Mitzvah Day

Berliner Juden besuchen muslimische Flüchtlinge

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, verteilt im Rahmen des Mitzvah Day Essen an die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, verteilt im Rahmen des Mitzvah Day Essen an die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin. © picture alliance /dpa Jörg Carstensen
Von Igal Avidan · 04.12.2015
Die Idee entstand vor 20 Jahren in den USA: Juden sollten sich einmal im Jahr – freiwillig und öffentlich – für Hilfsbedürftige einsetzen. Beim "Tag der guten Taten", dem "Mitzvah Day" in Berlin, setzten sich viele der Teilnehmer für Flüchtlinge aus Syrien ein.
Ein Fußballspiel im einem Berliner Innenhof. Ein Dutzend junge Männer und eine junge Frau kicken den Ball herum und rufen einander zu – überwiegend auf Arabisch. Einige Fußballer tragen grüne T-Shirts mit jüdischen Begriffen auf der Rückseite: "Tikkun Olam", Hebräisch für Weltverbesserung und "Tzedek", Gerechtigkeit. Die anderen Fußballer sind überwiegend syrische Flüchtlinge. Denn die Partie findet in einem Berliner Erstaufnahmeheim statt.
"Viele Leute haben mich angesprochen und gesagt: ‚Wie können wir etwas machen?' und haben aber diese Hemmschwelle, dass sie nicht genau wissen, wie kommt man hier rein? Wo muss ich mich anmelden? Bin ich willkommen überhaupt als Jude?"
...sagt Nina Peretz von der Synagoge Fraenkelufer in Berlin. Kein Flüchtling scheint sich an der Identität der 60 jüdischen Freiwilligen zu stören. Aus dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin kam zwar niemand, dafür aber Mitarbeiter des Zentralrats der Juden in Deutschland, die den sogenannten "Mitzva Day", den "Tag der guten Tat" zum dritten Mal in diesem Jahr zum Thema Flüchtlingshilfe initiiert haben.
Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats, will die Integration der Flüchtlinge erleichtern:
"Ich möchte ein normales Leben führen"
Im Flur kommt mir ein etwa 40-jähriger großgewachsener und egelanter Mann entgegen. Der Textilhändler aus der syrischen Stadt Idlib will anonym bleiben, ist aber bereit, einige Fragen zu beantworten. Ein junger Israeli übersetzt. Wie findet er die Hilfe durch Juden und Israelis?
"Ich danke den Menschen aller Religionen und Völkern für den netten Empfang und das freundliche Entgegenkommen. Hier bin ich mit meiner Frau, den beiden Töchtern und meinem Sohn. Meine Verwandten sind in Idlib geblieben, da meine Mutter krebskrank ist und nicht verreisen kann. Wir können auch nicht miteinander telefonieren. Mit Gottes Hilfe werde ich meine Kinder einschulen, Deutsch lernen und dann eine Arbeit wie früher suchen. Inschallah, möchte ich ein normales Leben führen. Solange in Syrien Krieg herrscht, werde ich nicht zurückkehren. Wir waren dort bereits zwei-, dreimal in Lebensgefahr und ich habe mein Haus, meinen Wagen und mein Geschäft verloren. Wenn die Fremden mein Land verlassen und die Lage sich beruhigt, kann ich mir vorstellen zurückzukehren. Aber Gott allein weiß, wann dieser Krieg beendet wird."
Der 26-jährige Rafik kam hierher als Helfer und Dolmetscher für die Synagogenbesucher. Er stammt aus einem Vorort von Damaskus und lebt seit sieben Monaten in Deutschland. Seinen wirklichen Namen möchte er aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Seine Familie lebt in der Türkei. In Syrien studierte er Medizin und jetzt macht er ein Praktikum als Helfer eines Chefarztes in der Inneren Medizin. Rafik will selbst Arzt werden, vielleicht sogar in Damaskus. Denn er kann sich eine Heimkehr nach der Assad-Ära gut vorstellen. Würde er dann seine neugewonnenen Freunde von der Synagoge Fraenkelufer zu sich nach Hause einladen?
"Auf jeden Fall. Wir haben eine starke Beziehung aufgebaut. Alle Leute hier... Also jede Person, die ich hier getroffen habe, habe ich ihn eingeladen. Aber ich hoffe darauf, dass alles okay wird! Dann lade ich auch dich ein!"
Bei der Spendenannahme packten währenddessen jüdische Freiwillige Kartons mit gespendeter Kleidung, Decken und Hygieneprodukten. Junge jüdische Frauen sortieren die Sachspenden nach der Größe und dem Geschlecht – für Männer, Frauen und Kinder.
"Ganz viele Leute haben Spenden gebracht"
Nina Peretz hilft mit und ist sehr glücklich über die Freundlichkeit der Mitarbeiter des Flüchtlingsheims, die Dankbarkeit der Heimbewohner und stolz auf die Synagoge Fraenkelufer.
"In dem Moment, in dem wir gesagt haben, wir sammeln jetzt Spenden, war sofort die Rückmeldung: Klasse. Und ganz viele Leute haben Spenden gebracht. Und dann haben die Leute angefangen sich anzumelden für diesen Tag und es wurden immer mehr und mehr. Also ich war ganz positiv überrascht."
Während die kleinen Kinder in Begleitung ihrer Mütter sich in einem Raum schminken lassen, malen andere, basteln oder bereiten Energiebälle zu. Im Treppenhaus helfen zwei Arabisch sprechende Jungs einer jüdischen Freiwilligen beim Tragen einer Sitzbank.
Einer der Jungs trägt eine grüne runde Plakette um seinen Hals mit der Aufschrift "Mitzvah Day – ich mache mit" und seinem Namen: Mohammed.
Nina Peretz will den Mitzva-Tag bereits in einem Monat fortsetzen:
"Ganz am Anfang sind schon uns die Kinder hinterher gerannt und wollten mitmachen und wollten bei dem Kinderprogramm mit dabei sein. Wir haben überhaupt nicht versteckt, dass wir jüdisch sind. Ich möchte ganz herzlich, Leute vom Fraenkelufer oder von den anderen Organisationen einladen, mit dabei zu sein, dass wir was regelmäßig auf die Beine stellen, weil die Aufgabe endet ja nicht heute und sie endet auch nicht in ein paar Wochen."
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