Mit dem Laptop auf dem Schoß

Von Andre Zantow · 07.12.2012
Auf dem angespannten Wohnungsmarkt in den Großstädten haben Studierende immer weniger Chancen. Laut Bundesbauministerium fehlen aktuell 70.000 Unterkünfte, das Studentenwerk nennt wesentlich höhere Zahlen. Zwei Monate nach Semesterbeginn leben noch Tausende Studenten ohne eigene Bleibe.
Nach dem Frühstück kümmert sich Caro um den Abwasch. Das dauert nicht lange - zwei Teller, zwei Tassen - mehr Geschirr besitzt die Studentin nicht.

Eigentlich besitzt sie überhaupt nichts - hier in der Gemeinschaftsküche des Studentenwohnheims in Berlin-Charlottenburg. Offiziell wohnt sie hier gar nicht. Caro ist Gast - bei einer Kommilitonin.

Das kleine Zimmer, das sich die beiden teilen, misst gerade drei mal vier Meter - ein eigenes Bett für Caro gibt es nicht - sie schläft auf einer dünnen, blauen Matratze:

"Die Matratze ist von dem chinesischen Jungen gegenüber. Die habe ich auch nur bis Donnerstag."

Wenn sie die Matratze zusammen legt, sich drauf setzt - mit dem Laptop auf dem Schoß - ist es ihr Büro, sagt sie und lächelt. Die 26-Jährige ist inzwischen Profi im temporären Wohnen. Mit Rucksack und Koffer zieht die Studentin seit zwei Monaten durch Berlin:

"Das schleppe ich halt immer hin und her - also ich hab gestern mal gezählt. Ich bin zehnmal umgezogen, seit ich hier bin."

Seit dem 1. Oktober, dem offiziellen Semester-Start. Erst kurz zuvor hat die 26-Jährige erfahren, dass sie im Nachrückverfahren einen Platz im Master-Studiengang "International Business" ergattert hat. Der hat Anwesenheitspflicht, und so muss Caro schnell von Köln in die Hauptstadt - auch ohne Wohnung.

"Alle haben immer früher gesagt, wenn du nach Berlin willst, Mieten sind ganz billig, es ist viel Platz und es ist überhaupt kein Problem eine Wohnung zu bekommen, aber das war überhaupt nicht so. Es war weder billig noch einfach was zu finden."

Caro schließt das Zimmer ab - sie muss los - zur Bibliothek. Unten im Wohnheim sind etwa 150 Briefkästen - auf den Schildern viele chinesische Namen. Ausländische Studenten erhalten hier eher ein Zimmer - weil sie es aufgrund der Sprachkenntnisse noch schwerer haben auf dem freien Wohnungsmarkt.

70.000 Studentenwohnungen fehlen insgesamt in Deutschland schätzt das Bundesbauministerium. Die Wohnheime sind voll. Allein in Berlin stehen mehr als 1.000 Namen auf der Warteliste.

Caro hat es deshalb gar nicht erst versucht. Sie kam zunächst bei Freunden unter oder in verschiedenen Hostel:

"Ich hab natürlich versucht das Billigste zu nehmen. Mit acht Leuten auf dem Zimmer. Und dann versucht, die Texte zu lesen und die Essays, um die Vorlesung vorzubereiten. Das war schon schwierig irgendwie. Viele kommen ja nach Berlin, um Feiern zu gehen und wenn die dann besoffen nachts um sechs nach Hause kommen. Das ist schwierig."

Ein Hostel war hier ganz in der Nähe, erinnert sich Caro auf dem Weg zur S-Bahn. Damals hatte sie ein Mädchen in ihrem Zimmer, das sich selbst mit einer Nadel ein Zungenpiercing verpassen wollte. Hier musste die Wirtschaftsstudentin schnell weg.

Sie will ein normales WG-Zimmer für 300 Euro pro Monat - sucht Angebote im Internet und geht jeden zweiten Abend zu einer Wohnungsbesichtigung. Ab der 25. hört sie auf zu zählen. Besonders unangenehm waren die Massen-Castings, wie sie es nennt:

"Es war eine ganz kleine Wohnung und die haben dann 15 Leute eingeladen. Und dann haben die die 15 Leute wie eine Schweineherde durch die ganze Wohnung getrieben: Hier rechts Küche, da Bad, da dein Zimmer. Und dann mussten wir uns alle im Flur aufstellen, im Kreis, und dann meinte die, die da wohnte, so jetzt stellt sich jeder der Reihe nach mal vor und begeistert mich: Warum sollten wir uns für dich entscheiden - Was macht dich besonders? Also so richtig wie eine schlechte Castingshow."

Wie im Fernsehen wurde auch von jedem ein Foto geschossen - furchtbar hat sich die 26-Jährige damals gefühlt. Und es gab nicht mal einen Anruf danach.

Sie hat es weiter versucht - bei zwei Beamten, die auf einem mehrseitigen Fragebogen wissen wollten, wo Caro schon gearbeitet hat, wie hoch ihr Einkommen ist, ob sie einen Freund hat.

Ein anderer Wohnungsinhaber beendete das Telefonat mit Caro empört, als sie ihm beichtet, dass sie keine Tattoos hat und auch nicht so furchtbar gern barfuß durch die Gegend läuft.

Richtig sonderbar war die Wohnungsbesichtigung bei einer Vegetarierin:

"Dann hab ich sie halt gefragt, ob es OK wäre, dass ich keine Vegetarierin bin. Und sie meinte das ist kein Problem. Bloß einen Topf dürftest du dann nicht benutzen, weil ich damit meine Opfergaben vor dem Altar mache. Und dann hat sie ihn mir gezeigt, sie hatte aus Indien verschiedene Figuren, Götterabbildungen. Was genau sie opfern wollte, hab ich nicht gefragt, es war aber auf jeden Fall sehr wild."

Ich könnte ein Buch schreiben über all meine Erfahrungen bei der Suche nach einem bezahlbaren Zimmer, sagt sie. Der spanische Yogalehrer, der jede Woche aufs neue nach einer "sexy Liebes-Mitbewohnerin"-Romantik sucht, er hätte sicher einen Ehrenplatz darin.

Zuvor muss die Studentin aber erstmal ein achtseitiges Essay verfassen über die Aktualität des Prebisch-Singer-Theorems in Bezug auf "primary commodity prices". Das schafft sie ohne Wohnung nur hier in der Bibliothek:

"Man kommt halt nie zur Ruhe. Und irgendwann möchte man ja auch seine eigenen vier Wände haben, ein bisschen Privatsphäre und einfach sein Leben aus den Kisten auspacken. Seine Bilder aufhängen und seinen eigenen Schreibtisch zu haben. Das ist so ein Luxus. Darauf freue ich mich so drauf, wenn ich das endlich machen kann. Und vor allem auch, wenn man andauernd Absagen bekommt, irgendwann denkt man sich auch, ich bin doch offen und umgänglich. Da fragt man sich schon, was die anderen Leute wollen.""

Ab Sonntag kann sich Caro an ihren eigenen Schreibtisch setzen. Nach 68 Tagen Suche, etwa 30 WG-Castings, zwei Hostels und einigen Nächten bei Freunden hat sie endlich ein bezahlbares Zimmer in einer Berliner Dreier-WG gefunden.
Unbefristet, sagt sie glücklich.

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