Migranten

Heimat Mülheim

Von Barbara Schmidt-Mattern  · 03.04.2014
Über Jahre hinweg wurde über eine neue Doppelpass-Regelung debattiert. Für junge Deutsch-Türken ist die Zerrissenheit zwischen zwei Ländern Teil des Alltags. An einer Schule in Köln setzen sie sich damit auseinander - und haben sogar einen Song über ihre eigentliche Heimat produziert.
So gewaltig der Krach vor dem Klassenzimmer auch ist, es wird schnell leise, als Lehrerin Sonja Schlinkbäumer sich vor die Klasse 10a stellt, um ihre Schüler zu begrüßen.
"Ja, guten Morgen zusammen!"
Für die zwölf Teenager beginnt der Deutsch-Unterricht, auch im übertragenen Sinne: Die doppelte Staatsbürgerschaft, die Frage nach der eigenen Identität - ein Thema, das die Jugendlichen beschäftigt, denn fast alle hier stammen aus Einwandererfamilien
"In der Türkei ist das ja so, da wird man meistens als Ausländer angesehen, wenn man aus Deutschland kommt und hier wird gesagt: Das ist eine Ausländerin, die kommt aus der Türkei."
Ein ewiger Zwiespalt sei das, erzählt Ayssu, 16 Jahre alt. So wie ihr geht es vielen der 270 Schüler an der Hauptschule Tiefentalstraße in Köln-Mülheim, über 20 Nationalitäten sind hier unter einem Schuldach versammelt und Mülheim ist eine Art Little Istanbul. Umso lieber hätte Hami, 18 Jahre alt, gerne einen deutschen Pass:
"Es würde wahrscheinlich Sinn machen, weil ein deutscher Pass bei Arbeitsstellen besser ankommt, Wenn die den türkischen Pass sehen,schieben die das meistens zur Seite und gucken sich lieber deutschen Pass an."
Blöde Erfahrungen in der Disco
Dass jetzt unter anderem ein Schulabschluss oder ein achtjähriger Aufenthalt in Deutschland bis zum 21. Lebensjahr ausreichen, damit junge Migranten zwei Pässe behalten dürfen – von all diesen Neuerungen haben sie in der 10a noch nichts mitbekommen, aber Hami freut sich:
"Beides wäre ok, weil manche noch ein bisschen Stolz und finden es schön, dass man auch als Türke anerkannt wird. Nur dieses Rumgerenne dann, vielleicht muss man dann viel mehr Papierkram erledigen. Das wird ein bisschen stressig, aber das schaffen wir schon Deutschland!"
Das Rumgerenne ist auch nicht mehr nötig, künftig sollen die Ämter automatisch prüfen, ob der Doppelpass berechtigt ist. Komplett fällt die Optionspflicht aber eben nicht weg, und das findet Hami ungerecht:
"Das ist Diskriminierung eigentlich. Wir sind in Deutschland, wir sind hier geboren, wir passen uns an - nicht jeder, aber manche von uns - und wenn er als Deutsch-Türke hier leben will, soll er das so machen, wie er es will. Also ich find das rassistisch."
Sertac dagegen ist vor allem erleichtert. Mit seinem bisher nur türkischen Pass hat er selbst vor der Disco schon blöde Erfahrungen gemacht:
"Wir wollten da halt rein, da habe ich meinen Pass rausgeholt. Da war direkt die türkische Flagge zu sehen. Dann hat der gesagt: Nein, du kannst dich direkt wieder hinten anstellen."
Der 18-Jährige ist in Köln geboren und aufgewachsen. Ein Pass allein würde ihm glatt reichen:
"Der deutsche Pass ist sowieso wichtig, könnt ich auch wählen – das wäre auf jeden Fall nicht schlecht."
Beyza: "Es kommt ja manchmal zum Streit, wegen des Kopftuchs, allgemein so."
Beyza gehört zu den wenigen in der Klasse, denen der deutsche Pass ziemlich egal ist. Wegen ihres Kopftuches höre sie oft dumme Sprüche, erzählt die 17-Jährige. Ein deutscher Pass ändert daran nichts. Die Leute gucken trotzdem, sagt Beyza:
"Die meinen halt: Was machst du hier? Geh doch zurück zu deinem Land. Warum musst du Kopftuch tragen? Oder sonst irgendetwas."
"Im Grunde bin ich Kölner"
Im Politik- oder Geschichts-Unterricht, und selbst in der Deutsch-Stunde: Die eigene Herkunft sei immer wieder ein Thema, sagt Lehrerin Sonja Schlinkbäumer:
"Wenn wir Gedichte lesen, wenn wir Texte schreiben, die mit dem Begriff Heimat zu tun haben, dann gibt es ganz oft diese zwiespältigen Äußerungen der Schüler. Wo gehöre ich hin? Was bin ich eigentlich? Und ich habe ganz oft schon gehört, dass Schüler sagen: Im Grunde bin ich Kölner."
Letztes Jahr haben sie hier an der Hauptschule Tiefentalstraße in Köln-Mülheim sogar einen Rap-Song geschrieben, der Text sehr lokalpatriotisch – und damit sehr kölsch. Einen deutschen Pass ohne Wenn und Aber, den würden die meisten hier schon gerne annehmen.
Zum Anhören: Rap-Song "Das ist Mülheim"

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