Modellprojekt in Bremen

Schnellere Job-Vermittlung für Flüchtlinge

Der syrische Flüchtling Youssef Fakie und Angela Touré, Arbeitsvermittlerin in der Bremer Agentur für Arbeit, im Gespräch
Der syrische Flüchtling Youssef Fakie und Angela Touré, Arbeitsvermittlerin in der Bremer Agentur für Arbeit, im Gespräch © Franziska Rattei
Von Franziska Rattei · 26.01.2015
Asylverfahren sind langwierig. Viele motivierte und qualifizierte Bewerber empfinden es als Belastung, lange Zeit ohne Job zu sein. Ein Modellprojekt in Bremen will Flüchtlinge jetzt schneller in den Arbeitsmarkt integrieren.
Youssef Fakie ist ein bisschen früh dran. Vor seinem Termin in der Bremer Agentur für Arbeit hat er noch ein paar Minuten Zeit. Kein Problem – er wartet einfach kurz auf dem Flur. Monatelanges Warten dagegen war sehr wohl ein Problem für den 36-jährigen Syrer. Als Youssef Fakie vor einem guten Jahr nach Deutschland kam, galt noch das neunmonatige Arbeitsverbot. Für ihn eine schwere Zeit, erinnert er sich:
"Darf man nicht arbeiten, es gibt keine Deutschkurse, lernt man keine Sprache, lernt man die deutsche Sprache nicht. Das ist nicht gut. Ja."
Ein Intensiv-Deutschkurs zum Einsteig
Es gab eine Alternative. Youssef Fakie nimmt an einem Modellprojekt der Agentur für Arbeit, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Europäischen Sozialfonds teil. Im Juni des vergangenen Jahres hat er mit einem Intensiv-Deutschkurs für Akademiker begonnen, danach: sechs Wochen Praktikum bei der Bremer Lagerhaus Gesellschaft - einem international agierenden Logistik-Unternehmen. Er konnte halbtags in der Abteilung für Projekt-Management mitarbeiten – mit ein paar Semestern BWL-Studium und ersten Arbeitserfahrungen in der Logistik-Branche brachte er gute Voraussetzungen mit:
"Von 9 bis 14 Uhr einfach wieder zu arbeiten, produktiv zu sein und eine konkrete Aufgabe zu bekommen und diese Aufgabe zu bearbeiten, zu machen, zu erledigen. Ja. Und im Büro sitzen, mit Kollegen sprechen. Ja, das war sehr gut. (lacht) Ja, wie früher."
Youssef Fakie lebt seit einem Jahr in Bremen. Ein privates WG-Zimmer hat er noch nicht gefunden, deshalb wohnt er noch immer im Übergangswohnheim. Die meisten Flüchtlinge, die er dort kennengelernt hat, nehmen nicht teil an dem Modellprojekt:
"Ja natürlich, sie haben dieses Problem jetzt. Sie haben zu viel Zeit und sie wissen nicht, was zu machen."
Gasthörer an der Bremer Uni
Fakie füllt seine Tage so gut es geht. Als Gaststudent besucht er Seminare an der Bremer Uni, zum Lesen und Lernen geht er in die Bibliothek. Eine Arbeitsstelle hat er über das Modellprojekt noch nicht gefunden, aber das Praktikum beim Logistik-Unternehmen war ein Vorgeschmack:
"Ich hab da auch sehr positive Erfahrungen bekommen. Natürlich vermisse ich das. Ja …"
Aber hier in Deutschland geht es nicht nur ums Können, sondern auch ums Beweisen. Und Fakies Beweise – Studienbescheinigungen zum Beispiel, Zeugnisse – sind größtenteils im Krieg verschüttgegangen. Kurz: Youssef Fakies Bewerbungsunterlagen sind unvollständig, kein deutscher Standard. Ohne Hilfe wäre er verloren zwischen Bürokratie und Karrieremöglichkeiten:
"Ohne dieses Modellprojekt, ja, das ist schwer. Ich kann mich vorstellen, und das ist schwer. Für mich persönlich: Ich könnte immer versuchen, aber ohne das – ich weiß nicht, das ist sehr schwer."
Es ist Zeit. Youssef Fakie macht sich auf den Weg zum Büro von Angela Touré. Er und die Arbeitsvermittlerin kennen sich seit einem Dreivierteljahr. Bei ihrem heutigen Treffen wollen die beiden darüber sprechen, wie es weitergehen soll mit Fakies Studium. Der Syrer könnte ein Studienkolleg besuchen, um danach einen Abschluss an einer deutschen Uni zu machen. Vielleicht finden sie auch eine Hochschule, die ihn nach einer Feststellungsprüfung aufnimmt. Hat er als anerkannter Flüchtling Anspruch auf Bafög?
"Ah, hallo Herr Fakie!" – "Frau Touré." – "Kommen Sie rein." – "Frohes neues Jahr!" - Ja, Ihnen auch. Ist ja schön, dass wir das so schnell hinbekommen haben. Sie hatten ja einige Fragen." – "Ja, wegen meinem Zeugnis…"
Mehr als hundert Flüchtlinge im Modellprojekt
Angela Touré betreut inzwischen mehr als einhundert Flüchtlinge im Rahmen des Modellprojektes. Die Arbeitsvermittlerin schickt sie in Deutschkurse, leiert Anerkennungsverfahren an, lässt Dokumente übersetzen – alles schnellstmöglich nach der Ankunft in Deutschland:
"Also es wäre nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Wirtschaft verschenkte Zeit, denke ich, wenn wir da nicht so früh ansetzen. Und so wie es in der Vergangenheit häufig war, haben die Flüchtlinge diese Zeit kaum nutzen können."
Für die Dauer des Projektes ist die Arbeitsvermittlerin von ihrer üblichen Tätigkeit freigestellt, das heißt: Noch bis Ende 2015 kümmert sie sich um Menschen wie Youssef Fakie: Flüchtlinge, die oft hoch motiviert und qualifiziert sind. Die Zahl der geflüchteten Akademiker ist stark gestiegen. Einfache Arbeiter können sich die teuren Schlepper-Dienste oft gar nicht leisten.
Hoch motivierte und qualifizierte Teilnehmer
Unter Angela Tourés Klienten sind zum Beispiel zwei Zahnärzte – quasi einsatzbereit. Die Arbeitsvermittlerin zieht eine positive Zwischenbilanz für das Modellprojekt: Bundesweit hat etwa ein Dutzend Asylbewerber eine Arbeitsstelle gefunden. Eine ganze Reihe, darunter Youssef Fakie, hat Praktika absolviert. Mehr kann man nicht erwarten innerhalb des ersten Jahres, sagt Angela Touré:
"Man muss bedenken, dass die meisten mindestens ein Jahr brauchen, um den Deutschstand zu erreichen, mit dem sie arbeiten können. Und dann müsste man mal schauen, was dann möglich ist. Ich bin ziemlich sicher, dass ich alle, die ich im Projekt habe – sobald sie Deutsch gelernt haben in ausreichendem Umfang – in kürzester Zeit unterbringen werde."
Auch bei Youssef Fakie sieht es gut aus.
Der Schreibtisch, an dem er während seines Praktikums bei der BLG Logistics gearbeitet hat, ist derzeit frei. Allerdings: Wenn es nach Jens-Uwe Niegel ginge, könnte sich das auch wieder ändern.
Niegel leitet das Projekt-Management des Unternehmens und ist überzeugt von Fakies Potential:
"In jedem Fall hätte er bei uns im Unternehmen viele Einsatzmöglichkeiten, wenn er die Chance bekommt, eine entsprechende Ausbildung zu machen."
Duales Studium als Ideallösung
Ein duales Studium wäre seiner Meinung nach ideal, um Youssef Fakie parallel Theorie und Praxis zu vermitteln. Eingetütet ist die Ausbildung noch nicht, aber theoretisch könnte es im September losgehen. Die Mitarbeiter, die Youssef Fakie bereits kennengelernt haben, würden sich freuen, einer von Ihnen, Farid Oucherif:
"Er ist mir immer begegnet als sehr freundlicher, sehr offener Kollege, mit dem man auch gut diskutieren, sprechen konnte. Wir haben auch in unserer Freizeit – sei es in der Mittagspause oder nach der Arbeit – auch gerne mal über seinen persönlichen Hintergrund gesprochen. Da hat er auch viele sehr interessante Geschichten – natürlich - erzählt. Also ich empfand das als Bereicherung, dass er unser Team verstärkt hat und hoffe, dass man sich nochmal sieht."
Youssef Fakie hat die Mitarbeiter beeindruckt, erzählt Oucherif; mit seiner Lebenserfahrung und seiner Fähigkeit, sich schnell einzufinden in der neuen Heimat. - Die Gespräche mit der Personalabteilung laufen. Die BLG hat erkannt, dass Flüchtlinge Potential und Energie ins Land bringen, sagt der Leiter der Abteilung für Personalentwicklung, Angelo Caragiuli. Eines wird seiner Meinung nach aber häufig vergessen:
"Die sind zwar zum Teil recht gut qualifiziert, aber die kennen natürlich das deutsche Arbeitssystem so gut wie gar nicht. Und die Institutionen, die sie auffangen, sag ich mal - Arbeitsagenturen oder die typischen Betreuungsinstitutionen - sind ja auch nicht allzu arbeitgebernah. Das heißt: Die haben in der Regel auch keinen guten Überblick darüber, was es denn überhaupt für Arbeitsperspektiven gibt."
Die Arbeitgeber müssen aktiver werden
Bei Youssef Fakie hat vieles gut funktioniert, sagt der Personaler. Die Arbeitsvermittlerin der Agentur für Arbeit hat ja auch persönlich im Unternehmen angerufen und nachgefragt. Auf lange Sicht werden Flüchtlinge aber nur dann schnell Arbeits- oder Ausbildungsplätze finden, wenn auch die Arbeitgeber aktiver werden. Diese Anstrengung wird sich lohnen, meint Angelo Cargiuli; besonders dort, wo Fachkräfte dringend gesucht werden:
"Worüber wir nachdenken, ist so ein Modell von Tages-Praktikum. Dass man sagt: Ihr wisst ja gar nicht, was auf euch zukommt. Wir bieten mal die Möglichkeit, mal einen Tag beispielsweise einen Tag mit einem Auszubildenden bei uns mitzulaufen, um überhaupt mal ein Gefühl zu bekommen, sich in einem Großunternehmen zu bewegen, was es hier für Spielräume und Abläufe gibt. Das ist natürlich alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein, kann auch das grundsätzliche Problem nicht lösen. Aber das ist das, wo ich mir vorstellen kann, dass man als Arbeitgeber einen Beitrag zur Orientierung leisten kann."
Im besten Fall helfen solche Ideen dabei, Flüchtlinge möglichst schnell nach ihrer Ankunft in Deutschland wieder auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist auch Ziel des Modellprojekts, an dem Youssef Fakie teilnimmt. Ende des Monats zieht die Bundesagentur für Arbeit Bilanz und stellt Zahlen vor: Wie viele Projekt-Teilnehmer inzwischen Arbeit, wie viele Praktikums- oder Ausbildungsplätze gefunden haben.
Danach wird entschieden, ob das Modellprojekt künftig in mehr als sechs deutschen Städten angeboten wird.
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