Mit tödlichen Risiken und Nebenwirkungen

09.07.2007
Die Pharma-Industrie ist die wirtschaftsstärkste Branche weltweit. Mit einigen wenigen Medikamenten erzielen die Konzerne gigantische Gewinne - und vernachlässigen dabei die Forschung. Jacky Law ist in ihrem Buch "Big Pharma" den ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Hintergründen dieser Branche auf den Grund gegangen.
Das Szenario sieht düster aus: verfehlte Gesundheitsreformen, explodierende Kosten und Patienten, die sich massenhaft von der Schulmedizin abwenden. Über 100.000 US-Amerikaner sterben pro Jahr an Nebenwirkungen von Medikamenten. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" stellt fest, dass die Pharma-Firmen die Forschung vernachlässigten.

Den ökonomischen, historischen, politischen, psychologischen und wissenschaftlichen Hintergründen dieser Kritik ist die britische Wissenschaftsjournalistin Jacky Law, die sich seit 25 Jahren ausschließlich mit dem Thema "Gesundheitswesen" beschäftigt, in ihrem Sachbuch "Big Pharma. Das internationale Geschäft mit der Krankheit" auf atemberaubende Weise nachgegangen. Die in dem Buch benutzen Daten stammen zwar aus dem angelsächsischen Raum, die Pharma-Firmen und die dort benutzten Medikamente allerdings sind die gleichen wie in Deutschland, und die Fakten aus dem britischen Gesundheitswesen sind übertragbar auf Deutschland.

Die Pharma-Industrie ist weltweit die Geldmaschine Nummer 1: Jahresumsatz eine halbe Billion Dollar. Unter den 500 umsatzstärksten Wirtschaftsunternehmen der Welt belegen die global agierenden Pharma-Konzerne die ersten zehn Plätze.

90 Prozent des Medikamentenumsatzes weltweit werden von zwei Medikamenten erwirtschaftet: auf Platz eins liegen die Cholesterin-Senker, die die Hoffnung vermitteln sollen, auch bei ungesunder Lebensführung nicht zu früh zu sterben, die Nebenwirkungen haben allerdings in den USA bisher zu 28.000 Herzinfarkten und Schlaganfällen geführt, was so viele Tote bedeutet, als würden, so Jacky Law, "jede Woche drei Jumbo-Jets abstürzen".

Auf Platz zwei der weltweit marktbeherrschenden "Blockbuster-Medikamente", wie man sie nennt, stehen Antidepressiva, die auch in Deutschland oft Jugendlichen verschrieben werden; mittlerweile steht fest, dass diese Präparate hochgradig süchtig und selbstmordanfällig machen und Amok-Reaktion auslösen können.

Die Pharma-Industrie forscht zwar, aber sie erforscht im Wesentlichen jene Krankheitsbereiche, die am meisten Profit abzuwerfen versprechen. Ein Hauptaugenmerk der Forschung liegt im Moment zum Beispiel auf der Entwicklung eines Medikaments gegen Fettleibigkeit, sozusagen Hand in Hand mit der Fast-Food-Industrie-, das pro Pharma-Unternehmen zirka 30 Milliarden Dollar Profit erwirtschaften würde. Und wenn es keinen Markt gibt, dann versucht die Pharma-Industrie künstlich einen Bedarf zu suggerieren, indem sie zum Beispiel neue Krankheiten wie die "dsyfunktionale weibliche Sexualität" erfindet, ein mittlerweile gescheiterter Versuch, den Viagra-Markt auf Frauen auszudehnen.

"Big Pharma" ist ein für den Wissenschaftler wie für den Laien faszinierender Wissenschaftsthriller, einerseits ein bedrückendes Zeitzeugnis, das allerdings Arzt wie Patient auf der anderen Seite auch gesellschaftliche und medizinische Alternativen anbietet, wie zum Beispiel eine bewusste Lebensführung, Ernährung und eine neue Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient.

Dass die Autorin Jacky Law dieses Monsterthema wirklich in all seinen Facetten und Verästelungen in den Griff bekommen hat, verdient uneingeschränkte Bewunderung: "Big Pharma" ist präzise, detailliert, hochwissenschaftlich und gleichzeitig enorm verständlich und lesbar, ein perfektes, hochbrisantes, spannendes und leidenschaftliches Sachbuch.

Rezensiert von Lutz Bunk

Jacky Law: Big Pharma. Das internationale Geschäft mit der Krankheit
Patmos Verlag 2007
Übersetzt von Christoph Trunk
330 Seiten, 24,90 Euro