Merkel in Afrika

Es geht nicht nur um Fluchtursachen

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Malis Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita schreiten in Mali eine Militärformation ab.
Erste Station von Merkels Afrikareise: Die Bundeskanzlerin wird in Mali von Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita begrüßt. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Joachim von Braun im Gespräch mit Nana Brink · 11.10.2016
Die Afrikareise der Bundeskanzlerin sei ein "positives Signal", meint Joachim von Braun vom Zentrum für Entwicklungsforschung. Allerdings dürfe es dabei nicht nur um Fluchtursachenbekämpfung gehen, sondern um langfristige Entwicklungsbeziehungen.
Ein "wichtiges Symbol" und ein "positives Signal" sieht Joachim von Braun, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn, in der Afrikareise der Bundeskanzlerin. "Zu reisen und respektvoll zuzuhören ist ja nicht die normale Tagesordnung zwischen Deutschland und Afrika", betonte von Braun im Deutschlandradio Kultur.
Allerdings dürfe es dabei nicht nur um "kurzfristig gedachte Fluchtursachenbekämpfung" gehen. "Wir brauchen eine neue Beziehung, eine auf langfristige wirtschaftliche und soziale und nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Beziehung zwischen Afrika und Deutschland", so von Braun. "Es geht ja um das Schaffen von Millionen von Jobs und von einer Herstellung von Infrastruktur, die industrielle und Handel fördernde Investitionen stimulieren kann."

Menschenrechtsaspekte nicht außer Acht lassen

Mit der von Menschenrechtsorganisationen geäußerten Kritik konfrontiert, mit solchen Zahlungen würden undemokratische Regime gestützt, räumte von Braun ein, dass Menschenrechtsaspekte nicht "hinten runterfallen" dürften. Allerdings seien Fluchtursachen nicht nur Krieg und Gewalt oder Hunger, Armut und Umweltkatastrophen. "Die dritte sind Migration, wo insbesondere junge Menschen – junge Männer, aber auch Frauen – einen Job in Europa und in Deutschland suchen, um besser leben zu können." (uko)

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Afrika-Reise der Bundeskanzlerin – sie war ja schon in Mali, in Niger, heute ist sie in Äthiopien –, die hat ja gezeigt: Der Kontinent, lange nur im Interesse von Entwicklungspolitikern, ist nun im Fokus der deutschen Außenpolitik. Es geht, ja, um deutsche Interessen, nämlich die Fluchtursachen zu bekämpfen, die Millionen Menschen auf den Weg nach Europa schicken könnten und bereits ja schon schicken. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist ja in Afrika unterwegs. Bei einem Besuch in Nigeria ging es ja gestern unter anderem um den Kampf gegen die Terrormiliz Boko Haram und die Hungersnot. Volles Aufgebot also der deutschen Politik. Was haben wir davon zu erwarten? Professor Joachim von Braun ist Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn, das ist ein international und interdisziplinär ausgerichteter Thinktank. Ich grüße Sie, Herr von Braun!
Joachim von Braun: Ja, guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Was kann denn so eine Reise oder solche Reisen von Außenminister und Bundeskanzlerin bringen außer Symbolcharakter?
von Braun: Ja, sie sind zumindest zum Anfang ein wichtiges Symbol. Politik kommt ja nicht ohne Symbole aus und das gilt auch für die europäisch-afrikanischen Beziehungen. Ich sehe in der Kanzlerinnenreise zunächst mal ein positives Signal. Es ist natürlich ganz wichtig zu überlegen, was kommt danach, aber zu reisen und respektvoll zuzuhören ist ja nicht die normale Tagesordnung zwischen Deutschland und Afrika. Langfristige Afrika-Politik, die Wirtschaft und Entwicklung fördert, haben wir nicht in genügend großem Rahmen und nicht langfristig genügend gedacht.

Drei Länder mit großen Problemen, aber auch Chancen

Brink: Also sagen Sie, es ist eine Symbolpolitik im Sinne von, ja, zuhören, sich anhören, was nötig ist. Leistet sie das?
von Braun: Die Reise ist ja kurz und das kann man der Kanzlerin nicht verübeln. Aber deutsche Politiker müssten meines Erachtens sehr viel mehr in Afrika sein und zwar auf afrikanischen Veranstaltungen und nicht nur rein- und rausreisen. Und die Regierungsspitze tut meines Erachtens im Moment durchaus das Richtige, in drei sehr problematische Länder, Länder mit großen Problemen, aber auch mit Chancen zu reisen und dort mit den Staatschefs zu sprechen und sich die Zeit dafür zu nehmen.
Ich bin überzeugt, dass die Kanzlerin da nicht nur einseitig redet, sondern sie steht ja gestandenen Staatschefs gegenüber und der Afrikanischen Union heute in Addis Abeba in Äthiopien. Sie wird da sicher auch afrikanische Perspektive zu hören bekommen und die ist: Wir brauchen eine neue Beziehung, eine auf langfristige wirtschaftliche, soziale und nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Beziehung zwischen Afrika und Deutschland, nicht nur kurzfristig gedachte Fluchtursachenbekämpfung.
Bundeskanzlerin Merkel sitzt während ihrer Afrikareise in Niamey mit Schülern in auf einer Klassenbank.
Die zweite Station: Niger. Bundeskanzlerin Merkel bei einem Besuch in einer Grundschule in Niamey, der Hauptstadt Nigers.© picture alliance /dpa /Michael Kappeler
Brink: Klar ist ja auch, dass Interessen formuliert werden, das hat ja auch Nigers Präsident gestern gemacht, als die Kanzlerin in Niger war, und zwar hat er einen großen Marshallplan für seinen Kontinent gefordert, wie er für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg ja aufgerufen worden ist. Was halten Sie davon?
von Braun: Die Analogie zu einem Marshallplan … Also, der Vergleich hinkt. Aber ein großer Plan und eine große wirtschaftliche Aufbau- und Wachstumsinitiative, die Europa und dabei insbesondere Deutschland kofinanziert und mit Know-how unterlegt, ist schon der richtige Gedanke. Es geht ja um das Schaffen von Millionen von Jobs und von einer Herstellung von Infrastruktur, die industrielle und Handel fördernde Investitionen stimulieren kann. In dem Punkt stimmt der Vergleich.

Investitionen müssen vor Ort überwacht werden

Übrigens war der alte Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg auch nicht nur in Deutschland tätig, sondern auch in einer Reihe von Ländern, die damals zu den Entwicklungsländern zählten, und hat gut gewirkt. Entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines großen Investitions- und Partnerschaftsplans ist allerdings, die Kapazität selbst planen zu können und die Investitionen vor Ort überwachen zu können, dass da keine Korruptionen passieren, dass das Geld gut investiert wird. Auch dabei kann und muss geholfen werden und dabei ist auch damals nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa geholfen worden von den Amerikanern.
Brink: Genau, aber nun sind ja die Warnungen unter anderem ja auch von vielen Menschenrechtsorganisationen, die in Afrika tätig sind, sehr laut, die sagen: Mit diesen Zahlen unterstützt man undemokratische Regime, das kann nicht funktionieren.
von Braun: Ja, wir müssen bei Migration und Flucht tatsächlich zwischen drei Ursachen unterscheiden. Und Krieg, Gewalt sind eine wichtige Fluchtursache, auch in Afrika, nicht nur im Nahen Osten. Und das ist ein Menschenrechtsthema und Völkerrechtsthema. Und die zweite Fluchtursache sind Armut und Hunger und Umweltkatastrophen, die müssen mit entsprechenden Politikmaßnahmen, insbesondere auch der Hungerbekämpfung angegangen werden. Und die dritte sind Migration, wo insbesondere junge Menschen, junge Männer, aber auch Frauen einen Job in Europa und in Deutschland suchen, um besser leben zu können.
Also, wir müssen differenzieren. Und die Menschenrechtsaspekte dürfen dabei nicht hinten runterfallen. Wenn Deutschland aber eine stärkere wirtschaftliche Beziehung und eine auf langfristige Kooperation angelegte Beziehung zu afrikanischen Ländern hat, hat es auch eine bessere Stimme, eine glaubwürdigere Stimme, dort über Menschenrechte zu sprechen.
Brink: Professor Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung in Bonn. Vielen Dank, für das Gespräch!
von Braun: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema