Meran

Südtiroler arbeiten jüdische Geschichte auf

Von Katrin Kühne · 26.05.2017
Kaiserin Sissi machte den Tiroler Luftkurort Meran berühmt. Er wurde von jüdischen Ärzten und Hoteliers begründet. Mit Mussolinis Machtübernahme begann ihr Leidensweg. Durch Hilters Nazi-Truppen wurde die jüdische Kultur endgültig ausgelöscht. Dagegen stemmt sich die heutige Kultusgemeinde.
"Wir stehen hier auf einer der vielen Brücken über die Passer und sehen den Teil der Kurpromenade vor uns, hier beherrschend das Kurhaus, wenn wir Richtung Norden schauen, das sind schon zwei Gebäude, die zur Laubengasse, zur mittelalterlichen Altstadt gehören."
Beschreibt mir Lokalhistorikerin Waltraut Rainer das Spannungsfeld der Stadt. Zwischen dem Mittelalter, als nur wenige Juden in Meran existieren, und der Zeit des K.u.K. - Österreichischen Luftkurortes am Ende des 19.Jahrhunderts, die Blütezeit der jüdischen Gemeinde. Damals wird sie als Königswarter Stiftung geführt. Benannt nach dem Frankfurter Bankier und Teilzeitbewohner von Meran, Isaak Königswarter, der 6000 Gulden in Andenken an seinen früh verstorbenen Sohn Emil gestiftet hatte.
Joachim Innerhofer, der Direktor des kleinen Jüdischen Museums in der Meraner Synagoge, spaziert mit mir über den großen und grünen Jüdischen Friedhof an der St. Josefstrasse:
"Zuerst sind eigentlich in Meran vor allem Geschäftsleute, Jakob und Daniel Biedermann, die Gründer der ersten Bank in Meran. Dann kommen die ersten Hoteliers, eine der ersten Familien war die Familie Bermann, die aus Hohenems kommen hierher und haben dann dort erste koschere Restaurants geöffnet, erste Hotels geöffnet und so ist es dann langsam mit dem Tourismus losgegangen."

Kafka und Freud als Kurgäste

Die oft prominenten Touristen, unter ihnen viele Künstler wie Schnitzler, Zweig, Kafka, Wissenschaftler wie Freud, auch der spätere Präsident Israels, Chaim Weizmann, bringen Toleranz und Weltoffenheit in das kleine Meran, prachtvoll gelegen in einem Alpental des damals erzkatholischen und aus religiöser Tradition unterschwellig antisemitischen, Südtirol.
Auf dem Friedhof liegt auch ein Freund des Bankiers Königswarter begraben. Er war einer der bedeutendsten Kurärzte des Ortes.
"Raffael Hausmann, auch Mitglied der Kultusgemeinde, 1865 nach Meran gekommen, hat dort eine Arztpraxis eröffnet und er war sehr beliebt. Nicht nur bei den Juden, sondern auch bei der einheimischen christlichen Bevölkerung. Er hat keinen Unterschied gemacht, ob einer reich ist oder arm ist."
Das jüdische Gebot der Wohltätigkeit prägt die Entstehungsgeschichte der Kultusgemeinde. 1893 wird das erste Sanatorium für bedürftige lungenkranke, jüdische Patienten eröffnet. 1909 dasjenige, das sich - als Wohnhaus - noch immer neben der Synagoge in der Schillerstraße befindet. Sie war 1901 als erstes jüdisches Gotteshaus in Tirol errichtet worden. Das kleine, feine Gebäude hat den italienischen Faschismus und die deutsche Besatzung überlebt – als Pferdestall der Nazis.
"In Italien hat es diese Reichspogromnacht nicht gegeben, so wie in Deutschland und in Österreich eben. Allerdings unsere Synagoge wurde teilweise beschädigt, nachdem die Nazis eben in Italien einmarschiert sind, ab 1943. Alles, was nicht niet-und nagelfest war, wurde gestohlen, wie Thora-Rollen, Silbergegenstände oder Kultgegenstände."
Heute existiert wieder eine orthodoxe Gemeinde mit knapp 50 Mitgliedern, so Innerhofer, als wir uns in dem Tempel umschauen, über dessen Aron Ha-Kodesh in hebräischen Lettern steht:
"Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich unter ihnen wohne."
In den 20er- und 30er-Jahren hat die Gemeinde rund 330 Mitglieder, deren Zahl sich zum Teil stark vergrößert. Es waren durchreisende, verfolgte Juden, wie in den Dokumenten des Stadtarchivs nachzulesen ist. Ab Herbst 1938 erlässt Mussolini antijüdische Gesetze, die denen Hitlers ähneln. Der Druck auf die jüdische Bevölkerung nimmt zu. Quasi-Enteignungen finden statt.

Befehl: alle Juden verhaften

Kurz nach dem Ende des faschistischen Regimes am 25. Juli 1943 waren die Deutschen in Südtirol einmarschiert. Am 12. September ergeht der Befehl, alle Juden zu verhaften.
"Hier in Meran in der Otto-Huberstraße gab es eine Sammelstelle im Balilla-Haus - Balilla ist die faschistische Jugendorganisation -, und dort haben die Meraner Juden eingesperrt, einige Tage dort festgehalten und nach Bozen deportiert und von Bozen eben nach Auschwitz beziehungsweise nach Innsbruck-Reichenau."
In Bozen und Reichenau sind damals KZs, die vorwiegend als Durchgangslager dienen.
"Ungefähr wurden 150 bis 200 jüdische Mitbürger verhaftet und nach Auschwitz deportiert."
Eine ist zurückgekehrt: Wally Baronin von Hoffmann, die 1957 in Meran verstorben ist.
Im Museum der Synagoge treffen wir auf die Autorin Sabine Mayr. Sie hat zusammen mit Museumsdirektor Innerhofer ein exzellent recherchiertes Buch verfasst über die Schicksale der vergessenen, jüdischen Südtiroler. Es trägt den sprechenden Titel "Mörderische Heimat".
Auch der den Nazis nahestehende SOD, der Südtiroler Ordnungsdienst, verfolgte Familien, die sich versteckt haben. Nicht nur die Deutschen, wie bei Terka, deren Schicksal die Autoren recherchiert haben:
"Terka Bermann war mit Julius Bermann verheiratet, hat in Meran die Villa 'Ortler' geführt, eine Pension, wo auch Rabbiner gelebt haben. Die Familie Bermann war sehr orthodox, streng religiös, war sehr wichtig eben für die Entfaltung des jüdischen religiösen Lebens in Meran."
Terka hat sich widerstandslos von den Deutschen festnehmen lassen, im Trientiner Nonstal, wohin sich die Familie geflüchtet hatte. Eventuell, um Mann und Kinder im Haus zu schützen, denen auch wirklich die Flucht in die Schweiz gelingt. Sie überlebt die Schoah nicht. Die Villa "Ortler" existiert noch als Wohnhaus in der Meraner Carduccistrasse.

Späte Aufarbeitung

Erst heute beginnen die deutsch- wie auch italienisch-sprachigen Südtiroler mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte, ihrer Verstrickung in das Geflecht von Mussolini-Faschismus, Hitler-Nazismus und Judenverfolgung.
Mit einem versöhnlichen Zitat von Massimo Gronich, dessen Großvater und Vater die Verfolgungen überlebt hatten, endet das Buch "Mörderische Heimat" von Joachim Innerhofer und Sabine Mayr:
"Mein Großvater betrachtete sich immer als Meraner. Trotz allem, was geschehen war, haben mein Vater wie mein Großvater ihre Begeisterung für Südtirol und die Südtiroler nie verloren. Auch wenn einzelne Menschen sich unehrenhaft verhalten haben, darf daraus niemals eine kollektive Anklage erwachsen, niemals, unter keinen Umständen. Das war ihre großmütige und edle Haltung, die mich immer beeindruckt hat."

Die Recherche wurde unterstützt von der Kurverwaltung Meran/ Meran Tourist Office
Literaturtipp: "Mörderische Heimat", Edition Raetia 2015. Hrsg.: Jüdisches Museum Meran
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