Meyer-Spelbrink: "Das Kind hat ein Recht auf Wahrheit"

Moderation: Birgit Kolkmann · 13.02.2007
Der Verein "Väteraufbruch für Kinder" hat sich dafür ausgesprochen, Vaterschaften bei Beratungen im beiderseitigen Einvernehmen der Eltern zu klären. So könne man den Vätern Gewissheit verschaffen und den Eltern stünde Hilfe bei danach auftretenden Problemen zu Verfügung, sagte das Vorstandsmitglied des Vereins Rüdiger Meyer-Spelbrink.
Birgit Kolkmann: Alles läuft ganz gut. Zwei Menschen lieben sich, ein Kind kommt zur Welt, es wird von beiden geliebt und versorgt und dann kommen Zweifel auf beim Vater: Ist das Kind tatsächlich von mir oder von einem anderen Mann? Im Laufe der Jahrtausende haben Millionen Männer Kinder versorgt, die gar nicht ihre eigenen waren, und sie erfuhren es meist nie. In Zeiten der günstigen Gentests ist das anders. Ein Mann schickte ein Kaugummi seiner Tochter zum Test und bekam heraus: Sie ist gar nicht sein Kind. Vor Gericht durfte er diesen Test nicht als Beweismittel anführen. Diese sehr umstrittene Entscheidung des Bundesgerichtshofes – zwei Jahre alt – könnte nun heute vom Bundesverfassungsgericht revidiert werden. Die Karlsruher Richter geben heute ihre Entscheidung über Vaterschaftstests bekannt. – Zum Interview in Deutschlandradio Kultur begrüße ich Rüdiger Meyer-Spelbrink. Er ist Vorstandsmitglied im Verein "Väteraufbruch für Kinder". Schönen guten Morgen!

Rüdiger Meyer-Spelbrink: Schönen guten Morgen!

Kolkmann: Wie ist denn Ihre persönliche Erfahrung mit Kuckuckskindern und Kaugummitests?

Meyer-Spelbrink: Es ist für viele Väter eine sehr belastende Situation, vor allen Dingen das Problem der Ungewissheit. Bisher ist es ja so, dass die aktuelle Rechtslage es nicht oder nur in wenigen Fällen ermöglicht, das über ein normales Gerichtsverfahren zu klären. Das heißt der Vater muss dazu greifen, zum Beispiel über einen selbstbestimmten Vaterschaftstest herauszufinden, ist er denn nun Vater oder ist er nicht.

Kolkmann: Was bedeutet es denn für Familien, mit einem Geheimnis zu leben, wenn solche Tests nicht gemacht werden?

Meyer-Spelbrink: Das große Problem ist vor allen Dingen erst mal das Kind. Irgendwann kommt es in der Regel heraus. Gerade heute über die neuen technischen Möglichkeiten – es kann später eine OP sein oder sonst was – kommt die Wahrheit ans Licht und für das Kind ist das in jedem Fall eine sehr belastende Situation. Das Kind hat eigentlich ein Recht auf Wahrheit. Das Kind muss schon wissen, wo sein eigentlicher Ursprung liegt.

Kolkmann: Man könnte umgekehrt auch sagen wenn ein Kind zehn Jahre und länger mit einem sozialen Vater lebt und an diesen gewöhnt ist, beide sich gut verstehen, dann ist es auch ein Schock, wenn es plötzlich erfährt, dass dieser Vater doch nicht sein Vater ist.

Meyer-Spelbrink: Das ist natürlich ein Schock. Es ist in jedem Fall eine belastende Situation. Nur dadurch, dass man, ich sage mal die Lüge vor sich hinausschiebt, wird sie nicht leichter. Es ist sehr sinnvoll, in solchen Fällen von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. Selbst wenn man als 30-Jähriger erfährt, dein als Vater gedachter Mensch ist nicht dein Vater, ist das genauso belastend wie wenn das ein zehnjähriges Kind erfährt.

Kolkmann: Aber immer noch besser als wenn man es nie erfährt?

Meyer-Spelbrink: Die Frage ist schwer zu beantworten, weil das weiß man ja nie, ob man es nie erfährt. Das mag vor Jahrhunderten noch so gewesen sein, weil da die Wahrscheinlichkeit sehr gering war, aber gerade durch die heutigen Möglichkeiten gibt es so viele Sachen, sei es eine Bluttransfusion, eine Operation oder sonst was, dass es sowieso ans Licht kommt. Die Schwierigkeit ist, dass es dann vielleicht auch meistens in einer Situation ist, wo es gerade nicht so günstig ist. Ich denke zum Beispiel an eine Operation.

Kolkmann: Viele Väter wollen sich ja um ihre Kinder kümmern und Sorge tragen. Vielen bleibt es auch verwehrt, weil die Mutter das nicht will. Was fordern Sie in solchen Fällen?

Meyer-Spelbrink: Wir fordern im Grunde genommen, dass für Väter selbstverständlich Klarheit besteht. Das eine ist zum Beispiel, dass sie von Anfang an die Möglichkeit haben müssen, Klarheit über die Vaterschaft zu haben. Das gleiche ist, wenn ein Kind da ist, wenn er der Vater ist, dass sie selbstverständlich genauso die elterliche Verantwortung haben wie die Mutter, sprich gemeinsames Sorgerecht, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet waren oder nicht.
Das Problem der Eltern, wie die miteinander auskamen und ob sie nun verheiratet waren, ist die eine Sache. Das andere ist die Situation des Kindes. Das Kind kann sich nicht aussuchen, ob seine Eltern verheiratet sind oder nicht.

Kolkmann: Mit Spannung wird ja nun die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes heute erwartet. Was können Sie sich vorstellen wäre ein geeigneter Weg, um den vielen verschiedenen Problemen auch gerecht zu werden, sowohl den Rechten der Väter als auch der Kinder?

Meyer-Spelbrink: Bei den Vaterschaftstests wäre es beispielsweise sinnvoll, wenn eine Lösung gefunden wird, dass dies beispielsweise in eine Beratungslösung eingebunden ist. Das heißt es ist kein völlig freier Test möglich, aber über eine Beratungsstelle kann der Vater, wenn er Zweifel hat, das Thema ansprechen und von dort kann zum einen mit allen Beteiligten eine Beratung stattfinden und im Grunde genommen auch der Test stattfinden. Dann hat der Vater die Möglichkeit der Klarheit und es ist genauso, dass die Eltern aufgefangen werden bei den Problemen, die danach auftreten. Diese völlig freie Lösung ist ja im Grunde nur die Notlage, weil der Vater sonst keine andere Chance hat.

Kolkmann: Sollte man das möglicherweise auch am Alter des Kindes festmachen?

Meyer-Spelbrink: Nein, überhaupt nicht, weil ich sehe da überhaupt keinen Unterschied, ob das Kind 5 Jahre ist, 15 Jahre oder ein Erwachsener. Die Wahrheit kann manchmal wehtun, wenn vorher eine lange Zeit Lüge war.

Kolkmann: Zeigt sich an dieser Diskussion, wie verändert unsere Familienverhältnisse, Lebensverhältnisse sind auch durch die moderne Technik und nicht nur durch sie?

Meyer-Spelbrink: Ja, natürlich. Zum einen, dass Väter heute auch aufgrund ihrer beruflichen Situation und so weiter ganz anders familiär engagiert sind als früher, und zum anderen halt, dass es heute ganz andere Möglichkeiten gibt als früher. Vor Jahrhunderten wäre das ja kaum aufklärbar gewesen.

Kolkmann: In welcher Situation leben Sie persönlich?

Meyer-Spelbrink: Ich bin Vater von zwei mittlerweile fast erwachsenen Kindern. Ich hatte vor zwölf Jahren die Trennung und bei mir ist es eigentlich völlig anders. Die Kinder leben von Anfang an bei mir. Wir haben allerdings kein gemeinsames Sorgerecht, weil vor zwölf Jahren gab es diese gesetzlichen Regelungen noch gar nicht.

Kolkmann: Rüdiger Meyer-Spelbrink war das, Vorstandsmitglied im Verein "Väteraufbruch für Kinder". Ich bedanke mich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.