aber fest steht, dass wir natürlich eine starke Konzentration auch rechtsextremistischer Gruppierungen in den neuen Ländern haben, allerdings nicht nur. Also, das muss man sagen, das gibt es in fast allen Bundesländern.

Und es geht auch darum, dass wir die gesellschaftlichen Kräfte in den Dörfern und Städten auch stärken. Das ist eine Aufgabe, der sich die Kommunen vor Ort, die Länder, aber auch der Bund verpflichtet fühlen. Wir haben eine ganze Reihe von Programmen, die wir seit vielen Jahren auch mit viel Geld ausstatten, Programme, die insbesondere darauf gerichtet sind, junge Leute fernzuhalten von extremistischen Gruppierungen und sie in die Gesellschaft zu integrieren, einzubinden. Und da muss es auch weitergehen.

Deutschlandradio Kultur: Aber die sind doch gerade zurückgefahren worden, gerade die Präventionsprogramme sind in den letzten Jahren immer mit weniger Geld ausgestattet worden. Muss man da wieder mehr Geld zur Verfügung stellen?

Hans-Peter Friedrich: Ich glaube, das ist in der Gesamtschau keine richtige Information. Man hat die Programme ausgeweitet. Wir geben für die Bekämpfung des Rechtsextremismus fünfmal mehr Geld aus als für die Bekämpfung des Linksextremismus. Wir haben die Programme natürlich überwiegend als Pilotprogramme ausgestattet. Das heißt, die laufen auch nach einer gewissen Zeit aus. Darin ist ein gewisser Mangel zu sehen. Wahrscheinlich brauchen wir einfach mehr Kontinuität.

Deutschlandradio Kultur: Fast jeder redet jetzt über ein Verbot der NPD. Schaffen wir es tatsächlich, einen solchen Antrag wieder zu stellen und dann auch mit Erfolg?

Hans-Peter Friedrich: Unsere Verfassung sieht zu Recht sehr hohe Hürden für ein Parteienverbot vor, weil man in einem demokratischen Rechtsstaat davon ausgeht, dass die Demokratie auch radikale Parteien bekämpfen kann und erfolgreich an den Rand drängen kann. Aber wenn eine Partei aggressiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung kämpft, dann kann sie verboten werden.

Und um zu beweisen, dass es ein solches aggressives Auftreten der NPD ist, das wäre die Aufgabe, wenn man einen solchen Verbotsantrag erfolgreich durchführen will. Es gibt dafür bestimmte Anzeichen, dass wir das schaffen können bei der NPD, aber ob es wirklich so ist, das müssen wir in den nächsten Wochen sorgfältig prüfen. Denn es gab schon mal vor 10 Jahren einen solchen Antrag und er ist gescheitert – mit dem Ergebnis, dass die NPD gestärkt wurde.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie es prozentual bewerten würden, wie hoch müsste der Prozentsatz auf Erfolg sein, dass man sagt, okay, wir machen das? Weil, im Umkehrfall ist es natürlich ein Riesenerfolg für die NPD.

Hans-Peter Friedrich: Ja, man muss den Erfolg der NPD verhindern. Also, es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit geben. Also, das hängt jetzt ganz davon ab, wie die Ermittlungen auch in der Mordserie weitergehen.

Wenn wir natürlich eine Verbindung struktureller Art zwischen der Mordserie, also den Mördern, und der NPD feststellen können, das heißt also, wenn diese Terroristengruppe eine Art militanter Arm der NPD ist, dann würde es relativ zügig möglich sein, die NPD auch zu verbieten. Wenn das nicht der Fall ist, sondern man in einem sehr langen Verfahren einfach dieses aggressive Auftreten prüfen muss und belegen muss, dann werden wir in einen aufwendigen Prozess von Beweissammlung eintreten müssen. Und es wird dann nicht ganz einfach sein. Da muss man dann auch mit Experten etwa abschätzen, wie gut die Chancen sind.

Deutschlandradio Kultur: Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang da für Sie die V-Leute? Es gibt ja den Vorwurf, dass die Behörden viel zu dicht dran gewesen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat damals auch gesagt, es ist überhaupt nicht klar, welche Rolle die V-Leute in diesem Zusammenhang bei der NPD spielen. Müssen die jetzt nicht eigentlich alle zurückgezogen werden?

Hans-Peter Friedrich: Also, wegen der V-Leute ist mehr oder weniger dieses Verfahren 2003 gestoppt worden. Das Verfassungsgericht hat gesagt, die Partei ist nicht staatsfrei, sondern ihr habt da mit rumgemacht als Staat. Und das geht so nicht. Das ist ein Verfahrenshindernis. Allerdings haben auch diejenigen, die anderer Meinung waren, gesagt: Wenn ihr in dieser Organisation, in dieser Partei V-Leute habt, dann wirkt sich natürlich das auf die Beweiskraft der Belege, die ihr vorlegt für ihr aggressives Handeln, wirkt sich auf diese Beweiskraft aus. Das ist eine wichtige prozessrechtliche Aussage, weil nun natürlich die Beweiskraft jedes einzelnen Beleges davon abhängt, auf welche Weise sie gewonnen wurden. Und da ist dann wieder sehr kritisch die Frage nach den V-Leuten gestellt.

Wenn man ganz sicher gehen will, muss man alle V-Leute abziehen. Dann allerdings wird es schwierig Belege zu sammeln. Das Gericht sagt, ihr müsst nicht alle abziehen, aber, wie gesagt, dann werden eure Belege weniger wert. Und das ist ein sehr, sehr schwieriger Grat. Und wir werden im Januar in einer ersten Sitzung des dafür berufenen Ausschusses oder Gremiums der Innenminister der Länder uns auch Strafprozessualisten anhören, die uns Hinweise geben, wie wir auch prozessrechtlich vorgehen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Wie lange werden Sie da prüfen? Wann ist mit einem Antrag zu rechnen? Noch im Frühjahr nächsten Jahres?

Hans-Peter Friedrich: Also, es kommt jetzt mal drauf an, wie wir in den ersten Wochen des neuen Jahres vorwärts kommen. Wenn es uns relativ zügig gelingt, gemeinsame Kriterien zu verabreden, welche Qualität die Beweise haben und die Belege haben müssen, wenn es uns gelingt, uns darauf zu verständigen, in welchem Umfang V-Leute abgeschaltet werden müssen, dann, denke ich, können wir im ersten Quartal in etwa abschätzen, wie der weitere Zeitplan sein wird.

Deutschlandradio Kultur: Die Rechtsextremen sind auch international vernetzt. Gibt es eine Kooperation der Verfolger?

Hans-Peter Friedrich: Natürlich gibt es internationale Bezüge. Wir haben deswegen in das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auch den Bundesnachrichtendienst aufgenommen. Es gibt Kontakte zu ausländischen Sicherheitsbehörden in allen Bereichen des Extremismus und das Terrorismus. Insofern ist es gewährleistet. Wir haben gute Kontakte und wir wissen auch, dass die Rechtsextremisten international aufgestellt sind. Deswegen wird auch insbesondere die Recherche im Internet, die ja dann auch international stattfinden kann, eine wichtige Rolle spielen.

Deutschlandradio Kultur: Der Verfassungsschutzchef Fromm konstatierte, dass die neonazistische Mordserie eine "Niederlage für die Sicherheitsbehörden" sei. Jetzt gibt es, Sie erwähnten es, seit gestern ein Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus. Das soll die Bedrohung durch Rechtsextremisten besser beurteilen und operative Maßnahmen, wie auch etwa Festnahmen, erleichtern. Reicht das?

Hans-Peter Friedrich: Wir haben auf Bundesebene, auf Landesebene verschiedene Behörden, die bisher sehr intensiv auch mit dem Thema Rechtsextremismus befasst waren, aber eben diese Informationen offensichtlich nur unzureichend zu einem Gesamtbild zusammengefügt haben. Also, es gibt Verfassungsschutzämter der Länder. Es gibt Landeskriminalämter. Es gibt Europol, es gibt Bundespolizei. Es gibt BND, es gibt MAD. Jeder hat Dateien, jeder hat Informationen, jeder hat auch den anderen Informationen weitergegeben, wenn er der Auffassung war, der könnte das vielleicht brauchen. Aber allein an dieser subjektiven Einschätzung kann man schon sehen, wie gefahrbehaftet das Ganze ist.

Jetzt haben wir eine systematische Aufarbeitung. Täglich werden in Lagebesprechungen von allen Behörden, die ich genannt habe, wird ein Lagebild gezeichnet über die Gefährdung, über die Entwicklung in der Szene. Und ich glaube, dass das der richtige Ansatz ist. Wir haben ein Vorbild für dieses Abwehrzentrum, das wir auch gegen den Islamismus vor 10 Jahren installiert haben, das gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin. Und dieses Vorbild zeigt, dass es funktioniert. Und ich bin optimistisch, dass es auch in der Abwehr der Rechtsextremisten gelingen wird.

Deutschlandradio Kultur: Werden denn von dort aus jetzt auch die operativen Maßnahmen gesteuert? Das heißt, werden die Einsätze jetzt auch diesem neuen Abwehrzentrum geführt?

Hans-Peter Friedrich: Also, es wird immer darauf ankommen, wie dieser operative Auftrag im Einzelnen durchgeführt wird. Es gibt gemeinsame Aufträge am BKA und LKA jeweils. Es gibt Federführung des LKA mit Unterstützung des BKA. Es gibt Aufträge an das BKA mit Unterstützung des LKA. Das wird von den Einzelfällen abhängen. Entscheidend ist, dass man gemeinsam und auf einer gemeinsamen Informationsbasis diese Ermittlungen bzw. Maßnahmen auch vornimmt.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagten eben, Herr Friedrich, dass auch der BND dabei ist bei diesem Abwehrzentrum. Sie sind ja nun auch Verfassungsminister. Wie steht's da um die Trennung von Geheimdiensten und Polizei?

Hans-Peter Friedrich: Ich glaube, dass das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei haben, das ja nicht in anderen Ländern üblich ist, aber das wir in Deutschland haben, sehr sinnvoll ist, sich auch bewährt hat. Aber was wir, glaube ich schon, auch im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum gegen den Islamismus bewiesen haben, ist, dass man durchaus eine Verbunddatei und gemeinsame Informationen sammeln kann, ohne dass die einzelne Behörde ihren Zuständigkeitsbereich verlässt. Das heißt also, jede Behörde würde auf ihrer Rechtsgrundlage und ihrer gesetzlichen Grundlage prüfen, welche Informationen sie in dieses gemeinsame Zentrum geben kann. Insofern ist dem Trennungsgebot voll Rechnung getragen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Friedrich, Sie wollen auch Daten über militante Rechtsextremisten länger speichern. Die Datenschützer befürchten eine pauschale Verlängerung sämtlicher polizeilicher Speicherfristen und sie sagen, jetzt erfüllt sich der Innenminister die Wünsche durch die Hintertür, Wünsche, die bislang nicht durchsetzbar waren.

Hans-Peter Friedrich: Faktum ist, dass wir heute auf Akten zurückgreifen müssten, die aus dem Jahre 1996/ 97/ 98, etwa der Phase, wo in Thüringen diese Bande auch schon mal aufgetreten ist als Rechtsextremisten, (stammen), und feststellen, dass diese Akten nach fünf Jahren überprüft werden und spätestens nach 10 Jahren gelöscht werden. Und wir stellen fest, dieser Zeitraum ist im vorliegenden Fall einfach zu kurz. Da ist ein Faktum, das man feststellt und dann sagt, na ja, wäre es denn nicht besser, wir hätten einen längeren Zeitraum.

Es ist nicht so, dass ich gierig nach Daten irgendwo in der Welt Ausschau halte, die ich noch sammeln könnte, sondern ich stelle einfach fest: Es gibt bestimmte Notwendigkeiten. Und wenn man schon daran ist, jetzt auch nach den Folgen und Erkenntnissen zu fragen, dann wäre es sicher auch sinnvoll, diese Fristen zu verlängern. Aber darüber werde ich mit meiner Kollegin Justizministerin noch sehr ausführlich reden. Das ist ein Punkt, den wir uns für gemeinsame Entscheidungen vorbehalten haben.

Deutschlandradio Kultur: In wichtigen Sicherheitsfragen sind Sie sich aber nicht einig in der Bundesregierung. Ist das nicht eigentlich auch sehr gefährlich für die Sicherheitslage in Deutschland?

Hans-Peter Friedrich: Nein, diese allgemeine Aussage kann man so nicht stehen lassen. Denken Sie daran, wir haben die Antiterrorgesetze gemeinsam verlängert, haben die eine oder andere Korrektur auch vorgenommen, sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Wir werden jetzt eine Verbunddatei einrichten. Die wird sehr schnell kommen. Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr zu einer Kabinettsreife gelangen und dann im Januar sehr schnell auch, spätestens Februar, die Sache zum Laufen bringen. Also, insofern kann man nicht allgemein sagen, wie wir über Sicherheitsfragen uns nicht einig sind.

Natürlich hat die Justizministerin eine andere Perspektive als der Innenminister, aber bisher haben wir uns immer zusammengerauft.

Deutschlandradio Kultur: Aber im Fall der Vorratsdatenspeicherung sieht's im Moment nicht danach aus.

Hans-Peter Friedrich: Das ist wahr. Da gibt es allerdings zwischen uns auch nichts weiter zu raufen, sondern das ist eine klare Rechtslage der Europäischen Union, eine Richtlinie, die gilt, die in deutsches Recht umzusetzen ist. Und das muss jetzt auch gemacht werden.

Deutschlandradio Kultur: Wird da das Bundesverfassungsgericht mitspielen, wenn Sie diese Richtlinie jetzt exekutieren? Denn da gibt es ja dezidiert andere Hinweise von den Richtern in Karlsruhe.

Hans-Peter Friedrich: Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass diese Mindestspeicherfrist oder Vorratsdatenspeicherung, wie sie genannt wird ehrlicherweise, dass diese Mindestspeicherfrist möglich ist, auch verfassungsrechtlich ausgestaltet werden kann. Aber man muss sie natürlich auch verfassungsrechtlich einwandfrei ausgestalten. Das heißt, man muss dafür sorgen, dass die Speicherung der Daten so vorgenommen wird, dass da niemand Zugriff unberechtigterweise nehmen kann. Man muss dafür sorgen, dass es nur unter bestimmten Voraussetzungen, bei einer bestimmten Schwere auch der Kriminalität eine Zugriffsmöglichkeit gibt. Und wenn man sich an diese Vorgaben des Verfassungsgerichts hält, dann kann man ein Gesetz machen, das sowohl den Vorgaben der Europäischen Union wie den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung trägt.

Deutschlandradio Kultur: Herr Friedrich, Sie wollen das Internet strenger überwachen und verlangen mehr Möglichkeiten für die Fahnder. Dazu sollen Experten jetzt eine neue Software entwickeln. Wann kommt der Bundestrojaner 2, also die Überwachung direkt auf meinem privaten Computer zu Hause?

Hans-Peter Friedrich: Nein, also, es geht nicht um das Überwachen des Internets. Das Internet bleibt eine freie Kommunikationsplattform. Natürlich kommunizieren im Internet nicht nur gute Menschen, so wie Sie und ich, sondern auch Verbrecher, Kriminelle, die entweder im Internet Straftaten begehen oder im Internet gemeinsam Straftaten verabreden, so wie das auch seit Jahrzehnten schon am Telefon stattfindet, wenn etwa in der organisierten Kriminalität Rauschgifthändler den nächsten Deal verabreden oder Menschenhändler oder Waffenhändler.

Da war es bisher immer möglich, dass man die Telefone auch überwacht – mit richterlichem Beschluss, mit Zustimmung der so genannten G10-Kommission, eines Gremiums, das sehr streng mit der Freiheit des Fernmeldeverkehrs befasst ist. Jetzt ist es so, dass wir in der modernen Zeit nicht mehr das Telefon haben, mit dem Verbrecher kommunizieren, sondern dass wir Skype und Internettelefonie haben. Und jetzt muss es natürlich die Möglichkeit geben, diese Verbrecher, die wir früher am Telefon abgehört haben, jetzt auch in Skype abzuhören. Und da Sie und ich keine Verbrecher sind, sind wir nicht betroffen. Wir werden auch nicht abgehört.

Deutschlandradio Kultur: Also, diese "Telekommunikationsüberwachung an der Quelle", das ist ja wohl das Fachwort, nur nach Einzelprüfung und richterlichem Beschluss?

Hans-Peter Friedrich: Selbstverständlich. Das ist bisher schon der Fall. Jedes Telefonabhören muss ausdrücklich angeordnet werden. Das wird auch bei der so genannten Quellenüberwachung genauso sein: Strenge rechtsstaatliche Vorgaben und nicht, irgendjemand wird irgendwie abgehört, sondern nur Verbrecher, nur Kriminelle, nur verbrecherische Organisationen. Und ich glaube, dass dies die Bürger auch wollen.

Deutschlandradio Kultur: Und dann wird auch kein Trojaner hinterlegt, der dann sich noch verändert und auch den Computer überwacht, wenn ich ihn gar nicht an habe?

Hans-Peter Friedrich: Hören Sie, diesen Trojaner zu installieren, das ist eine außerordentlich aufwendige Sache, den Trojaner herzustellen. Man hat für wenige Fälle, ein Dutzend Fälle im Jahr, überhaupt diese Maßnahmen vorgenommen. Allein daran können Sie schon sehen, wie sparsam damit umgegangen wird – wie gesagt, weil es sehr aufwendig ist, weil es natürlich auch hohe rechtliche Hürden hat. Aber es ist auf der anderen Seite notwendig dann, wenn Sie Erkenntnisse haben, dass dort Verbrechen verabredet werden. Und dann muss die Polizei auch einschreiten können.

Deutschlandradio Kultur: Anderes Thema, Herr Friedrich: 75.000 Menschen sind in Deutschland über mehr als sechs Jahre als geduldet registriert. Die Innenminister haben nun auf ihrer jüngsten Konferenz beschlossen, das Bleiberecht für Menschen zu verlängern, und zwar, wenn sie sich "um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemühen" und "eine günstige Integrationsprognose haben". Wie lange dürfen diese Menschen jetzt bleiben?

Hans-Peter Friedrich: Also, es ist die Bleiberechtregelung im Grunde für diejenigen, die nach den normalen gesetzlichen Vorschriften eigentlich keine Berechtigung mehr hätten, im Lande zu bleiben. Da ist man, und da bin ich sehr froh darum, inzwischen sehr flexibel und sagt, wir müssen uns wirklich den Einzelfall anschauen.

Wenn sich da jemand redlich bemüht, mit seiner Frau, mit seinen Kindern, nicht nur sich zu integrieren in diesem Land, sondern auch versucht mit eigener Hände Arbeit finanziell über Wasser zu halten, dann sind es Leute, mit denen unsere Gesellschaft gewinnt. Und man hat, glaub ich, jetzt eine sehr, sehr flexible Regelung gefunden, die es erlaubt, dass man im Einzelfall sehr gut reagieren kann und entscheiden kann. Deswegen bin ich sehr froh, dass man diese spezielle Regelung gefunden hat.

Deutschlandradio Kultur: Die Innenministerkonferenz hat auch beschlossen, dass über einen Zeitraum von drei Jahren 900 Flüchtlinge zusätzlich aufgenommen werden, vor allem aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten. Was kommt da aus dieser Region noch auf uns zu?

Hans-Peter Friedrich: Wir haben eine Zahl von mehreren tausend Flüchtlingen, die eigentlich aus Somalia, aus Eritrea nach Libyen vor vielen Jahren gewandert waren, um dort zu arbeiten, die jetzt Libyen verlassen haben in Richtung Ägypten, in Richtung Tunesien und jetzt in Flüchtlingslagern sitzen – weder nach Tunesien können, noch nach Libyen zurück. Und für diese Menschen eine Möglichkeit zu suchen, sie in Europa zu beherbergen und ihnen Schutz zu bieten, das ist ein Ansinnen, das wir mit diesen drei mal 300 Flüchtlingen, die wir in drei Jahren aufnehmen wollen, herbeiführen wollen.

Ziel ist auch sich anzuschauen, was wir an irakischen Flüchtlingen, insbesondere Christen aus dem Irak, die in der Türkei, in Jordanien sind, was wir da machen können.
Ich glaube, dass es ein Signal ist von Deutschland, zu sagen, wir sind solidarisch, wenn wir gebraucht werden, aber wir wollen kein Signal senden, jetzt sind die Schleusen offen. Das, glaube ich, wird mit dieser Entscheidung, wird dieser Mittelweg sehr gut gewählt.

Deutschlandradio Kultur: Karl Theodor zu Guttenberg hat sich zurückgemeldet und Ihre Partei, seine Partei heftig angegriffen. Hat Sie das getroffen?

Hans-Peter Friedrich: Na ja, also, ich war schon etwas überrascht, dass er das eine oder andere gesagt hat, was die Parteifreunde verärgert hat. Ich selber hab von dem Buch vorher nichts gewusst. Und da ist sicher die eine oder andere Formulierung, die man auch anders wählen könnte, wenn man Wert drauf legt, dass die Freunde nicht beleidigt sind. Also, ich glaube, dass er da die eine oder andere Wunde geschlagen hat, die so schnell nicht verheilen wird.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben Ihn ja, als die Plagiatsvorwürfe aufkamen und dann belegt wurden, zunächst verteidigt. Hat sich Ihre Einstellung zu Guttenberg jetzt verändert? Sie kennen ihn ja gut. Sie sind praktisch Nachbarn.

Hans-Peter Friedrich: Ja, Karl Theodor zu Guttenberg und ich, wir kennen uns schon aus der Zeit, als er noch nicht Abgeordneter war, als er dort im Bezirksvorstand mit der CSU war. Ich denke mal, dass noch nicht aller Tage Abend ist und dass er vielleicht in nicht allzu langer Zeit sich wieder entscheiden wird, nach Deutschland zurückzukommen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt über Guttenberg gesprochen. Die Frage war eigentlich nach Ihrer Einstellung ihm gegenüber. Hat sich die geändert?

Hans-Peter Friedrich: Er war immer mein Freund. Er hat mir auch in Einzelheiten ja geschildert, wie es dazu kam, dass er auf verschiedenen Disketten, auf verschiedenen CDs, auf verschiedenen Computern die Texte aufbewahrt hatte und dass er einfach den Überblick verloren hat. Also, ich glaube, dass auch die Gerichte, die sich damit befasst haben, und die Staatsanwaltschaften das so sehen, dass er nicht bewusst da irgendjemand getäuscht hat. Aber eine Meisterleistung war es sicher nicht.

Deutschlandradio Kultur: Zum Schluss: Als Bundesinnenminister, Herr Friedrich, sind Sie ja auch zuständig für den Sport. Morgen werden die Sportler des Jahres geehrt. Es lohnt sich also ein Rückblick. Wer ist für Sie der oder die Sportler des Jahres? Wer hat Sie besonders beeindruckt? Maria Riesch, Magdalena Neuner, Sebastian Vettel oder Dirk Nowitzki? Oder jemand ganz anderes?

Hans-Peter Friedrich: Na ja, also, ich geb zu, Sebastian Vettel ist schon eine besondere Nummer. Aber damit will ich nicht alle anderen abwerten. Es sind alles großartige Leute. Ich habe ja mit diesen Spitzensportlern vorher nie zu tun gehabt und jetzt seit neun Monaten Sportminister mit so vielen tollen Leuten, die auch im persönlichen Umgang so unkompliziert, so bescheiden, so normal sind, das ist eine ganz tolle Geschichte. Das freut mich. Und deswegen bin ich sehr gerne Sportminister.
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