Michael Succow über Schutzgebiete in Not

Ist die Natur zur Ware verkommen?

Moorbirken (Betula pubescens)
Moorbirken © picture-alliance / dpa / Hinrich Bäsemann
Moderation: Dieter Kassel · 04.07.2017
Wenn Gemeinden Naturschutzgebiete an Privatleute verkaufen, ist das gut für die Kasse. Aber schlecht für Natur und Bürger. Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises, spricht über Alternativen.
Theoretisch ändert sich nichts, wenn deutsche Städte, Gemeinden oder Bundesländer Naturschutzgebiete an Privatbesitzer verkaufen. Doch wenn Eigeninteressen wie Jagd oder Holznutzung im Mittelpunkt stehen, hat das in der Regel negative Konsequenzen, berichtet Michael Succow.
Der Träger des Alternativen Nobelpreises und Gründer der nach ihm benannten Naturschutzstiftung plädiert daher dafür, Naturschutzgebiete in öffentlicher Hand zu behalten oder an Verbände und Umweltstiftungen zu übergeben wie das Nationalnaturerbe. Nur so könne man garantieren, dass das Gebiet in seinem Wert erhalten oder sogar verbessert wird.
Das steigende Interesse von Privatpersonen an Naturschutzgebieten erklärt Succow ökonomisch: "Landschaft ist nicht vermehrbar, und hochwertige, intakte, reichhaltige, das wissen wir inzwischen alle, ein immer knapper werdendes Gut. Dieser Kapitalstock Natur wird immer kleiner, und damit steigt sein Wert."
Eine Lösung könnte laut Succow die Übergabe der Gebiete von den Kreisen an den Bund sein so wie es in Ostdeutschland bereits praktiziert werde. Auch eingetragene Umweltverbände wie NABU, BUND, WWF oder unsere Stiftung könnten den Staat entlasten, in dem sie diese Flächen erwerben und Naturschutz mit Öffentlichkeitsarbeit und Führungen verbinden.

Das Interview im Wortlaut
Dieter Kassel: Der Ausverkauf von Naturschutzgebieten in Deutschland ist heute Abend das Thema eines Features in unserer Reihe "Zeitfragen" um 19:30 Uhr. Und das ist in der Tat genau das, was der Titel auch verspricht, es geht um den Ausverkauf solcher Gebiete, Naturschutzgebiete in Deutschland werden verkauft von Städten und Gemeinden meistens, manchmal auch von Bundesländern.
Ich habe mich über dieses Phänomen mit Michael Succow unterhalten, Träger des Alternativen Nobelpreises und Gründer der nach ihm benannten Naturschutzstiftung, und habe ihn gefragt, ob sich denn durch den Verkauf solcher Naturschutzgebiete an Privatbesitzer überhaupt tatsächlich etwas ändert. Schließlich gelten doch die Regeln solche Gebiete betreffend im Prinzip für alle.
Michael Succow: Theoretisch nicht, aber die Erfahrung zeigt vielfach, mit der Übernahme eines Naturschutzgebiets durch einen privaten Besitzer, insbesondere, wenn Eigeninteressen, Jagd und so weiter, dort im Mittelpunkt stehen oder eben eine Holznutzung, dann hat es in der Regel immer Konsequenzen gehabt. Da haben wir viele negative Erfahrungen gemacht, und deshalb bin ich der Meinung, das sollte in der öffentlichen Hand bleiben, oder Verbänden oder auch Umweltstiftungen übergeben werden wie das Nationalnaturerbe. Dann kann man garantieren, dass das Gebiet in seinem Wert erhalten oder sogar noch verbessert wird.
Kassel: Sagen wir mal so: Die eine Seite, warum Gemeinden und in manchen Fällen ja auch ganze Bundesländer Schutzgebiete verkaufen, das kann man ja, glaube ich, relativ einfach erklären. Da geht es ums Geld. Deren Erhalt, deren Pflege ist natürlich teuer. Aber warum hat denn überhaupt ein privates Unternehmen oder auch eine Privatperson Interesse an einem solchen Gebiet? Sie haben zwei Sachen schon genannt, die Jagd und das Holz. Aber ich meine, das ist ja dann durchschaubar, dass das auf Kosten der Natur geht. Was gibt es denn für Gründe, warum ein Privatmann zum Beispiel ein Moorgebiet kaufen will? So was kommt ja vor.

Ein knapper werdendes Gut

Succow: Ich denke, in der heutigen Zeit, das anthropogene Kapital, also das Geld, das vermehrt sich, und das erleben wir jeden Tag. Landschaft ist nicht vermehrbar, und hochwertige, intakte, reichhaltige, das wissen wir inzwischen alle, ein immer knapper werdendes Gut. Dieser Kapitalstock Natur wird immer kleiner, und damit steigt sein Wert. Und deshalb, das ist auch, was ich gelernt habe in den letzten 20, 25 Jahren, eben Erhalt dieses Kapitalstocks Natur um seiner ökologischen Leistungen willen für uns alle, um als Orte der Bildung, der Naturerfahrung verfügbar zu sein, gelenkt natürlich. Aber auch als Orte, um eben die Biodiversität, also die Lebensfülle in unserer Landschaft zu erhalten.
Das ist etwas, was immer wichtiger wird. Und wenn ich einen Privatbesitz habe, dann ist zwangsläufig natürlich, das ist meins, hier will ich keinen reinlassen, denn der stört ja. Und wenn ich dazu noch das als Jagdgebiet mir auserkoren habe, dann ist ein Tourist, ein Wandernder ein Störender, und da wird dann sehr viel investiert, um dort in der Öffentlichkeit einen Naturlehrpfad, einen Pfad der Muße und Erkenntnis und so weiter, um das eben nicht dort anzusiedeln.
Kassel: Nun gibt es ja zwei Dinge. Das eine, was Sie gerade beschrieben haben, inwieweit ist ein solches Schutzgebiet noch öffentlich zugänglich. Die Frage ist aber natürlich auch, inwieweit bleibt es in dem Zustand, in dem es bei der Übergabe war. Und da fällt mir im Prinzip immer als Parallele der Denkmalschutz bei Bauten ein. Es gibt viele denkmalgeschützte Bauten, die sich in privater Hand befinden, aber es gibt extrem genaue Vorschriften, was man mit diesen Gebäuden tun darf und was nicht, und auch deren Einhaltung – es gibt immer Ausnahmen – wird relativ streng kontrolliert.
Manch ein Privatbesitzer ist da auch schon fast wahnsinnig bei geworden. Könnte man nicht sagen, wir verkaufen zwar Naturschutzgebiete, aber wir schreiben A) genauer als bisher vor, was dort passieren darf und was nicht, und, vor allen Dingen, wir überprüfen das auch.

Eine Frage des Erhalts

Succow: Bei einem Denkmal in einer Stadt oder bei einer Dorfkirche ist natürlich immer, sind Besucher, sind die dort Wohnenden wach und sehen, was geschieht. In diesen abgeschiedenen Räumen ist letztendlich bei einem Privatbesitz nur noch der Besitzer oder seine Jagdgäste sind dann die, die das dann aufsuchen. Und wenn ich die Jagd sehe: Es muss ja der Hochstand erreicht werden, um den Hirsch zu schießen. Also brauche ich einen Weg. Und dieser Weg muss möglichst noch so weit befahrbar sein, dass ich auch den Hirsch nachher abtransportieren kann. Den kann ich ja nicht tragen.
Das alles sind Eingriffe, die dann so zwangsläufig passieren alsdann. Und Kontrolle gibt es so gut wie nicht. Bei den Großschutzgebieten, den Nationalparks, den Biosphärenreservaten, da ist es anders, da sind Landesbehörden für die Gesamtentwicklung, für die Betreuung und so weiter zuständig. Aber gerade bei den Naturschutzgebieten, wo eben der Kreis die Hoheit hat, da ist die ganze Frage des Erhalts, der Kontrolle, der Sicherung in großen Teilen findet nicht mehr statt.
Kassel: Aber der Hauptgrund dafür ist ja eben auch, dass diese Städte und Gemeinden in der Regel nicht genug Geld haben, um das entsprechend zu organisieren. Und dass sie nicht genug Geld haben, ist ja der Grund, dass sie es verkaufen. Hier beißt sich die Katze in Schwanz. Was wäre die Lösung? Sie haben von Stiftungen schon gesprochen. Oder würden Sie sagen, alle Schutzgebiete sollten mindestens dem Bundesland oder gar dem Bund gehören? Was schlagen Sie vor?

NABU hat 27.000 Hektar erworben

Succow: Das, was wir praktizieren in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland, sind einerseits die Großschutzgebiete – das sind die Gebiete, in denen Naturschutz stattfindet, auch Öffentlichkeitsarbeit, Führungen und so weiter. Das ist so das Hochwertigste, was wir haben. Alles das, was dann aber Naturschutzgebiet ist, was den Kreisen, den Unteren Naturschutzbehörden übertragen ist, da passiert wenig. Und was wir vorschlagen, und das ist eine Entlastung des Staates, wenn man so will, dass Umweltverbände, eingetragene, der NABU, der BUND, der WWF oder eben dem Naturschutz verpflichtete Stiftungen diese Flächen erwerben.
Der NABU hat ich glaube inzwischen 27.000 Hektar erworben, und es ist erstaunlich die Bereitschaft, vor allen Dingen in den Altbundesländern, den Naturschutzverbänden oder auch den Stiftungen durch Sponsoring diesen Kauf zu ermöglichen. Auch meine Stiftung, wir haben inzwischen 1.400 Hektar, hat einige Gebiete, die praktisch privatisiert werden sollten, wo Jagdpächter sagen, dieses nationale Naturerbe will ich haben, und meistbietend. Und da sind Aufrufe erstaunlich erfolgreich, weil einfache Bürger sagen, nein, wir möchten, dass ein ausgewiesener Naturschutzverband diese Flächen im Sinne des Gemeinwohls eben sichert, erhält, pflegt und nicht eben diese durch Privatisierung erfolgten Verstöße erfolgen.
Kassel: Der Naturschützer Michael Succow über den Verkauf von Naturschutzgebieten in Deutschland an Privatleute oder Privatfirmen. Mehr dazu heute Abend um 19:30 Uhr in einem Feature zu diesem Thema von Thilo Schmidt in unserer Reihe "Zeitfragen" hier in Deutschlandfunk Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hören Sie dazu das Feature von Thilo Schmidt in unserer Reihe "Zeitfragen" um 19:30 Uhr.

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