Michel Houellebecq

Utopien und Vorstellungen von Trost

Der französische Künstler Michel Houellebecq
Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq © Ennio Leanza / dpa / picture alliance
Von Jürgen König · 22.06.2016
Der umstrittene Schriftsteller Michel Houellebecq präsentiert sich als Fotograf und Künstler in Paris. Er zeigt Bilder von Landschaften und tristen Vorstädten, von Freundinnen und seinem verstorbenen Hund.
21 Räume, 2000 Quadratmeter – ein langer Nachmittag passt in diese wunderbare Ausstellung. Sie breitet den ganzen Kosmos des Schriftstellers Michel Houllebecq aus und ist doch alles andere als eine Bebilderung seiner Gedichte und Romane. Wer das Werk Houellebecqs kennt, wird viele Anspielungen verstehen, wer noch nie eines seiner Bücher gelesen hat, versteht die Anspielungen eben nicht und wird trotzdem fasziniert sein.
Im samtig-schwarzen Dunkel beginnt der Rundgang: mit Fotos von thailändischen Gärten, schön anzusehen: mit Palmen und beschnittenen Büschen und Hecken, von perfekter Anmut, nur Wege sind keine da, als sei für den Menschen im Idyll kein Platz.

Eine Ausstellung wie ein Gedichtband

Danach ein Raum, der mit Schwarz-Weiss-Fotos jene hässliche Alltagstristesse wiedergibt, für die der Name Houellebecqs sinnbildlich geworden ist. Wohnblocks in Vorstadt-Ghettos, Zahlstellen der Autobahn, eingezäunte Asphalt-Straßen, eingezäunte Gleise, Bahnhöfe. Beschriftet sind die Bilder nur mit "Frankreich". Eine große, graue Halle, ein leerer Parkplatz , Bogenlaternen, im Vordergrund Buchstaben, die schon zerbröckeln, sie ergeben das Wort "Europe" - "Europa" Ein trauriges Bild.
"Seine Ausstellung mit den Fotos und den Gedichten und den anderen Kunstwerken gibt schon sein Lebensgefühl, sein Weltgefühl wieder. Und er war sehr im Zweifel, ob er das mit anderen Mitteln als der Sprache würde ausdrücken können. Er hat diese Ausstellung gestaltet, wie man Gedichte zu einem Band zusammenfasst, jeder Saal ist ein Gedicht und sie bauen aufeinander auf", sagt Kurator Jean de Loisy.

...und dann der Trost

Nach der Tristesse das vermeintlich Tröstende. Ein ganzer Raum mit knallbunten Ansichtskarten ausgelegt, Feriendörfer, die wie Betonwüsten sind, Sonnenauf- und -untergänge am Meer. Ein Stahlwerk im Glanz der Abendsonne bei wolkenlosem Himmel. Kühe auf der Wiese – auch so ein Idyll. Doch nicht das konkret Dargestellte oder gar ein "entscheidender Augenblick", in dem etwas passiert, interessieren den Fotografen Houellebecq: Ambiente und Atmosphäre sind ihm wichtig.
Houellebecq zeigt eine geistige Landschaft, portraitiert das Banale des Alltäglichen, aber auch die Sehnsüchte, die Träume, mit denen wir dem Mittelmaß wenigstens für Momente zu entkommen versuchen.
"Für uns ist diese Ausstellung wichtig, weil wir mit ihr die Besessenheit eines Schriftstellers für die Kunst zeigen können. Es gibt nicht viele Verbindungslinien zwischen Literatur und Bildender Kunst –bei Houellebecq gibt es sie, seit er 1990 die Kunst für sich entdeckt hat. Und dafür wollen wir den Beweis antreten: das ist hier nicht die Ausstellung eines Schriftstellers, der ein Hobby hat, sondern die eines unglaublich professionellen Künstlers."
Der offenbar auch gar nicht dem Bild entspricht, das man sich gerne von ihm macht.
"Alle Welt denkt immer, das sei so ein kaputter Typ, der erst nach diversen Gläsern Wein etwas macht. Nein, unglaublicherweise arbeitet er vollkommen methodisch. Man weiss genau, wann er aufsteht: von zwei Uhr nachts bis sechs Uhr morgens arbeitet er ununterbrochen, um 11 Uhr steht er wieder auf, um 14 Uhr kam er dann hierher, kam niemals eine Minute zu spät; geradezu obsessiv hat er an der Umsetzung des Ausstellungsplans gearbeitet, jedes Detail, sei es die Hängung, die Dekoration, die Beleuchtung – alles war ihm wichtig – er hat uns als Kuratoren vollkommen überflüssig gemacht, das war frustrierend für uns, aber da half alles nichts..."

Und ein Raum für den Hund

Sagt Kurator Jean de Loisy und lacht. Mehrere Künstler hat Houellebecq eingeladen, sich an der Ausstellung zu beteiligen: von Robert Combas etwa sind großformatige Acrylgemälde zu Gedichten von Houellebecq zu sehen; Marie-Pierre Gauthier, Houellebecqs zweite Ehefrau zeigt Portraits ihres gemeinsamen Hundes "Clement". Ihm ist zum Ende der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet, mit 31 erkennbar benutzten Spielsachen des Hundes, herzanrührend; diesen Hund, so Jean de Loisy, habe Houellebecq sehr geliebt.
"Diese Idee der absoluten Liebe erscheint wie eine Utopie, und sie zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Ausstellung. Sie entwirt zunächst einen Blick auf unsere Realität, unsere Gesellschaft und wie wir sie organisieren – aber sehr schnell schon kommt etwas anderes dazu – so etwas wie ein 'heiliger Gesang': damit meint er die Poesie, die tröstlichen Wünsche und zuletzt eben die absolute Liebe. Und für Houellebecq ist es eben das Tier, das sie uns schenkt. Ob Sie pervers oder ein Dummkopf sind oder ein schlechter oder ein guter Mensch: das Tier wird Sie lieben – egal wer Sie sind…"
Und es ist Iggy Pop, der "die Liebesmaschine", jenen Hund "Clement" zuletzt besingt, nach einem Gedicht von Houellebecq. Man verlässt die Ausstellung mit dieser Grabesstimme im Ohr und mit vielen Bildern im Kopf: von Verfall und Zivilisationsschrott und schönen Sonnenuntergängen.
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