Michael Gamper: "Der große Mann"

Talente, Führer, Populisten

Michael Gamper im Gespräch mit Ernst Rommeney · 13.08.2016
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Historiker und Künstler setzen sich im 19. Jahrhundert mit der Rolle des "großen Mannes" auseinander. Michael Gamper zeichnet die Debatten nach und nimmt das Konzept des herausragenden Politiker-Talents kritisch unter die Lupe.
Es geht um ein politisches Phantasma, einen Stoff, aus dem Literatur, Bildende Kunst und Geschichte geformt wird. Mit historischer Realität habe das Bild vom "großen Mann" zunächst einmal nichts zu tun, stellt der Hannoveraner Literaturwissenschaftler Michael Gamper klar.
Denn Historiker und Soziologen – begleitet von Schriftstellern, Malern und Bildhauern - haben seit der Französischen Revolution darum gestritten, ob außerordentlich begabte Protagonisten das politische Geschehen durch eigenes Talent und Genie wesentlich gestaltet hätten oder ob das Heldensagen seien, die den Blick auf Ablauf und Deutung vergangener Epochen verfälschten.
Ohne den Streit letztlich zu entscheiden, sind "große Männer" für Michael Gamper eindeutig Produkte ihrer Zeit. Ihre Größe sei von Anhängern und Kritikern künstlich erzeugt worden, zuweilen auch nachträglich. Und die Hauptdarsteller selbst hätten es verstanden, die Gunst der zeitgenössischen Stunde zu nutzen.

Erfolg beim Volk durch Medien und Technik

Letztlich sei ihr Ruhm ein medialer Erfolg – forciert durch öffentliche Reden, Depeschen, lancierte Zeitungsartikel, Memoiren, Huldigungen, Theaterstücke, Gemälde und Denkmäler. Zudem unterstützt vom technischen Fortschritt: So wie optische Telegraphen Napoleon zu einem siegreichen Feldherrn machten, so unterstützten soziale Medien den Wahlkampf des ersten schwarzen Präsidenten der USA.
Michael Gamper: "Der große Mann"
Michael Gamper: "Der große Mann"© Wallstein Verlag
Gesellschaftspolitisch habe der "große Mann" alte Eliten abgelöst, zunächst adlige Regenten, die bis dahin aus der Erbfolge Autorität ableiteten. Als talentierter Aufsteiger baute er seine Macht auf die Kommunikation mit Bürger, Volk und Massen. Mit Charisma bediente er ihre Unzufriedenheit. Entsprechend fragil entwickelte sich das Verhältnis. Wenn ihn der Erfolg verlässt, dann scheitert der Volkstribun, der Populist.
Und so bricht sich die moderne Geschichte vom "großen Mann" am Ersten Weltkrieg, weil im militärischen Inferno der Glaube an ihn verloren gegangen sei. Seine Nachfolger wurden Film- und Sportstars. Eigentlich, so Michael Gamper, habe sich das Konzept Talente, Führer, Populisten schon vorher ad absurdum geführt, weil immer häufiger immer kleineren "Größen" gehuldigt worden sei.

Politikverdrossenheit als Chance "großer Männer"

Schließlich sei es dann wieder Politikverdrossenheit gewesen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts quereinsteigende "Führer" populär und mächtig, ja gewalttätige Diktatoren werden ließ. Der "große Mann" pervertierte. Allerdings haftete ihm schon seit Napoleons Zeiten der Ruch an, nicht allein auf das Volk zu setzen, sondern sich autoritär im Machtapparat abzusichern.
Deshalb sieht ihn Michael Gamper in einer funktionierenden Demokratie ohne echte Chance. Starken Persönlichkeiten ließen Parlament, Parteien und Beamtenschaft wenig Spielraum. Es sei denn, plebiszitäre Elemente erlaubten, sich direkt ein Mandat beim Volk zu holen, wie etwa in der Präsidialdemokratie.
Und natürlich verweist Michael Gamper darauf, dass vor allem die Literatur "große Frauen", die "Königinnen der Herzen", kennt, vordergründig nicht so im Rampenlicht wie ihre männlichen Begleiter, gleichwohl einflussreich und beliebt bei Volk und Lesern.

Michael Gamper: Der große Mann - Geschichte eines politischen Phantasmas
Wallstein Verlag Göttingen, März 2016
432 Seiten, 29,90 Euro, auch als E-Book