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Nach BGH-Urteil zur Krankenversicherung
Privatversicherte können weiter gegen zu hohe Beiträge klagen

Im Dezember hat ein BGH-Urteil die Hoffnungen von Privatversicherten auf Rückerstattungen im großen Stil zunichte gemacht. Sie hatten die Unabhängigkeit der Treuhänder angezweifelt, die den Beitragserhöhungen der privaten Krankenversicherungen zustimmen müssen. Dennoch könnten Versicherte von dem Urteil profitieren.

Von Daniela Siebert | 15.02.2019
    Unterschrift und Stempel "Krankenversicherung" auf einem Blatt Papier, auf dem der Stempel mit der Aufschrift "Krankenversicherung" liegt
    Auch nach dem BGH-Urteil haben Privatversicherte Chancen gegen Prämiensteigerungen zu klagen. (imago stock&people / McPhoto)
    Nur etwa 15 Personen arbeiten in der Bundesrepublik als Treuhänder für rund 45 private Versicherungsunternehmen mit zahllosen verschiedenen Tarifen. Die Quintessenz des BGH-Urteils vom Dezember 2018 lautet: die Unabhängigkeit eines ordnungsgemäß bestellten Treuhänders haben Zivilgerichte nicht zu bewerten. Sie müssen allein sicherstellen, dass die Prämienanpassungen "materiell", also in der Sache richtig waren.
    AXA heißt die Versicherung, die diese Einzelfallentscheidung als Beklagte herbeigeführt hatte und die das Urteil umgehend begrüßte. Auch beim "Verband der Privaten Krankenversicherung" herrscht Freude. Geschäftsführer Stefan Reker: "Wir sind natürlich froh, dass der BGH bestätigt hat, dass die Beitragsanpassungen völlig korrekt verlaufen sind, dass die Treuhänder unabhängig waren und dass eben die Interessen der Versicherten in dem bestehenden Verfahren absolut gewahrt sind."
    Doch so eindeutig ist die Lage nicht. Denn endgültig entschieden ist weder der vom BGH verhandelte Einzelfall - über den muss jetzt die Vorinstanz, das Landgericht Potsdam erneut befinden -, noch ist die Streitfrage der Unabhängigkeit der Treuhänder geklärt.
    Prämienerhöhungen oft unwirksam, weil nicht plausibel
    Auch seien damit die weiteren Argumente nicht vom Tisch, die in den meisten Klagen gegen Beitragserhöhungen ebenfalls eine Rolle spielen, erklärt Rechtsanwalt Knut Pilz, der viele solcher Fälle vertritt: "Wir haben schon mehrere Urteile vorliegen, wo aus anderen Gründen die Prämienerhöhungen als unwirksam angesehen wurden: Der Versicherer ist verpflichtet, die wesentlichen Gründe, warum er jetzt konkret in dem Tarif die Prämienanpassung erfüllt, so darzustellen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer das im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehen kann. Und es müssen die "aktuariellen", die mathematischen Voraussetzungen, vorliegen, dass der Versicherer überhaupt anpassen darf."
    Eine Folge des BGH-Urteils wird sein, da sind sich PKV und Kontrahent Pilz einig, dass die Gerichte in Zukunft intensiver "materiell" prüfen müssen, also ob die Berechnungen tatsächlich richtig sind, die den Beitragserhöhungen zugrunde liegen. Damit könnten solche Prozesse noch aufwändiger und langwieriger werden. Sich per Überprüfungsklage gegen die Erhöhungen zu wehren, kommt somit fast nur noch für sehr wohlhabende oder rechtsschutzversicherte Betroffene in Frage. Aber selbst wenn: Manch eine Rechtsschutzversicherung droht schon nach dem BGH-Urteil die Unterstützung zu kappen unter Verweis auf mangelnde Aussicht auf Erfolg.
    Ombudsmann kann Verjährungsfristen verlängern
    Eine andere Helfer-Institution kann derweil wenig tun: Der für privat Krankenversicherte zuständige Ombudsmann Heinz Lanfermann kann zwar grundsätzlich Schlichtungen zwischen den Versicherten und den Unternehmen herbeiführen. Gerade bei solchen Streitfällen fruchtet das aber nicht, ließ er den Deutschlandfunk wissen. Immerhin: eine Befassung des Ombudsmanns kann Verjährungsfristen verlängern. Mehrere tausend Versicherte machten sich das schon zu nutze.
    Befriedet und eindeutig ist die Gemengelage noch lange nicht. Selbst die Frage nach der Unabhängigkeit der Treuhänder will Rechtsanwalt Pilz noch juristisch klären lassen: "Weil nach der Argumentation des BGH letztlich jeder Treuhänder werden könnte und diese Filterfunktion, die der haben soll, dass er die Rechte der Versicherten wahrnimmt, die ist aus meiner Sicht jetzt nicht mehr gewährleistet. Wir haben jetzt seit Kurzem die Entscheidungsgründe vorliegen und haben das Urteil schon eingehend analysiert, und gehen Stand heute davon aus, dass wir gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde einlegen werden."
    Fazit also: Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit von Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung werden noch diverse deutsche Gerichte beschäftigen.