Mit den Händen arbeiten

Ein Hoch auf das Handwerk

04:21 Minuten
Hände formen auf einer Töpferscheibe eine Gefäß aus Ton.
In der Freizeit wird begeistert getöpfert, gekocht oder getischlert. © EyeEm / Luis Herrera
Gedanken von Jenny Friedrich-Freksa · 20.08.2019
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Tagtäglich starren wir auf Monitore, wischen, klicken, tippen. Zum Ausgleich dienen handwerkliche Tätigkeiten: Kochen, Töpfern, Tischlern. Warum machen wir diese Dinge immer seltener zum Beruf, fragt Kulturmanagerin und Autorin Jenny Friedrich-Freksa.
Wann wurde es eigentlich hip, etwas mit den Händen zu tun? Seit ein paar Jahren boomt die Handarbeit in Großstädten: in Brooklyn wird getischlert, in Prenzlauer Berg gehäkelt, in Mailand gebatikt. Man kocht eigens gezogenes Gemüse auf selbst gelöteten Herden und in Küchen, die selbst gezimmert wurden. Menschen lieben es, mit den Händen zu arbeiten, das entspannt.
Wer den ganzen Tag am Rechner sitzt, hält abends statt einer Computermaus gerne auch mal eine Stricknadel oder knetet einen Dinkelbrotteig ordentlich durch. Das Internet ist voll von Handcraft-Tutorials, in denen erklärt wird, wie man Zement mischt, Haare schneidet oder Altkleider in eine Quiltdecke verwandelt.

Immer weniger Auszubildende in handwerklichen Berufen

Dagegen ist nichts einzuwenden. Seltsam ist nur, wie viele Menschen diese Dinge in ihrer Freizeit tun, sie aber nie als Beruf wählen würden. Offenbar kommt das, was man mit den Händen tut, nur für wenige als "richtige" Arbeit in Frage. Manche machen zwar ein Business aus ihrem Hobby, das sind oft diejenigen, die sich nach der Hälfte ihres Berufslebens neu orientieren wollen.
Die Jungen aber, die sich für einen Beruf entscheiden, wollen nur selten in die Werkstatt oder in die Küche, sondern lieber ins Büro. Wer kann, studiert. Seit Jahren gehen die Zahlen für Auszubildende in handwerklichen Berufen zurück. Vor 20 Jahren erlernten in Deutschland noch 616.000 junge Menschen ein Handwerk, 2017 waren es nur mehr 364.000.

Schlecht bezahlt und niedriger Status

Das liegt zum einen an der schlechten Bezahlung. Handwerksberufe sind zunehmend unattraktiv geworden. In den alten Bundesländern verdient ein Friseurlehrling im ersten Lehrjahr 498 Euro brutto, in den neuen 325 Euro – im Monat. Eine zertifizierte Friseurmeisterin bekommt in Bayern 2000 Euro, in Brandenburg 1500 Euro.
Nun sind Friseure besonders schlecht bezahlt, aber auch in anderen Lehrberufen wird man nicht gerade reich. Oder nicht glücklich: Jeder zweite Azubi, das sagt eine Statistik für alle Ausbildungsberufe, bricht die Lehre ab. Manche sind überfordert, manche haben sich etwas anderes vorgestellt, vielen ist es zu viel Arbeit für zu wenig Geld.
Doch es geht nicht nur ums Geld. Es geht auch um den Status. Die, die etwas mit den Händen tun, sind oft weniger anerkannt als die, die mit dem Kopf arbeiten. Bei einem "Holzexperten" denkt man an jemanden, der Holztechnik oder Design studiert hat und nicht an einen Tischler.
Expertentum wird eher mit einer akademischen Ausbildung assoziiert als mit praktischem Können. Warum eigentlich? Die meisten Eltern mit Hochschulabschluss dürften es als sozialen Abstieg betrachten, wenn ihre Kinder eine Lehre absolvieren statt zu studieren.

Sehnsucht nach praktischen Tätigkeiten

Gleichzeitig sehnen sich die vielen Menschen mit Büroarbeitsplätzen offensichtlich zunehmend nach praktischen Tätigkeiten, sonst würden sie in ihrer Freizeit wohl nicht so vehement töpfern, Stühle bauen oder Wein keltern. Warum machten sie diese Dinge nicht zu ihrem Beruf? Was hätten sie gewählt, wenn Bezahlung und Status keine Rolle spielen würden?
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten hundert Jahren rasant verändert. Längst übernehmen Maschinen und Computer das Arbeiten mit der Hand oder mit dem Kopf, für viele Tätigkeiten werden keine Menschen mehr gebraucht.

Glücklich beim Holzhobeln?

Gerade deshalb ist es interessant zu fragen: Was und wie werden Menschen in Zukunft arbeiten? Und was möchten sie tun? Könnte das Handwerk eine Renaissance erleben als etwas, das nur Menschen können? Weil ein mit den Händen gebauter Tisch schöner ist als einer, der aus dem 3D-Drucker kommt? Und wären viele Menschen vielleicht glücklicher, wenn sie Holz hobeln würden statt Marketing-Apps zu programmieren?
Nicht jeder ist für Arbeiten mit den Händen geschaffen. Aber eben auch nicht jeder zum Studieren oder Dinge-in-den-Rechner-tippen. Es wäre gut, praktisches Können wieder höher zu schätzen, nicht nur in der Freizeit sondern auch als Beruf.

Jenny Friedrich-Freksa, geboren 1974 in Berlin, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste Berlin. Nach Aufenthalten in Paris, Genf und Rom arbeitete sie für die "Süddeutsche Zeitung" in München. Heute ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Kulturaustausch" in Berlin. Im Februar erschien ihr Buch "Pferde" über die Faszination des Reitens.

© Max Lautenschläger
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