"Mitten im Sturm"

Gesehen von Hannelore Heider · 04.05.2011
Ein stalinistisches Straflager als Kulisse für eine melodramatische Handlung - warum nicht? Doch dem Film der niederländischen Regisseurin Marleen Gorris mangelt es nicht nur an Einfühlung, sondern auch an glaubwürdigen Charakteren.
Mit der auf eine Spielfilmhandlung konzentrierten, dramatisierten Verfilmung der autobiografischen Bücher von Jewgenija Ginsburg thematisiert die niederländische Autorin und Regisseurin Marleen Gorris wohl zum ersten mal für ein breites Kinopublikum die Hölle stalinistischer Straflager.

Chronologisch und in konventionellem Erzählstil mit ausgebleicht-nostalgischer Farbgebung und Streichorchesterbegleitung wird eine Zeit des Misstrauens, des Verrats und der Angst ausgemalt, die alle menschlichen Beziehungen angesichts einer Welle von Verhaftungen und willkürlichen Anklagen zerfrisst.

Jewgenija Ginsbrug (Emily Watson) lebt mit Mann (Benjamin Sadler) und Kind privilegiert in einer großen Wohnung in Kasan. Ihr Mann und sie sind angesehene Parteimitglieder, und trotzdem werden sie Opfer der stalinistischen Säuberungswelle, mit der sich Stalin nach 1937 innerparteilicher Kritiker entledigte. Als Professorin und Autorin einer Zeitschrift wird sie ausgerechnet von einer Freundin als Volksschädling angezeigt und kann sich in den anschließenden Verhören nicht rehabilitieren. Da sie sich der gängigen Praxis nicht beugt, aus Selbstschutz andere zu verdächtigen oder Selbstkritik zu üben, wird sie in einem nur Minuten dauernden Prozess zu 10 Jahren Haft in einem sibirischen Straflager verurteilt.

Der zweite Teil des Filmes zeigt, wie unter den unmenschlichen Bedingungen des sibirischen Winters, harter Arbeit, von Hunger und bestialischen Torturen durch die Wärter die Lebenskraft auch dieser stolzen, mitfühlenden Frau zu zerbrechen droht – wären da nicht die Literatur und die Frauen um sie herum, denen sie vorliest und vorträgt. Zur Rettung aber wird die Liebe zu dem deutschen Lagerarzt Anton Walter (Ulrich Tukur), der - selbst ein Häftling - Menschenleben zu erhalten sucht.

Die Regisseurin beschränkt sich auf wenige, bezeichnende Szenen, um die Hölle des Lagers auszumalen, die Zumutungen für den Zuschauer halten sich also in Grenzen. Doch wie schon im Leben davor, in Kasan, gibt es in ihrem Film nur plakative Schwarz-Weiß-Zeichnungen für die Charaktere. Einzig Ulrich Tukur und mit Abstrichen auch die sich redlich mühende Emily Watson vermögen, aus ihren Figuren einigermaßen glaubwürdige Charaktere zu machen. Die eigentliche Tragik des Geschehens allerdings erreicht den Zuschauer über bloßes menschliches Mitgefühl hinaus kaum. Für eine erkenntnisreiche, differenzierte Betrachtung von Geschichte ist der Film damit ebensowenig geeignet, wie er zum veritablen Melodram taugt. Dafür fehlt ihm schlicht die Emotionalität, was angesichts der geschilderten Schicksale schon eine erstaunliche Fehlleistung ist.

Deutschland, Polen, Belgien 2009, Regie: Marleen Gorris, Darsteller: Emily Watson, Ulrich Tukur, Ian Hart, Benjamin Sadler, Agata Buzek u. a., FSK: ab 12 Jahren, Länge: 106 Minuten

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