Montag: Minarett-Verbot ist kein Argument gegen Volksentscheide

Jerzy Montag im Gespräch mit Marietta Schwarz · 01.12.2009
Das in der Schweiz beschlossene Verbot von Minaretten spricht nach Ansicht von Jerzy Montag nicht generell gegen Volksentscheide. Der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen betont allerdings, Menschen dürften mittels eines Volksentscheids nicht die Grundrechte genommen werden.
Marietta Schwarz: Das war ein Ergebnis, mit dem keiner gerechnet hat und es hat einen regelrechten Schock ausgelöst: Minarette dürfen in der Schweiz nicht mehr gebaut werden, so haben es die Eidgenossen in einer Volksabstimmung beschlossen. Es ist noch fraglich, ob dieses Bauverbot wirklich in die Verfassung des Landes aufgenommen wird, doch selbst wenn nicht, lässt es tief blicken in die Mentalität der Schweizer, den Handlungsspielraum der Rechtspopulisten, aber auch die Grenzen solcher Volksabstimmungen, Grenzen der direkten Demokratie, die ja auch hierzulande immer mal wieder stärker gefordert wird. Einer dieser Forderer ist Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er würde wie viele andere den Volksentscheid gerne im Grundgesetz verankern. Guten Morgen, Herr Montag!

Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen!

Schwarz: Herr Montag, was haben Sie gedacht, als Sie die Meldung über den Volksentscheid in der Schweiz gelesen haben?

Montag: Ich habe mich geärgert und ich war traurig drüber, dass jedenfalls eine starke Minderheit, mehr als 25 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, offensichtlich rechtspopulistischen Parolen auf den Leim gegangen sind. Über 50 Prozent, knapp über 50 Prozent haben sich an der Abstimmung beteiligt, und davon haben 58 mit Ja gestimmt.

Schwarz: Jetzt wird natürlich fleißig analysiert, worüber da abgestimmt worden ist. Ein Votum gegen die Religionsfreiheit sei das, sagen die einen und lehnen es deshalb ab, eines gegen islamistische Tendenzen sagen die anderen und finden es dann vielleicht nicht ganz so schlimm. Wie würden Sie es nennen?

Montag: Zuerst halte ich mich an den Text, und in dem Text dieser Verfassungsänderung, die jetzt ganz sicherlich in die Schweizer Verfassung hineingeschrieben wird, steht von islamistischen Tendenzen, von islamistischem Terror, von Gewalt überhaupt nichts drin, sondern es steht lediglich drin, dass der Bau von Minaretten in der Schweiz zukünftig verboten sein soll. Das ist identisch das Gleiche, als wenn die Schweizer schreiben würden, künftig ist auch der Bau von Kirchentürmen in der Schweiz von der Verfassung her verboten. Nach deutschem Verständnis, nach unserem Verständnis ist dies ein eindeutiger Eingriff in die Religionsfreiheit und hätte so in Deutschland bei Bestehen einer Volksabstimmung überhaupt nicht abgestimmt werden dürfen.

Schwarz: Wenn in Deutschland abgestimmt worden wäre, wäre die Abstimmung aber wahrscheinlich so ausgegangen wie in der Schweiz?

Montag: Das weiß ich nicht, ich hoffe es nicht. Ich hoffe, dass wir in einem solchen Falle eine tiefreichende, sachliche Auseinandersetzung gehabt hätten, und ich setze darauf, dass wir die Mehrheit von einer vernünftigen Entscheidung hätten überzeugen können. Aber ich gehe noch eine Stufe zurück und sage, als jemand, der die Volksabstimmung in Deutschland auf nationaler Ebene auch haben will: Eine Abstimmung darüber, Bürgerinnen und Bürgern die Religionsfreiheit zu beschneiden, darf es nicht geben und wird es in Deutschland auch nicht geben. Deswegen wird keine Gelegenheit bestehen, in die deutsche Verfassung hineinzuschreiben, dass man in Deutschland keine Minarette errichten darf.

Schwarz: Da sind wir dann bei dem Thema Grenzen von Volksentscheiden. Sie sagen, über Religionsfreiheiten dürfte, wenn es das gäbe in Deutschland, nicht entschieden werden. Worüber noch nicht?

Montag: Nach unserer grünen Vorstellung soll nicht die Möglichkeit bestehen, mittels eines Volksentscheids Menschen die Grundrechte zu nehmen.

Schwarz: Sie würden also sagen, um das noch mal zusammenzufassen, im Prinzip ist das auch ein Fehler in der Verfassung der Schweiz, dass dort solche Voten möglich sind?

Montag: Ich mag mich in der Öffentlichkeit so dezidiert über die Schweizer Verhältnisse nicht äußern. Ich will es etwas diplomatischer sagen: Wenn wir in Deutschland eine Mehrheit zustande bekämen, um solche Volksentscheide herbeizuführen, dann werden wir dafür sorgen, dass solche Fragestellungen überhaupt gar nicht zugelassen werden.

Schwarz: Aber Herr Montag, lassen sie nicht immer solche Nischen für populistische Strömungen, Referenden?

Montag: Die wird es immer geben, die werden wir nicht ausschließen können. Im öffentlichen Diskurs muss auch über Unerträgliches debattiert und diskutiert werden. Aber wenn wir Instrumente zur Änderung der Verfassung in unser deutsches Rechtssystem einpflanzen, dann sorgen wir dafür – und zwar mit aller Sorgfalt –, dass dabei keine Möglichkeit besteht, solchen Rechtspopulisten auch noch ein neues Instrument an die Hand zu geben, gegen Minderheiten vorzugehen.

Schwarz: Herr Montag, Sie reihen sich jetzt eigentlich in die Liste der Politiker ein, die sagen, zum Glück haben wir solche Referenden nicht, in denen so verkürzt über Schwarz und Weiß abgestimmt wird, über Sachen, die in unserem Grundgesetz verankert sind, aber haben wir denn damit das Problem vom Tisch? Kann man die wachsende Angst vor Überfremdung, Islamophobie sagen ja manche sogar, ignorieren? Wohl kaum, oder?

Montag: Das will ich auch nicht. Wo sie vorhanden ist, gilt einer solchen Islamophobie mit einem rationalen Diskurs zu begegnen. Wissen Sie, ich weiß, wovon ich rede. Ich bin Bundestagsabgeordneter aus dem Münchener Süden, und wir haben dort seit Jahren die Debatte um die Frage, ob im Münchener Süden eine große Moschee gebaut werden soll oder nicht. Und auch dort gibt es vor Ort natürlich Gruppierungen, die eine Islamangst schüren und die mit allen legalen und manchmal auch nicht legalen Mitteln gegen die Moschee gekämpft haben. Es war unser aller Aufgabe, von den aufgeklärten Mitgliedern der Christlich-Sozialen Union über die Sozialdemokraten bis zu den Grünen mit den Menschen zu reden und ihnen zu erklären, wir bauen kein neues Nest für islamistischen Terror, sondern wir bauen ein Gotteshaus für Menschen, die zu ihrem Gott beten wollen, so wie die Juden zu ihrem beten und wie die Christen zu ihrem beten.

Der Vorfall in der Schweiz ist auf keinen Fall ein Argument gegen nationale Volksentscheide, sondern ist ein Argument dafür, sich bei der Herstellung von Volksentscheiden um große Exaktheit, um große Klarheit zu bemühen und nicht ein neues Werkzeug in die Welt zu setzen, mit dem quasi von hinten rum über eine Mobilisierung der Unvernunft Grundrechte außer Kraft gesetzt werden und Minderheiten in ihrer Existenz bedroht werden.
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