#MeToo in der Opernwelt

Was bewirkt die Debatte hinter und auf der Bühne?

05:58 Minuten
Szene aus der Oper "Tristan und Isolde", in der die Hauptfiguren einander umarmen.
"Tristan und Isolde": Für Regisseure wird es schwieriger, Liebesszenen zu inszenieren. © Imago / Drama-Berlin / Bresadola
Von Elisabeth Hahn · 22.10.2019
Audio herunterladen
Die #MeToo-Debatte hat die Klassikwelt erschüttert – und hat an den Opernhäusern der Welt bereits Folgen. Es geht um das Verhalten auf und hinter der Bühne. Auch für die Inszenierungspraxis setzt die Debatte Impulse.
Placido Domingo, James Levine, Daniele Gatti: Diesen prominenten Musikern aus der Klassikbranche wird sexueller Missbrauch vorgeworfen und für alle drei hatte das berufliche Konsequenzen. Die #MeToo-Debatte hat aber nicht nur Fälle von sexuellem Missbrauch in der Klassikwelt an die Öffentlichkeit gebracht, sie löst auch Verunsicherung aus, was auf der Bühne noch gesagt und dargestellt werden darf.
Jonas Kaufmann hat sich in der letzten Woche dazu in der "Augsburger Allgemeinen" geäußert. Der Star-Tenor spricht davon, die Darstellung von Liebesszenen auf der Bühne sei für Regisseure und Regisseurinnen inzwischen ein schmaler Grat. Welche Auswirkungen hat die #MeToo-Debatte auf die Opernwelt?
Nähe, Leidenschaft, Ekstase – bei Tristan und Isolde von Richard Wagner ist all das in der Liebesnacht angedeutet. Nur: Wie stellt man diese intime Liebesszene dar in Zeiten, wo immer mehr Frauen ihre Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch auf und hinter der Bühne öffentlich mitteilen?
Tenor Jonas Kaufmann jedenfalls ist überzeugt: Liebesszenen glaubhaft zu inszenieren, ohne die Darsteller zu Anzüglichkeiten zu verleiten – das sei für Regisseure deutlich komplizierter geworden.
Ulrich Khuon, der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, hält das für ein Totschlagargument. "Das Theater, die Oper, das sind Orte, in denen die Abgründe erforscht werden. Wenn wir das aufgeben – die Tiefen der Liebe, die Tiefen des Verrats, auch der Gewalt – wenn wir sagen, das ist alles nicht mehr darstellbar, dann können wir uns von der Kunst verabschieden."

Breites Spektrum des Übergriffs

Übergriffiges Verhalten und sexueller Missbrauch sind dennoch Realität im Kultur- und auch im Opernbetrieb. Anzügliche Bemerkungen, ungebetene Zungenküsse bis hin zum offensiven Ausnutzen der eigenen Machtposition. All das hat auch die Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender in ihrer langen Karriere als Sängerin und Regisseurin erlebt, zum Beispiel, wenn ein männlicher Sänger die Liebesszene für die eigenen Zwecke ausnutzt.
"Das kommt sehr oft vor bei Tenören, die ihr Temperament nicht zügeln können", sagt Fassbaender. "Und dann gehen die Kolleginnen aber schon auf die Barrikaden und sagen: 'Lass das!' Und verbitten sich das energisch."
Was Brigitte Fassbaender heute mit Humor betrachtet, ist für viele Sängerinnen demütigend. Nicht jede kann sich so offen zur Wehr setzen – vor allem, wenn sie Nachteile in ihrer Karriere befürchten muss.

Wertekodex und Bühnen-Erotik

Um die Situation für die Opfer von sexuellem Missbrauch zu erleichtern, hat der Deutsche Bühnenverein im Sommer 2018 einen "Wertebasierten Verhaltenskodex zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch" verabschiedet.
Mit diesem Leitfaden wollen auch die teilnehmenden Opernhäuser das Bewusstsein für sexuelle Belästigung schärfen, gerade weil viele übergriffige Handlungen sich in einem scheinbar harmlosen Bereich bewegen. Der Wertekodex sieht die Grenzüberschreitung – auch die unbeabsichtigte – als "grundsätzliches Kennzeichen der Belästigung".
Erotik auf der Bühne sei damit immer noch möglich, ein Nein müsse aber akzeptiert werden – sagt Ulrich Khuon, der federführend am Wertekodex beteiligt war. "Das Übergriffige meint ja eher den generellen Umgang miteinander und den Respekt vor der Freiwilligkeit des Einzelnen – dass man einfach auf Stopp reagiert. Und ansonsten wird das jetzt nicht – das ist meine Hoffnung – ein puritanischer Verein, wo keiner mehr vor lauter Eingekrampftheit einen Schritt vor den anderen setzen kann."

Neuer Blick auf das Rollenbild der Frau

Und noch ein Aspekt rückt durch die #MeToo-Debatte in den Fokus: Das Rollenbild der Frau. In den meisten Werken der Opernliteratur – besonders aus dem 18. Und 19. Jahrhundert – ist die Frau vor allem eins: machtlos, demütig und schwach. Kurz: das Opfer, das am Ende sterben muss.
Wenn eine Frau Macht besitzt, dann ist sie meistens böse und intrigant. Misogyn und patriarchalisch – so bezeichnen Kritiker diese Kunstform. Dieses veraltete Frauenbild könne auf der Bühne aber neu verhandelt werden, sagt Ulrich Khuon: "In all diesen Opern ist wahnsinnig viel drin von dem, was uns immer noch berührt und bewegt, es ist aber auch sehr viel drin, wo wir sagen würden: Da ist das Verhalten ganz anders. Und deswegen werden sie immer wieder neu inszeniert, weil man durch die Inszenierung die Entfernung noch mal unterstreichen kann."
Der schmale Grat zwischen political correctness und Kunstfreiheit stellt die eher traditionelle Opernwelt vor neue Herausforderungen.

#MeToo als kreativer Impuls

Auch wenn Brigitte Fassbaender die #MeToo-Debatte manchmal zu weit geht – sie habe doch viel Positives in Gang gesetzt, sagt sie. Eine offenere Debatte über Machtmissbrauch an der Oper zum Beispiel und nicht zuletzt auch einen neuen kreativen Prozess bei der Operninszenierung: "Ich glaube, dass es immer Möglichkeiten gibt, die Freiheiten der Kunst zu wahren und sich diesen Strömungen und diesen Tendenzen nicht zu unterwerfen ohne political incorrect zu sein und ohne sexistisch zu sein."
Mehr zum Thema