Messe Didacta in Stuttgart

Wankas Finanzspritze bringt Bildungssystem auf Trab

Eine Lehrerin steht mit einem Tablet in der Hand an der Tafel und schreibt Mathe-Aufgaben an
Eine Lehrerin gibt Mathe-Unterricht in der achten Klasse einer Gesamtschule in Hannover © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Christian Füller · 14.02.2017
Fünf Milliarden Euro hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) für die Digitalisierung der Schulen versprochen. Das setzt die Anbieter digitaler Bildungstechnologien unter Druck: Auf der Bildungsmesse Didacta müssten sie jetzt zeigen, was sie können, so der Bildungsexperte Christian Füller.
Jedes Jahr trägt sich auf der Bildungsmesse Didacta das gleiche Spektakel zu. Abwechselnd in Köln, Hannover und Stuttgart versammeln sich Schulbuchverlage, Privatschulen, Nachhilfeeinrichtungen, kurz die ganze Bildungsindustrie, um ihre Neuheiten zu präsentieren.
Auch die Lehrerinnen und Lehrer kommen dort hin. Man erkennt sie an Rollkoffern und den großen blauen Tragebeuteln eines Möbelhauses. Warum machen die Pädagogen das? Weil sie nach der Messe direkt zum Bahnhof müssen und deswegen ihr Gepäck dabei haben? Nein, die Pädagogen wollen abstauben. Sie trachten danach, so viele kostenlose Bücher und Broschüren wie möglich einzusacken.
Das ist erstens würdelos und zweitens ein Symbol für den Zustand der Bildungsrepublik. Sie basiert auf Papier, und sie hat einen sehr trägen Innovationszyklus. Der innere Zustand des Klassenzimmers hat sich seit dem legendären Reformschul-Meister Friedrich von Rochow kaum geändert.
Auch die Lernchoreografien sind mehr oder weniger die gleichen geblieben. Nur dass der Lehrer keinen physischen Rohrstock mehr schwingt.

Deutsche Bildungssystem erwacht aus einem Dornröschenschlaf

Die Didacta ist daher nicht nur die größte Fachmesse der Bildungswirtschaft in Europa, sondern auch eine riesige Wartehalle. Ihre Reformgeschwindigkeit entsprach dem, was die Lehrer in ihren Koffern nach Hause tragen konnten, um es dann – vielleicht – im Unterricht einzusetzen.
Dieses Jahr aber dürfte sich das ändern. Das deutsche Bildungssystem und seine bleierne Leistungsschau könnte aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Der Kuss, der die schöne Prinzessin Bildungsinnovation erweckt hat, erfolgte übrigens bereits im Jahr 2006. Es war das Erscheinen eines intelligenten Telefons, mit dem man auch ins Netz gehen kann. Diese Smartphones sind kleine Lernmaschinen, sie werden die Schule von Grund auf verändern.
Wie so oft bei technischen Revolutionen geht es nicht nur um die Erfindung, sondern auch ums Geld, mit dem man sie verbreitet. Dieses Geld kommt jetzt: Fünf Milliarden Euro hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) für die Digitalisierung der Schulen versprochen, also für den Einkauf von Internettechnologie, Endgeräten und Lehrerfortbildung.
Dieses Geld macht die müde Messe munter. Nun müssen die Anbieter digitaler Bildungstechnologien wirklich zeigen, was sie können. Denn jetzt gucken die Einkäufer mit anderen Augen auf sie.
Welche Lernmanagementsysteme sind im Angebot und was sind die interessantesten digitalen Schulbücher? Wie praktikabel ist der Programmierkurs und welche Apps sind für Lehrer leicht verstehbar? Welches Tablet oder Laptop ist für Schüler am besten zu benutzen? Mit welcher Cloud verbinden sie sich? Papier tritt in den Hintergrund. Elektronik ist überall.

Versetzt die IT-Welt der Messe einen Wach- oder einen Todeskuss?

Die Didacta wird der Londoner Bett-Show, der großen Bildungstechnologie-Messe, immer ähnlicher: Immer mehr Bildschirme, immer größere Stände der neuen Giganten auf dem Bildungsmarkt: den Internet- und IT-Konzernen, die so viel Innovationskraft und Geld haben, dass Regierungen vor ihnen kuschen.
Das ist zugleich die Kehrseite des neuen Schwungs. Die Veränderung ist so nachhaltig, dass nicht klar ist, ob die Prinzen aus Silicon Valley und Südkorea dem Dornröschen Didacta nun eigentlich den Wach- oder den Todeskuss verpasst haben.
Das gilt genauso für Schule und Lernen. Ihr altes Format, das Klassenzimmer mit dem Lehrer als Kenner und Könner und dem Lehrplan als jedem einsichtigen Drehbuch, ist nicht nur altmodisch. Es gab den Lernenden zugleich Überblick und Sicherheit.
Das digitale Lernen der Marke "sofort, überall – und jeder für sich allein" bedeutet oft mehr Freiheit, als das Individuum bewältigen kann. Bald geben Computer und Datenbanken vor, wie das Lernpensum des Schülers aussieht. Der Lehrer als Pfadfinder und Welterklärer verschwindet zunehmend.
Die diesjährige Didacta ist also eine Bildungsmesse des Übergangs. Bestaunen wir ein letztes Mal humane Pädagogen, die sich ihre Koffer mit Orientierung vollmachen. Bald erscheinen die Lehrer uns nur noch als humanoide Cyborgs und künstlich intelligente Roboter aus der Cloud.

Christian Füller, 52, ist Buchautor (u.a. "Die Revolution missbraucht ihre Kinder", "Die gute Schule") und Journalist mit dem Schwerpunkt Bildung. Er schreibt für Der Freitag, FAZ, Welt am Sonntag und bloggt als Pisaversteher.



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