Minderheit in Sachsen

Die Sorgen der Sorben

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Wie sieht die Lebenswirklichkeit der Sorben aus, wie steht es um ihr Selbstverständnis als Minderheit? © Bastian Brandau
Von Bastian Brandau · 23.03.2017
Über die Jahrhunderte waren die Sorben als Minderheit immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Gefahren drohen den Sorben aber auch von anderer Seite: vom Tagebau, dem Strukturwandel und der Arbeitslosigkeit. Viele Menschen müssen abwandern.
Ein Dienstagmorgen, 8 Uhr. Etwa 30 Menschen sitzen auf den Bänken der Liebfrauenkirche im Bautzener Zentrum. Es sind überwiegend Männer und Frauen im Rentenalter, die hier zur Messe gekommen sind – und die wird an diesem Morgen auf Sorbisch gehalten.
Die katholische Kirche spiele eine große Rolle für die sorbische Minderheit in der Oberlausitz, erklärt Dom-Pfarrer Veit Scapan im Anschluss an die Messe. Er selbst stammt aus einer sorbischen Familie in der Region, ist aber ebenso für die deutschsprachigen Gemeindemitglieder zuständig:
"Es gibt einen sorbisch-sprachigen Gemeindeanteil, und der ist nicht so gering, sodass also regelmäßig Eucharistiefeiern, aber auch Andachten, Gottesdienstfeiern in sorbischer Sprache stattfinden. Und wir feiern auch gemeinsam zweisprachigen Gottesdienst, vor allen Dingen an großen Festen."

Wo Glaube und Sprache fest zusammengehören

Zwei Mal im Monat wird in Bautzen morgens auf Sorbisch gepredigt, gesungen und gesegnet. Und auch mit seinen Mitarbeitern unterhält sich Scapan auf Sorbisch. Predigen auf Sorbisch - was für einen Unterschied macht das für ihn?
"Das macht gar keinen Unterschied. Sorbisch ist mir sogar näher und lieber. Vom Gefühl ist es mir genauso nahe, aber es ist mir einfach lieb und wertvoll. So eine Frage hat mir noch keiner gestellt."
Die sorbische Muttersprache - für ihn eine Selbstverständlichkeit. Das gelte gerade im Gespräch mit Gott.
"Etwas ganz wichtiges ist, dass beim Beten immer das Herz angesprochen ist. Deswegen, es gibt ein Recht auf Muttersprache, das ist das eine, und das andere: Wenn wir beten, dann betet das Herz, dann betet nicht der Verstand. Dann lese ich nicht einen Text, sondern es betet aus mir heraus. Und wenn ich der sorbischen Sprache mächtig bin, in dieser Sprache groß geworden bin, dann ist das etwas ganz selbstverständliches, das wird auch nicht weiter reflektiert, sondern ist einfach da."

Opfer des NS-Terrors

Nach der Messe findet im Gemeindehaus die Seniorenrunde statt. Es gilt, einen Geburtstag zu feiern, sich auszutauschen, eine Referentin wartet mit einem Vortrag. Hier sitzen auch Menschen, für die es nicht immer selbstverständlich war, ihre Muttersprache auch tatsächlich sprechen zu dürfen. In der Zeit der NS-Diktatur war das in der Öffentlichkeit verboten, auch der Schulunterricht auf Sorbisch wurde untersagt. "Germanisiert" werden sollte die sorbische Minderheit, so die Vorstellung der Nationalsozialisten. Theresia Kubasch aus dem sorbischen Dorf Panschwitz-Kuckau ist in dieser Zeit geboren:
"Ich bin im deutschen Gebiet aufgewachsen. In der Hitlerzeit war mein Vater aus der Heimat verwiesen und ich musste im Deutschen aufwachsen. Und ich hörte, es gibt eine Land wo andere Leute auch so sprechen wie ich. Das war für mich der Inbegriff des Paradieses. Und, seitdem, ich habe eine Liebe zur sorbischen Sprache, das kann man nicht in Worte ausdrücken. Das ist für mich Heimat."
Dazu gehört für sie ganz selbstverständlich der Besuch der sorbischen Messe. Obwohl sie auch viele deutsche Freunde habe, keine Frage. Was würde sie sich noch wünschen, um die Situation der Sorben zu verbessern? Kubasch winkt ab:
"Das geht in Politik, und Politik liegt mir leider nicht."

Wechselhafte Geschichte

Zur Zeit der Völkerwanderung, vor mehr als 1000 Jahren kamen sorbische Siedler in das bis heute sorbisch geprägten Gebiete der Nieder- und Oberlausitz. Das Siedlungsgebiet der Sorben - oder Wenden - war zwischenzeitlich deutlich größer, umfasste etwa das der ehemaligen DDR. Vor einhundert Jahren gab es im heutigen Sachsen und Brandenburg ganz selbstverständlich Dörfer, in denen praktisch alle Menschen Sorbisch sprachen – und zwar ausschließlich.
In der Zeit der NS-Diktatur wurde die sorbische Sprache in der Öffentlichkeit verboten. Die Nationalsozialisten strichen den Schulunterricht, sorbische Institutionen wurden geschlossen. Bis heute prägt diese Zeit das sorbische Leben. In der DDR schließlich wurden die Sorben als Minderheit anerkannt – mussten sich aber, wie alle DDR-Bürger, dem Regime unterordnen.

Zwischen Anpassung und Widerstand

Das hat zu Verwerfungen innerhalb der Sorbischen Gemeinschaft geführt, die nach wie vor zu spüren sind – zwischen denen, die sich angepasst haben, und denen, die mehr oder weniger offen Widerstand leisteten.
Heute werden die Sorben als Minderheit gefördert und unterstützt, von Sachsen und Brandenburg, vom Bund. Geregelt durch entsprechende Gesetze in den Ländern. Etwa 20 000 Niederlausitzer Sorben –auch Wenden genannt - leben in Brandenburg, etwa 40 000 Oberlausitzer Sorben in Sachsen. Dies sind Schätzungen, denn Zählungen von ethnischen Minderheiten gibt es in Deutschland nicht. Nach außen vertreten werden alle Sorben durch einen Verein, die Domowina mit Sitz in Bautzen. Die Domowina, Sorbisch für Heimat, wurde 1912 gegründet. Auch sie hat eine wechselhafte Geschichte. Vor sechs Jahren hat an der Spitze der Domowina ein Generationswechsel stattgefunden.
"Moje meno… - Mein Name ist David Statnik, ich bin Vorsitzender der Domowina, des Bundes Lausitzer Sorben, und ich selbst bin Sorbe."

Sprache prägt Identität

Statnik ist 33, er steht an der Spitze der etwa 7300 Menschen, die in sorbischen Vereinen organisiert sind. Dazu gehören die traditionellen regionalen Ortsgruppen, aber auch Musik- oder Schulvereine. Was macht das Sorbische für ihn im Alltag aus?
"Die Sorben nehmen an der Gesellschaft teil, das bedeutet, wir sind im selben Wirtschaftssystem, wir sind im selben Schulsystem, obwohl unsere Schulen natürlich sorbische Schulen sind oder Schulen mit sorbischem Angebot. Das heißt, die Sprache wird da auch gelehrt. Aber, im Alltag sind viele Prozesse, viele Alltagsdinge dieselben wie bei einem Deutschen. Anders ist vor allem die Sprache, die Identität die damit einhergeht und natürlich die Geschichte."
Ihre Sprache und damit ihre Identität zu bewahren, das seien die Grundlagen für das sorbische Leben. Früher wie heute.
"Ich denke es ist jeder Generation ebenso wichtig. Und jede Generation wird es für sich erleben. Ich bin ein junger Mann, mit annähernd Mitte 30, habe mit meiner Frau drei Kinder. Für uns ist Sprache natürlich ein sehr wichtiges und alltägliches Thema. Zumal wir aber nicht das Problem haben und wir beide Muttersprachler sind und die Kinder in der Hinsicht wirklich in der Sprache aufwachsen. Viele haben ja heute gemischtsprachliche Partnerschaften, wo sich diese Frage alltäglich stellt."

Mit der Heimat verbunden - auch in der Fremde

Dörfer, in denen überwiegend Sorbisch gesprochen wird, gibt es nur noch wenige zwischen Dresden und Bautzen. Hier im katholisch geprägten Teil der Lausitz hat sich die Sprache mehr erhalten als im Rest der Lausitz, der überwiegend protestantisch ist. In Bautzen, der Hauptstadt der Sorben, ist die Sprache vor allem durch die zweisprachige Ausschilderung präsent – etwa auf Straßenschildern und bei Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten. Der Wunsch der Sorben nach ihrer eigener Sprache und Kultur potenziert sich für diejenigen, die wegen Ausbildung, Arbeit oder aus anderen Gründen ganz die Region verlassen. Er begrüße es, sagt Statnik, wenn gerade junge Sorben auch mal die Region verlassen. Manche fänden eine neue Heimat, viele organisierten sich in den Großstädten aber auch in sorbischen Gruppen.
"Dann sind aber viele auch dabei, die sagen, ich will dann wirklich zurück. Das heißt in den sorbischen Dörfern haben wir wirklich die Situation, dass wir, so kommt es mir zumindest vor, überproportional viele Rückzügler haben, die wieder versuchen, in der Heimat Familie und Arbeit zu verbinden. Was mit gewissen Einbußen auch zusammen hängt, wir sind im Osten, und da kann man natürlich nicht die Einkünfte von München erwarten."

Sorbisch-Unterricht bedroht

Die Sorben seien daher natürlich auch interessiert an guten Bedingungen in der Region, gerade für junge Familien. Wie komme ich schnell zur Arbeit nach Dresden oder Bautzen? Gibt es einen Kita-Platz für mein Kind?
"Ungeachtet dessen sind natürlich gewisse Themen sehr präsent, da ist zum einen die politische Arbeit, das heißt Gesetzlichkeiten, die möglichst sorbische Interessen auch vertreten müssen und beachten sollen. Da gibt es mehrere Prozesse, schauen wir mal im Schulwesen, da wird zur Zeit in Sachsen das sächsische Schulgesetz novelliert, da versuchen wir natürlich auch, die Situation für das sorbische Schulwesen zu stärken. Mitsprachemöglichkeiten einzurichten, um positiv mitzugestalten."
Nicht immer ist das gelungen. Vor 15 Jahren wurde die sorbische Mittelschule im Ort Crostwitz geschlossen. Damals streikten sorbische Schüler und Lehrer gegen die Schließung – vergeblich. Und heute sehen die Sorben in Brandenburg den Sorbisch-Unterricht bedroht – durch eine neue Regelung, wie viele Schüler mindestens daran teilnehmen müssten

Machtlose Sorben

"Wir sind in diesem Punkt, das muss man auch sagen, eine Lobbygruppe, die außerhalb des Parlamentes steht, die aber aufgrund eines Gesetzes gewisse Rechte und auch Pflichten wahrnimmt. Und das ist im sächsischen Sorben-Gesetz oder im brandenburgischen Sorben-Wenden-Gesetz geregelt, und auch die Ministerien haben jeweils direkte Ansprechpartner."
Eine Lobbygruppe, organisiert wie eine Kaninchenzüchterverein – das sei nicht die richtige Vertretungsform für die sorbische Minderheit, sagt eine Initiative, die seit einigen Jahren für ein sorbisches Parlament kämpft, einen Sejm.
"Hoj, ja ricam Martin Walde… - Mein Name ist Martin Walde, ich bin Kulturwissenschaftler, am sorbischen Institut lange Zeit, jetzt in der Rente. Und ich engagiere mich schon sechs Jahre als der Sprecher der Initiative für eine demokratisch legitimierte sorbische Volksvertretung."

Sorben fordern zeitgemäße Vertretung

Walde und seine Mitstreiter sind unzufrieden mit der aktuellen Form der Vertretung der Sorben. Er fordert, was für andere Minderheiten in Europa längst selbstverständlich ist: eine gewählte Vertretung.
"Die Domowina ist anerkannt, was soll der Staat sonst machen, also er muss ja einen Ansprechpartner haben, bisher gab es ja diese demokratisch legitimierte Volksvertretung nicht, und deshalb ist es jetzt die Domowina. Aber die Domowina ist ein Verein, sie ist auch nicht demokratisch legitimiert, sie ist nur durch ihre Vereine, also die Vereine schicken ihre Kandidaten in die Bundesversammlung, und das ist dann die Vertretung."
Auch Walde war früher in der Bundesversammlung der Domowina, als Vertreter der Maćica Serbska, der sorbischen wissenschaftlichen Vereinigung. Nach einem Richtungsstreit dort hat er begonnen, an seiner Initiative zu arbeiten.
"Die Zeiten sind doch heute völlig andere. Heute brauchen wir schon demokratisch bestimmte Parlamente, die dann praktisch auch respektiert werden von der Politik und nicht als Verein nur als Bittsteller dastehen."

Der Traum vom eigenen Parlament

Walde und seiner Initiative schwebt ein Parlament vor, wie es andere Minderheiten in Europa haben. Etwa die deutschsprachigen Minderheiten in Belgien oder Ungarn. Oder die Samen in Skandinavien, deren Gebiet gleich mehrere Länder umfasst. All dies seien Vorbilder für ein von ihm gewünschtes Parlament der Sorben. Das könnte etwa 30 Mitglieder haben und würde eine Regierung wählen. Doch es stellen sich Fragen: Wer ist Sorbe und darf damit wählen?
"Wir stellen uns das so vor, dass wir eine Wahl dann mitveranstalten, wenn zum Beispiel Europawahlen sind oder Bundestagswahlen, wenn die beiden Länder zusammen wählen. Dass wir im sorbischen Siedlungsgebiet Wahlzettel ausliegen haben für Serbski Sejm. Und es gilt ja das Prinzip: wer sich zum Sorbentum bekennt, ist Sorbe. Und dieses Bekenntnis darf nicht nachgeprüft werden. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Identifikation mit dem Sorbentum."

Sorben! Wacht auf!

Bei der Domowina glaubt man nicht, dass es so einfach sei. Wer solle denn kontrollieren, dass es wirklich sorbische Wahlen seien, fragt der Domowina-Vorsitzende David Statnik.
"Die Initiative, die sich auch für eine Parlament aussagt, versucht das oft so darzustellen, als ob wir heute Bittsteller sind, weil wir mit dem Staat eben verhandeln müssen. Und Finanzierungsabkommen schließen müssen. Und in Zukunft wollen sie es nicht mehr sein. Da frage ich mich, wie wollen sie das machen, ist das dann eine Steuerautonomie, wie soll das funktionieren. Also sagen die dann dem Land: Wie brauchen so und so viel und Punkt? Das sind alles so Punkte, die sind noch nicht durchdacht."
Statnik hält die Initiative nicht für mehrheitsfähig. Martin Walde wirft der Domowina vor, eine öffentliche Diskussion über ein sorbisches Parlament zu verweigern. Ungeachtet dessen hat die Initiative Anfang des Jahres einen Ältestenrat gegründet, der konkrete Pläne entwickeln soll zur Wahl eines Vorparlamentes. Einer Art gesetzgebenden Versammlung. Wenn es nach Walde geht, in nicht allzu ferner Zukunft:
Im September würde ja bundesweit gewählt, wäre das ein Termin?
"Das wäre ein toller Termin, ja!"
Walde und seine Mitstreiter hoffen, dass die Initiative unter Sorben und in der Lausitz auch generell die Bereitschaft zu politischer Teilhabe und mehr Basisdemokratie erhöhen könnte.
Aktuell liegt die Vertretung der sorbischen Interessen auch in den Händen sorbischer Abgeordneter. Der bekannteste von ihnen ist Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der sich öffentlich in der Minderheitenpolitik zurückhält. In Sachsen wählt jede Fraktion ihren sorbenpolitischen Sprecher.

Linker Abgeordneter und Sprecher der Sorben – geht das?

"Ja, ricam Heiko Kosel. Mein Name ist Heiko Kosel, ich bin Abgeordneter des sächsischen Landtags und Mitglied der Fraktion die Linke."
In Schleswig-Holstein vertritt der Südschleswigschen Wählerverbund explizit die Interessen der dänischen Minderheit. Eine sorbische Partei gibt es nicht, auch, weil der relative Anteil der Sorben in ihren Bundesländern geringer ist als der der Dänen in Schleswig-Holstein. Wie gelingt es den sorbischen Abgeordneten, gleichzeitig eine Partei und eine Minderheit zu vertreten?
"Ich bin als Sorbe angetreten zu den Landtagswahlen für eine Partei, deren Programm ich umsetzen will. Auch was die Frage nach der weiteren Förderung von sorbischer Sprache und Kultur angeht. Von daher muss ich mich da nicht verbiegen, oder mich als Parteisoldat erweisen."
Bildungspolitik ist aktuell einer seiner Schwerpunkte, Kosel versucht, Lehrer aus Tschechien und Polen für den sorbischen Unterricht zu gewinnen. Durch die Verwandtschaft der Sprache können diese Sorbisch leicht erlernen.
"Ohne sorbische Lehrer gibt es keine sorbische Schule und ohne sorbische Schule ist eine gleichberechtigte Sprachentwicklung nicht möglich. Denn dann würde die sorbische Sprache eine Sprache für den häuslichen Bereich bleiben, für Haus und Garten. Die Sorben würden ohne sorbische Schule Analphabeten in ihrer eigenen Muttersprache bleiben."

Alter Hass in neuen Kleidern

Kosel hat sich auch für sorbische Jugendliche eingesetzt, als es 2014 zu einer Reihe sorbenfeindlicher Übergriffe gekommen war. Unter anderem auf sorbischen Dorffesten hatten Rechtsextreme gezielt sorbisch sprechende Jugendliche angegriffen und verprügelt. Mit einem Leserbrief in der sorbischen Zeitung "Serbske Nowiny" hatten Jugendliche auf die Angriffe aufmerksam gemacht, waren erst danach zur Polizei gegangen.
Wie die Angriffe organisiert waren und wer dahinter steckte – Jurist Kosel hat immer wieder bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt, Diskussionsrunden mit Polizei und sorbischen Jugendlichen organisiert. Und ist unzufrieden mit den Ermittlungen. Fast alle seien eingestellt worden:
"In einem Fall gab es dann einen Strafbefehl, da musste dann der Täter nicht mal zu Gericht, musste sich nicht mal im Angesicht des Gerichts für seine Tat rechtfertigen, musste da nicht einmal dafür gerade stehen. Ich halte dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft für unangemessen, wenn es um solche Straftaten geht, die ja das Zusammenleben in der Lausitz zwischen Sorben und Deutschen doch in erheblicher Weise belasten."
Im November im Steinhaus, einem soziokulturellen Zentrum in Bautzen: Mehrere sorbische Bands spielen bei der zweiten Auflage des Festivals "Wočiń woči" – "Augen auf, gemeinsam gegen Faschismus". Mitorganisiert hat es Julian Nitzsche, der im Vorstand des Steinhauses sitzt – und auch im Stiftungsrat der Stiftung des Sorbischen Volkes. Nitzsche, 28, kann als typischer Vertreter seiner Generation gelten. Unter der Woche studiert er in Berlin Slavistik, am Wochenende ist er meist in der Lausitzer Heimat.
"Wir haben halt gedacht, wir zeigen mal wieder, in Bautzen, wirklich auch vor Ort, also nicht draußen auf dem Dorf, wo wir sowieso alle Sorben sind sozusagen, sondern in Bautzen, dass wir da sind, dass wir viele Jugendliche haben, dass wir Musik haben, dass wir uns dagegen auch zur Wehr setzen, wenn wir angegriffen werden von rechts."
Bands, Workshops zum Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Schon bei der ersten Auflage von "Wočiń woči" im Mai 2015 war Nitzsche klar, dass weltpolitische Entwicklungen auch das Zusammenleben in der Lausitz verändern würden.
"Man hörte, in Bautzen werden Flüchtlingsheime eingerichtet, und dass da auch immer mehr Aktivitäten von rechts auch spürbar wurden. Und wir haben quasi versucht, zu zeigen, es ist nicht so, dass uns das alles nichts angeht, sondern wir sind davon direkt auch betroffen."

Augen auf, gemeinsam gegen Rassismus

Es gibt in und um Bautzen eine starke rechtsextreme Szene, aus der auch die Angriffe auf die Sorben kamen. Deren Fokus hat sich seit der Ankunft von Flüchtlingen in der Region offenbar verschoben. Erst protestierten sie gegen eine Asylunterkunft im ehemaligen Bautzener Spreehotel. Im Februar 2016 brannte eine geplante Unterkunft, Täter konnte die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln. Im September schließlich jagten rund 80 Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum etwa 20 minderjährige Geflüchtete durch die Innenstadt. Sie hatten sich offenbar über das Internet zu dieser Hetzjagd verabredet.
"Ich persönlich habe immer wieder versucht, darauf hinzuweisen, innerhalb der sorbischen Community, also etwa in der sorbischen Zeitung, dass das Flüchtlingsproblem und das damit verbundene Erstarken der rechten und rechtsextremen Bewegung, dass das eine Gefahr auch für uns ist, dass wir uns da nicht rausziehen können. Oder still zugucken und abwarten, was daraus wird."
Auch der Vorsitzende der Domowina David Statnik spricht sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus. Er glaubt, dass die Sorben auch von der Ankunft der Flüchtlinge profitieren könnten:
"Weil dadurch dieses grundnationale Denken – ein Land, eine Sprache, ein Volk – dann eben nicht mehr vorherrscht. Weil das ist auch nicht das, was in Europa Tatsache ist. Weltweit ist es so, dass jeder Siebte ein Mitglied einer Minderheit ist, und dass Dreiviertel der Weltbevölkerung mehr als eine Sprache sprechen. Deutschland sticht da hervor mit einer Meinung, und ist selbst eigentlich eher die Minderheit, weil hier die Menschen sich sehr schwierig damit tun, andere Sprachen zu sprechen."
Skeptische Blicke im Supermarkt, dumme Sprüche auf der Straße. Ein Schiedsrichter, der einer Fußball-Mannschaft auf dem Platz verbietet, Sorbisch zu sprechen. Nach wie vor gebe es eine gewisse Ablehnung im Alltag, davon berichten sowohl David Statnik als auch der Landtagsabgeordnete Heiko Kosel.
"Ich bin vom Grundsatz her ein optimistischer Mensch und deshalb habe ich immer Hoffnung. Allerdings muss ich sagen, wenn wir hier über einen Lernprozess reden von unserer deutschsprachigen- und nur deutschsprachigen, denn etwas anderes sprechen diese Menschen meist nicht – dann ist das ein Lernprozess, der dann schon verdammt lange andauert. Weil in Bautzen kann es eigentlich niemanden geben, der von der Präsenz der sorbischen Sprache jetzt plötzlich überrascht wird."

"Gott schuf die Lausitz, der Teufel die Kohle darunter"

Gott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel die Kohle darunter – ein bekanntes Sprichwort der Region, deren Landschaft sich durch den Menschen seit etwa 100 Jahren stark verändert hat. Rund eine Stunde Autofahrt nördlich von Bautzen, im sächsisch- brandenburgischen Grenzgebiet, graben sich die gigantischen Schaufeln der Braunkohlebagger in die Heimat der Sorben.
"Ich bin Edith Penk…, ich bin geboren in Rohne, bin Rentnerin, und ich kämpfe gegen die Braunkohle."
Edith Penk weiß nicht, ob sie eines Tages auch in ihrem Heimatdorf Rohne begraben liegen wird. Denn die Braunkohlebagger haben sich bis auf wenige Kilometer an ihr Dorf herangegraben. Von einem Aussichtspunkt entfernt blickt Penk, 78, aber noch rüstig, auf die kilometerlange Mondlandschaft. Früher hat sie hier im Wald Blaubeeren gesammelt.
"Im Kopf sind die eigenen Wege sichtbar, man kennt da jede Höhe, die man mit dem Fahrrad hochgefahren ist und runtergerollt ist. Man kennt, wo die schönsten Beeren gestanden haben, wo einzelne oder besondere Pflanzen."
Nochten Eins heißt dieser Tagebau. Die ursprüngliche Planung sieht auch eine Erweiterung vor: Nochten Zwei. Dann müssten fünf sorbische Dörfer abgebaggert werden, darunter Rohne, das Dorf, in dem Penk lebt. Die Abbaufirmen sind zu einer Reihe von Ausgleichsleistungen verpflichtet, zahlen jedem Hausbesitzer eine Summe, um ein neues Haus in der Nähe zu bauen. Das ist anders als früher zu DDR-Zeiten, als die Sorben einfach in Neubausiedlungen von Städten wie Cottbus oder Hoyerswerda umziehen mussten. Über 130 meist sorbische Dörfer sind so in der Lausitz verschwunden in den vergangenen Jahrzehnten, etwa 27.000 Menschen wurden "umgesiedelt", wie es offiziell heißt.
"Wer einer Minderheit den Lebensraum kürzt oder einschränkt, oder ganz wegnimmt, dann verkommt diese Minderheit zur Folklore. Dann guckt man sich das nur noch folkloristisch an. Dann kann so eine Minderheit nicht überlegen. Ist ja logisch: Denen fehlt einfach der Lebensraum, um ihre sorbischen Traditionen auszuleben."

Kohle spaltet Rohne

Edith Penk sieht nicht ein, warum ihr Dorf für den Ausbau einer Energieform weichen sollte, die so klimaschädlich ist wie kaum eine zweite. Sie weiß aber auch, dass viele Menschen in der Region das anders sehen, insbesondere die, die im Kohle-Abbau arbeiten.
"Die äußern sich auch nicht so. Die wollen das Geld, die wollen ein neues Haus, die wollen "jetzt leben". Und wenn ich mich mit manchen unterhalte, "ich will jetzt leben". Was dann danach kommt, das ist so wie zu DDR-Zeiten, nach uns die Sintflut. Wir bauen jetzt auf Teufel komm raus die Kohle ab. Wir reißen die Dörfer ab."
Erst kürzlich hat die sächsische CDU klargestellt, dass sie den Abbau der Braunkohle weiter fördern will – trotz der großen umwelt-und klimapolitischen Bedenken. Edith Penk fühlt sich alleingelassen. Von der Landesregierung, die ihrer Meinung nach sich nicht ausreichend für die Belange der Bevölkerung einsetzt. Und das trotz des Sorben Stanislaw Tillich an der Spitze.
"Wie hat er geschworen? Schaden vom Volk abzuwenden. Von mir und im Ort hat er keinen Schaden abgewendet. Denn irgendwie sind wir alle dadurch belastet. Gesundheitlich. Nervlich. Mein Mann ist inzwischen gestorben. Auch an einer Krankheit, wo die Kohle dazu beigetragen hat."
Und auch auf die Domowina ist Penk nicht gut zu sprechen. Die verstecke sich hinter dem Votum des lokalen Ortsverbandes für einen weiteren Ausbau der Braunkohleförderung. Der bisherige Betreiber Vattenfall hat Ausgleichszahlungen an die Domowina geleistet, von denen Projekte zur Förderung der sorbischen Kultur bezahlt wurden, erklärt der Domowina-Vorsitzende David Statnik:
"Heute hat man die Möglichkeit, nicht mehr nur zu sagen: Kohle ja oder nein. Sondern wenn die Kohle kommt, dann möchten wir gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden, um es den Betroffenen so leicht wie möglich zu gestalten, ihre Heimat und Kultur weiter zu pflegen. Das ist unser Ziel. Und das haben wir der Politik auch so kommuniziert. Das ist für manche sehr schwierig, ich weiß, besonders auch diejenigen, die sich eher dem Umweltschutz verschreiben, ist das etwas missverständlich. Aber es geht uns primär um den Menschen, der davon betroffen ist. Und darum, dass er eine Zukunft hat. Nicht nur seine Wälder."

Braunkohlegegner machen mobil

Im vergangenen Sommer besetzten Braunkohlegegner am Pfingstwochenende einen Tagebau in der Lausitz, um gegen die weitere Nutzung der Braunkohle zu protestieren. Der schwedische Konzern Vattenfall hat seine Braunkohlesparte an einen tschechischen Investor verkauft. Der neue Betreiber hat noch nicht erklärt, wie er in der Region weiter vorgehen wird. Für das Wochenende nach Ostern haben die Braunkohlegegner zu einem Protestmarsch in der Lausitz aufgerufen, an dem natürlich auch Edith Penk teilnehmen wird. Die Sorbin, die geboren wurde, als das Sprechen ihrer Sprache verboten war. Und die nun darum kämpft, ihr Haus und ihr sorbisches Dorf zu erhalten.
Wie groß ist ihre Hoffnung, dass Sie das in den nächsten eins, zwei, vier Jahren schaffen?
"Äh, das möchten wir nicht erst in zwei, drei Jahren erfahren, sondern dass muss demnächst zeitnah passieren, dass die LEAG sagt, wir verzichten auf die Abbaggerung der Dörfer."
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