"Mit Girlies haben wir nichts zu tun"

Moderation: Stephan Karkowsky · 17.04.2008
Feministisch, antifeministisch - das sind für Jana Hensel und Elisabeth Raether Kategorien aus längst vergangenen Zeiten. Die Benachteiligung von Frauen sei heute viel subtiler als in den 70ern, deshalb hätten auch die alten Kampfbegriffe keine Gültigkeit mehr, meinen die Autorinnen des Buches "Neue deutsche Mädchen".
Stephan Karkowsky: Junge Frauen definieren sich im Lichte der Gleichberechtigung alle Jahre wieder neu. Ihnen wird ja wohlmöglich schon aufgefallen sein, dass dies in diesem Frühjahr besonders häufig geschieht mit Seitenhieben auf Alice Schwarzer, die angeblich gar nicht mehr weiß, was neue deutsche Mädchen eigentlich wirklich wollen, geschweige denn, was sie sind. Vielleicht können uns ja unsere Studiogäste da weiterhelfen. Denn schließlich lautet der Titel ihres Buches so. "Neue deutsche Mädchen", geschrieben von Jana Hensel und Elisabeth Raether. Guten Morgen!

Jana Hensel: Hallo!

Elisabeth Raether: Schönen guten Morgen!

Karkowsky: Zwei Frauen um die 30 schreiben gemeinsam ein Buch übers Frausein. Die Kritiker gucken da rein, und manche sind entweder enttäuscht, dass so wenig Neues drinsteht, manche sind verärgert, dass sich zwei Frauen in ihrem Alter noch Mädchen nennen. Das hat mich, ehrlich gesagt, auch irritiert. Was stört Sie am Frausein?

Raether: Das war eigentlich eine ästhetische Entscheidung. Der Buchtitel ist eine zugespitzte Bezeichnung. In dem Text selber bezeichnen wir uns natürlich als Frauen, und wir bezeichnen uns auch im richtigen Leben natürlich als Frauen. Wir wollten das Mädchen, weil das was Zartes, was Versönliches hat, was Leichteres als Frau. Frau ist ja auch so ein bisschen so ein politischer Kampfbegriff geworden. Und wir wollten das, dieses Zarte und Versöhnliche, weil wir glauben, dass das dem Feminismus bisher gefehlt hat, dass die Zwischentöne nicht gehört werden, wenn diese feministischen Parolen ausgerufen werden. Deswegen, wir wollten persönlich erzählen, wir wollten über die Liebe erzählen, weil wir glauben, dass das bisher ignoriert wurde.

Hensel: Und nebenbei gesagt, sind wir total erstaunt über diese extreme Diskussion über das Wort Mädchen. Uns war das Deutsch das wichtigere Wort im Titel.

Karkowsky: Deutsche Mädchen?

Hensel: Wir haben eigentlich gedacht, dass darüber sich eine Diskussion ergibt.

Karkowsky: Welche denn?

Hensel: Warum wir sozusagen deutsche Mädchen sagen. Na ja, man sagt noch nicht so lange, es ist noch nicht so lange her, dass wir wieder selbstbewusst deutsch, das Wort Deutsch überhaupt benutzen.

Karkowsky: Das wäre ja dann auch wirklich ein politischer Ansatz. Und gerade habe ich gehört, so ums Politische ging es Ihnen ja eigentlich gar nicht so.

Hensel: Das ist eine Definition des Politischen.

Karkowsky: Das, was ich rausgehört habe, war doch eigentlich eine Fortsetzung der Tradition der Girlies. Die Girlies der 90er, die waren zwischen 13 und 23. Jetzt, 15 Jahre später, wären sie zwischen 28 und 38, da fallen Sie rein in diese Spanne. Ist das denn tatsächlich so, dass Sie aus dieser Tradition herauskommen, der Tradition der Girlies.

Hensel: Es geht um die Definition des Politischen. Ich glaube, dass unser Buch hochpolitisch ist. Eine Parole des alten Feminismus ist, das Private ist politisch. Alice Schwarzer hat sich immer mehr davon verabschiedet. Sie kümmert sich um Themen wie Prostitution, Pornografie, um Magersucht, um Islamismus. Wir gehen tatsächlich zurück ins Private und beschreiben es politisch, weil wir glauben, dass Männer und Frauen sich in Beziehungen in ihrem privaten Sein sich genauso verhalten, wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten, wie sie sich im Beruf verhalten.

Und so versuchen wir, die Dinge sozusagen auf eine alltägliche Ebene zu bringen. Wir versuchen, diese alten, feministischen Themen zu entideologisieren und gleichzeitig sozusagen alle Themen des Lebens mit hineinzunehmen. Insofern ist unser Buch hochpolitisch, wenn auch nicht in diesem alten Engagementbegriff, von dem ich glaube, dass er ohnehin niemanden mehr erreicht und überhaupt ja auch sonst nicht mehr, auch in der Politik ja keine Anwendung mehr findet.

Karkowsky: Es erzählt ja hauptsächlich vom Privaten, Ihr Buch. Und, um noch mal auf dieses Girlie-Phänomen zu kommen, ich darf hier mal aus Wikipedia zitieren. Da heißt es: "Aus feministischer Sicht stellt das Girlie-Phänomen einen Rückschritt dar, indem das Girlie wieder zur Komplizin frauendiskriminierender Strukturen eines patriarchalischen Systems wurde." Das ist natürlich eine hohe Definition. Aber Sie sagen ja auch, Sie wollen mit diesen alten Feministen nichts mehr zu tun haben. Macht das Sie zu Antifeministinnen?

Hensel: Ja, aber wir haben auch mit den Girlies nichts zu tun.

Raether: Überhaupt nicht.

Hensel: Ehrlich gesagt, ist das jetzt ein Wort, worüber wir noch nie nachgedacht haben, und weder grenzen wir uns von denen ab, noch meinen wir uns damit. Aber, ich glaube, Elisabeth ...

Raether: Na, ich hab in dem Buch ein Kapitel geschrieben, das heißt "Sex wie ein Mann", über Anpassung. Und da beschreibe ich ja die 90er Jahre, und das war die Zeit der Girlies. Ich verwende den Begriff Girlie nicht, aber ich schreibe über "Sex and the City", ich schreibe über dieses feministische Vakuum, was man tatsächlich auch als antifeministisch dann bezeichnen kann. Das heißt, antifeministisch, feministisch, das sind nicht für uns die Kategorien. Wir haben uns gefragt, wie kann man spezifisch-weibliche Angelegenheiten heute erzählen. Und ich glaube, man kann da nicht die gleiche Rhetorik haben wie in den 70er Jahren. Und das ist das, was man uns als sozusagen als vage, sozusagen als unentschieden, zum Teil bezeichnet man uns ja auch als niedlich, was ich nicht als Kompliment auffasse.

Karkowsky: Es ist aber bestimmt auch nicht so gemeint gewesen.

Raether: Nein, genau. Das Vage sozusagen, das wird uns vorgehalten. Und ich empfinde das aber als, beziehungsweise für uns ist das der Versuch, differenziert zu denken. Und jede Differenzierung, jede Nuance wird sozusagen, als müsste man in so einer politischen Bewegung immer nach vorne schreiten, wird sozusagen als Antibewegung aufgefasst. Und so sehen wir das natürlich nicht.

Karkowsky: Wir reden im "Radiofeuilleton" mit den Autorinnen des Essay-Bandes "Neue deutsche Mädchen" Jana Hensel und Elisabeth Raether. Wenn Sie sagen, das ist so politisch, was wir geschrieben haben, wie lautet denn die Definition des neuen deutschen Mädchens?

Hensel: Ich glaube, das neue deutsche Mädchen, und auch da will ich mich jetzt gar nicht festlegen auf ein, zwei Sätze. Wir haben 220 Seiten geschrieben, wir haben zehn Kapitel geschrieben. Diesen Platz brauchen wir für das, was Elisabeth gerade als differenziert betrachtet. Obendrein, wir sind Autorinnen. Wir sind keine Politikerinnen.

Karkowsky: Aber Sie wollen politisch schreiben, das haben Sie gerade gesagt?

Raether: Ja, das schließt sich ja nicht aus. Aber Politikerinnen, deren Job ist es, Politikerinnen zu sein. Wenn Autoren politisch schreiben, dann tun sie das auf andere Art als Politikerinnen. Das heißt, wir brauchen diesen Platz. Und es geht uns nicht sozusagen um Dreisatzdefinitionen der neuen deutschen Mädchen. Aber wenn man vielleicht etwas sagen kann. Wir beschreiben das Lebensgefühl von jungen Frauen heute, von denen wir glauben, dass sie sozusagen feministisch denken, ohne sich als Feministinnen zu bezeichnen. Sie schwören dieser Kampfbewegung, diesen Kampfbegriffen ab und setzen sich auf eine selbstbewusste Art mit ihrer Gegenwart auseinander.

Karkowsky: Ja, das kann man so sagen. Antifeministinnen wollen Sie nicht sein. Wir können mal ein Zitat aus Ihrem Buch hören, das klingt so:

Es ist schwieriger geworden, von der Liebe zu träumen. Das ist der Preis für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, der Preis, den wir dafür zahlen, dass wir selbst über unser Liebesleben bestimmen.

Karkowsky: Das klingt zunächst mal romantisch. Sie sagen, Sie sind Autorinnen, keine Politikerinnen. Ist ja auch richtig, klingt auch ein wenig melancholisch. Die Frauen müssen einen Preis zahlen für die Frauenbewegung. Was für ein Preis ist das dann genau?

Raether: In dem Zitat war das jetzt nicht so gemeint, dass die Frauen den Preis zahlen, sondern wir, das hat die Männer miteingeschlossen.

Karkowsky: Ach so?

Raether: Ja.

Karkowsky: Aha.

Raether: Tatsächlich. Ich schreibe ja, das ist ein Zitat aus dem Kapitel über meine Eltern. Und ich beschreibe, wie das Ehemodell meiner Eltern nicht funktioniert hat, wie sie gescheitert sind. Ich beschreibe die Scheidung meiner Eltern. Und da ist ja, glaube ich, etwas, was sehr viele in meiner Generation erlebt haben, ihre Eltern lassen sich scheiden. Und dieser letzte Absatz, der jetzt gerade zitiert wurde ...

Karkowsky: Das ist der Preis der Frauenbewegung?

Raether: Nein, das hat mit der Frauenbewegung nichts zu tun. Ich sage damit, das ist der Preis, den wir zahlen für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Und mit wir meine ich auch die Männer. Ich glaube, das ist auch für die Männer schwieriger geworden.

Karkowsky: Ist der Preis denn zu hoch?

Raether: Der letzte Satz ist ja, das ist eine wichtige, aber müßige Frage, ob wir so leben wollen. Aber wir haben uns bereits dafür entschieden. Das sage ich ja. Es ist ja nicht so, dass ich durch diese Melancholie, die in dem Kapitel natürlich mitschwingt, dass ich dadurch Dinge rückgängig machen möchte. Es geht nur darum, dass ich finde, dass man das problematisieren muss.

Karkowsky: Aber das ist ja das Unentschiedene. Sie wollen Dinge nicht rückgängig machen, kritisieren aber doch, was da ganz früher halt gemacht wurde von Frauen wie Alice Schwarzer, die sich eingesetzt haben?

Raether: Die Zeit hat sich verändert.

Karkowsky: Wir wollen mal ein Zitat aus dem Buch noch hören:

Auf eine gewisse Art finde ich es noch immer toll, dass Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen begonnen haben, für die Gleichheit der Geschlechter zu kämpfen, aber mehr als das. Und was sie bis jetzt erreicht hat, wird diese Generation nicht erreichen. Die Zeit hat sie eingeholt, ihre Rhetorik ist oll. Alice Schwarzer und ihre Frauen sind Historie.

Karkowsky: Alice Schwarzer ist uncool, ist ja im Grunde genommen das, was Sie sagen, die olle Rhetorik. Und das ist das, wo die Feministinnen dann wieder ankommen und sagen, nee, das sind eigentlich nicht unsere Frauen, die da kämpfen für uns.

Hensel: Elisabeth ist gebürtige Heidelbergerin, ich bin aus Leipzig. Wir sind beide in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nach Berlin gekommen. Wir sind sozusagen auch mit diesem neuen Berlin erwachsen geworden. Wir haben dort Affären gehabt, wir haben dort Beziehungen begonnen. Wir haben unsere ersten beruflichen Erlebnisse, Erfahrungen gemacht. Auch darüber schreibe ich. Ich schreibe über meine Erfahrungen in diversen Journalistenredaktionen. Ich erzähle dort, wie ich dort gescheitert bin auf eine ehrliche, persönliche Art, die viele Leser mir als mutig attestieren. Wir beschreiben nicht nur das Private. Und das ist ein Lebensgefühl von jungen Frauen in Rollenwirrwarr.

Karkowsky: Sie hatten doch mal was anderes vor. Lassen Sie uns eins noch hören:

Vor einem Jahr konnten wir uns nicht vorstellen, ein Buch über Frauen zu schreiben, ohne mit einer Einführung zu beginnen, in der Alice Schwarzer eine wichtige Rolle spielt. Heute schon. Wir haben gemerkt, dass wir andere Themen viel interessanter finden. Wie es sich anfühlt, wenn man eine Affäre beginnt oder beendet. Oder warum Frauen häufig so unsicher sind und sich gern bescheiden geben und man Männer immer noch nicht zutraut, dass sie liebenswürdige Wesen und verlässliche Väter sein können.

Karkowsky: Ich habe das so interpretiert, dass Sie zunächst ein Buch geplant hatten mit großer gesellschaftspolitischer Relevanz, dann aber doch dem Privaten den Vorzug gegeben haben und jetzt sagen, das Private ist auch politisch.

Hensel: Das sagen wir die ganze Zeit, dass sich das nicht ausschließt, dass sich das Privatsein und die gesellschaftliche Relevanz nicht ausschließen.

Karkowsky: Und dieser Anspruch, den die Kritiker an Sie formuliert haben, über den einige ja dann doch enttäuscht waren, dass sie eine Definition erwartet haben von neudeutschen Mädchen?

Raether: Das ist doch völlig unzeitgemäß, dass man von uns erwartet, dass wir jetzt die Generation der Frauen definieren. Das hat man in den 70er Jahren gebraucht. Dort gab es eindeutige Ungerechtigkeiten. Heute sind doch die Ungerechtigkeiten viel subtiler. Natürlich wollen wir gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Aber ich weiß nicht, wie oft ich das in den letzten Jahren gelesen habe. Das ist doch völlig klar, dass jede Frau das möchte. Und, ehrlich gesagt, das Selbstbewusstsein, das aus diesem Buch spricht, ist völlig selbstverständlich, dass wir die gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit wollen. Das ist sozusagen die Grundlage.

Das heißt, dieses Buch ist natürlich, es ist differenziert. Das Differenzierte hat aber nichts mit Zurückhaltung zu tun, sondern wir wollten die Nuancen erkennen. Wir wollten die Zwischentöne erkennen. Und ich denke, dass Frauen heute ein sehr fundiertes, feministisches Wissen haben. Ich glaube auch, dass Männer ein großes Bewusstsein dafür haben, dabei sind, das zu entwickeln, was ihre eigene Rolle betrifft. Das müssen wir denen nicht diktieren. Ich glaube, dass Frauen, die wie wir studiert haben, die wie wir ihre ersten Erfahrungen im Job gemacht haben, die wissen, wo das Problem liegt. Das müssen wir denen nicht so wie die Alpha-Mädchen sozusagen Zeile für Zeile diktieren. Was wir beschreiben wollten, ist ein Lebensgefühl. Und wir wollten sozusagen wirklich dahingehen, wo Alice Schwarzer zum Beispiel einfach nicht darüber spricht. Sie spricht nicht über Beziehungen. Sie spricht nicht über Männer. Darüber wollten wir schreiben.

Karkowsky: Das finde ich ein schönes Schlusswort. Frau Hensel, wollen Sie noch was sagen?

Hensel: Nee, ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Karkowsky: "Neue deutsche Mädchen", so heißt diese Essay-Sammlung von Jana Hensel, bei der ich mich herzlich bedanke und von Elisabeth Raether. Erschienen ist das Buch im Rowohlt-Verlag, und mehr Infos dazu finden Sie bei uns im Internet auf dradio.de.