Modedesign von der Straße

Gullydeckel auf dem T-Shirt

Die Textildesignerin Emma Raff überträgt die Muster der Stadt auf T-Shirts.
Die Textildesignerin Emma Raff überträgt die Muster der Stadt auf T-Shirts. © Deutschlandradio / Gesine Kühne
Von Gesine Kühne · 16.12.2017
Die Schönheit eines Gullydeckels bleibt den meisten wohl verborgen. Die Textildesignerin Emma Raff jedoch bleibt stehen, wo andere achtlos vorbeigehen. Mit Textilfarbe überträgt sie die Muster von Gullydeckeln und anderen Objekten auf T-Shirts und Stoffbeutel.
Es ist ein sonniger aber kalter und vor allem windiger Tag in Berlin. Emma Raff, eingemummelt in einen pinkfarbenen Skianzug, packt auf dem sandigen Boden zwischen zwei Bäumen ein großes Stück Stoff, mehrere T-Shirts und Malerutensilien aus.
"Ich habe dabei: Farbe, wir haben so eine eigne Mischung entwickelt, also 'ne Textilfarbe auf Wasserbasis, umweltfreundlich, man kann die vom Metall wieder gut wegwaschen, fixiert aber auf den T-Shirts. Dann habe ich dabei eine Rolle, dann ein paar Lappen zum Saubermachen danach."
Sie beugt sich über einen Kanaldeckel.
"Mein Vater hat mir das nahegelegt, dass die überall anders sind, diese Gullydeckel. Und ich hab schon vor zehn Jahren den ersten Abdruck gemacht."
Die Textildesignerin Emma Raff überträgt die Muster der Stadt auf T-Shirts.
Die Textildesignerin Emma Raff überträgt die Muster der Stadt auf T-Shirts.© Deutschlandradio / Gesine Kühne
Emma Raff ist die "Raubdruckerin". Die 35-Jährige sucht nach Mustern auf der Straße, nach Strukturen. Angewöhnt hat sie sich das schon ihrem Studium, besonders haben es der Textildesignerin Kanaldeckel angetan. Deren Abdruck bannt sie auf T-Shirts, Stofftaschen und Pullis.
"Oft sind ja auch Sachen dargestellt, die in den Städten zu finden sind."
In Berlin ist es in diesem ganz speziellen Fall: Fernsehturm, Brandenburger Tor, Reichstag, Goldelse – ja, alles zu finden auf diesem einen Kanaldeckel der Berliner Wasserbetriebe, vor dem sie jetzt kniet. Emma bürstet Sand und Steinchen aus den Zwischenräumen des Deckels. Schmutz würde die Farbe verunreinigen. Und letztlich das Druckergebnis versauen. Sorgfältig bewegt Emma eine kleine Farbwalze über den Gullydeckel. Jede noch so kleine Stelle wird mit der schwarzen Textilfarbe bedeckt.
"Ich hab alles eingerollt mit der Farbe. Jetzt lege ich dieses T-Shirt hier vorsichtig drauf. Und drücke es an."

Die Schönheit des Alltäglichen

Die Raubdruckerin ist am Werk. Nimmt sich, was die Stadt ihr im öffentlichen Raum zu bieten hat. Natürlich gucken Passanten. Die Künstlerin im pinkfarbenen Anzug wie sie auf dem Boden hockt und schließlich konzentriert ein T-Shirt auf einen Kanaldeckel drückt, fällt auf. Neugierige bleiben stehen, stellen Fragen, darunter auch das Ordnungsamt und die Polizei. Ärger gibt es aber keinen. Weder von der Polizei noch von den Wasserbetrieben, deren Deckel hier gerade mit schwarzer Farbe eingepinselt wurde, um das Motiv spiegelverkehrt auf ein beigefarbenes T-Shirt zu drucken.
"Die Leute finden es irgendwie gut. Ich hab das Gefühl, dass es auch so einen Alltag brechen kann. Plötzlich passiert etwas anderes."
Und genau das ist das Anliegen von Emma Raff. Den Alltag brechen und somit Aufmerksamkeit auf übersehene Objekte wie Kanaldeckel lenken. Wer guckt sich die schon an, wenn er oder sie meist gehetzt die Straße entlang eilt? Außerdem möchte sie Raum nutzen, öffentlichen Raum. Und ihre Mitmenschen dazu bringen, das auch zu tun. Vor allem gefällt ihr, dass ihre Werke nicht in Fabriken produziert werden.
"Dadurch, dass man was auf der Straße druckt, auf der Straße herstellt, macht ja ne ganz andere Verbindung zu den Menschen, die einen umgeben. Menschen zu treffen während man T-Shirts druckt, ist schon auch ne andere Art zu arbeiten."
Geld verdienen lässt sich auf diese Art und Weise auch noch: die Raubdruckerin-Shirts kosten um die 50 Euro. Aber darum geht es gar nicht. Drucken am Gully, das fühlt sich nachbarschaftlich an, lokalpatriotisch – etwas, das in einer großen Stadt wie Berlin schnell verloren gehen kann.
(mw)
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