Mentale Gemeinsamkeiten in Nord und Süd

Moderation: Liane von Billerbeck · 26.07.2013
Kleine Schritte der Veränderung und bescheidenen Wohlstand macht der Leiter des für die beiden koreanischen Staaten zuständigen Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, Lars-André Richter, in Nordkorea aus. Trotz der langen Teilung existiere in Süd und Nord eine "gemeinsame Prägung" und "eine gemeinsame Sehnsucht".
Liane von Billerbeck: Vor 60 Jahren, am 27. Juli 1953, endete der Koreakrieg mit einem Waffenstillstand. Und das Land blieb geteilt und hat kein deutsches 1989 erlebt. Korea ist aber nicht nur ein geteiltes Land, sondern auch eine Nation, die unter den asiatischen Großmächten China und Japan gelitten hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Perspektive Korea als Nation heute hat. Und darüber zu sprechen ist Lars-André Richter im Studio, von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Korea, herzlich willkommen!

Lars-André Richter: Danke schön!

von Billerbeck: Deutschland hat ja eine relativ kurze Nationalgeschichte, als es nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurde. Aber die koreanische Situation ist ja viel krasser, viel drastischer. Gibt es denn überhaupt so was wie eine Nation Korea?

Richter: Es gibt ganz sicher stärker ausgeprägt, ist zumindest mein Eindruck, als das eben hier in den beiden Deutschlands gewesen ist, schon eine koreanische Identität, ein koreanisches Identitätsempfinden. Wenn man sich den deutschen Fall so anschaut, das ist ja eben einfach sehr schwierig gewesen, eben da noch nach den Verwerfungen der Jahre 33 bis 45 noch eine nationale Identität oder einen Patriotismus vor sich herzutragen, aus den Gründen, die wir alle kennen.

Im Falle von Korea liegen die Dinge anders, Korea ist ja nun gleich zweimal Opfer gewesen. Korea ist besetzt gewesen – also, wir reden jetzt mal nur über das 20. Jahrhundert –, Korea ist besetzt gewesen, japanisch besetzt gewesen von 1910 bis 45, also bis der Zweite Weltkrieg eben auch im ostasiatischen Raum zu Ende war, und ist dann geteilt worden. Das ist also sozusagen, wenn Sie das mit der europäischen Geschichte vergleichen, Polen, besetzt gewesen und Deutschland ist geteilt worden. Aber hier kommen diese beiden Dinge eben einfach zusammen und das ist etwas, was natürlich eben als großes Unrecht rezipiert wird in Korea. Aber die Frage war: Nationale Identität? - Und die ist natürlich dann eben einfach auch ein Stück Selbstvergewisserung immer gewesen, das "Koreaner sein".

von Billerbeck: Und was ist prägend für diese koreanische nationale Identität, das Nationalbewusstsein?

Richter: Natürlich der Konfuzianismus. Der Konfuzianismus ist eine Philosophie, keine Religion, das ist eine Philosophie, eine Staatsphilosophie, in der Bildung eine hohe Rolle spielt, in der aber auch Unterordnung eine hohe Rolle spielt. Das ist etwas gewesen, was den, na ja, den kompletten ostasiatischen Raum eigentlich sehr stark geprägt hat. Und wie gesagt, das ist etwas, was Sie tatsächlich also sowohl bei Nordkoreanern als auch bei Südkoreanern eben immer noch erkennen können, trotz aller Entwicklungen, die es in beiden Ländern gegenläufig zum Teil eben gab. Das ist nach wie vor etwas, was noch eine Rolle spielt.

Aber es gab ja eigentlich keinen Grund zu sagen, wir müssen uns unserer nationalen Identität schämen, anders als im deutschen Fall. Es gab diesen Grund nicht und es ist so ein bisschen durchaus ja noch mal vergleichbar mit Polen, wo eben ja auch noch die religiös-konfessionelle, die katholische Identität eine starke Rolle spielt zwischen dem orthodoxen Russland und dem protestantischen Preußen, protestantisch geprägten Preußen-Deutschland. Korea, die koreanische Halbinsel, Sie haben es angedeutet, allein geografisch, aber natürlich eben auch kulturell zwischen diesen beiden wichtigen Mächten – Japan im Osten und China im Westen – hat sich natürlich eben auch dann sehr stark über diese nationale Identität definiert.

von Billerbeck: Nun gibt es über Jahrzehnte eine Teilung. Haben sich da quasi zwei Nationen entwickelt, eine süd- und eine nordkoreanische?

Richter: Ja, aber nur bedingt. Es ist nicht irreversibel. Wenn wir jetzt also über die Vereinigungs-, Wiedervereinigungsperspektive reden - es ist zweifelsohne so, wir haben es mit zwei verschiedenen Systemen zu tun, ähnlich wie in Deutschland. Wir haben im Norden einen Staat, der, na ja, immer noch ganz gerne als kommunistisches Überbleibsel betrachtet wird, der das so nicht ist, das stimmt nicht ganz. Im Norden gibt es eine Ideologie, die Juche-Ideologie, koreanischer Begriff für Eigenständigkeit, und im Süden, der Süden war eben über Jahrzehnte militärdiktatorisch regiert.

Wir dürfen nicht vergessen, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung, institutionalisiert, gibt es in Südkorea eben auch erst seit 1987, das ist erst ein gutes Vierteljahrhundert her. Insofern, das war eine eher, na ja, rechtsorientierte Militärdiktatur und eben ein, na ja, irgendwie noch semikommunistisches Nordkorea, die sich gegenüberstanden. Zwei verschiedene Systeme, aber trotzdem eben noch eine gemeinsame Prägung und durchaus auch noch eine gemeinsame Sehnsucht. Natürlich, wenn schon Wiedervereinigung, dann möchte das jeder unter seinen Bedingungen eben einfach erreichen. Aber es gibt da schon noch einige mentale Gemeinsamkeiten.

von Billerbeck: Wir haben schon mal den deutschen Vergleich gehabt. Wenn wir den noch mal zu Rate ziehen: Die DDR, da reichte die Produktivität am Ende auch nicht mehr aus, um den Lebensstandard zu erhalten, und der Staat hat von der Substanz gezehrt oder von westdeutschen Krediten und stand vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Man wundert sich, dass Nordkorea, wo es ja viel dramatischer ist, die Situation, jedenfalls das, was wir erfahren, man wundert sich, dass Nordkorea noch längst nicht zusammengebrochen ist!

Richter: Ja, also, ich meine, es gab alle möglichen Prognosen und alle möglichen Hoffnungen, Erwartungen eben, nachdem der Eiserne Vorhang in Europa fiel, nachdem der Ostblock oder die kommunistischen Staaten – mit der Ausnahme eben Kuba und Nordkorea – implodierten, weg waren, verschwanden von der Landkarte.

Es gab eine Menge Prognosen, die gesagt haben, Nordkorea, das ist eine Frage von Monaten und Jahren, dann erwischt es die auch. Und das ist immerhin jetzt schon 23, 24 Jahre her, es gibt diesen Staat immer noch. Ein wichtiger Grund ist zweifelsohne das Atomprogramm und ein anderer natürlich auch einfach die Protektion durch den Nachbarn China. Ich denke mir, dass die chinesische Protektion, die politische, aber auch wirtschaftliche Unterstützung, eben wesentlich dazu beiträgt, dass eben Nordkorea nach wie vor existiert.

von Billerbeck: Hat sich denn etwas getan durch den Wechsel auf dem Thron, in Anführungsstrichen, des Diktators? Also, beim Wechsel zu Kim Jon-un?

Richter: Auf jeden Fall haben wir jemanden jetzt dort an der Spitze der Partei, er steht ja nicht an der Spitze des Staates, das ist ja nach wie vor sein verstorbener Großvater, der eben de jure Staatsoberhaupt, Präsident ist. Aber wir haben jedenfalls einen mächtigen Mann an der Spitze der parteilichen, militärischen Einrichtung, der vergleichsweise jung ist. Egal, ob jetzt 29 oder 32, die Angaben schwanken ja, er ist eben für konfuzianische Verhältnisse erstaunlich jung. Aber er ist eben auch auf der anderen Seite der Enkel des Staatsgründers Kim Il-sung, der nach wie vor eben als Übervater verehrt wird, und insofern: Das kompensiert natürlich auch ein bisschen.

Es ist viel darüber spekuliert worden im Laufe der letzten anderthalb Jahre, seit Kim Jong-il tot ist und seitdem Kim Jon-un eben in Amt und Würden ist, das war ja auch ein Prozess, das war ja nicht über Nacht, aber es ist sehr viel darüber spekuliert worden, ob sich die stilistischen Änderungen, die man wahrnehmen könnte – Sie erinnern sich, er trat mit seiner Ehefrau auf oder mit einer jungen Dame, von der dann herauskam, es ist seine Ehefrau, das gab es bis dato ja noch nicht, man sah ihn lächeln auf den offiziellen Fotos, was ja auch eher ungewöhnlich …, man sah ihn volksnah –, man sah ihn eigentlich sehr stark in der Tradition seines Großvaters stehen, was also wie gesagt die Außendarstellung anbelangt. Das hatte man zumindest längere Zeit nicht gesehen und die Frage ist eben einfach: Verbindet sich damit eben auch ein Wechsel der Politik? - Es ist schwierig zu sagen. Es gab Versuche zu erklären. Na ja, gut, jetzt wird das sehr dominante Militär eben in seiner Macht beschnitten, die Partei, Schrägstrich: der Staat, oder: die Politik, binden wieder mehr Macht an sich. So richtig 'raus ist das eben dann letztlich immer noch nicht.

von Billerbeck: Nun beobachten und bewerten Sie ja nicht bloß Nordkorea, sondern auch Südkorea. Gibt es denn eigentlich aus Ihrer Sicht, als Mann einer FDP-nahen Stiftung, gesellschaftliche Veränderungen in Nordkorea, die man von außen feststellen kann?

Richter: Das ist schwierig, weil ich ja nun so häufig nicht da bin. Ich versuche, drei- bis viermal im Jahr im Land zu sein, jeweils eine Werktagswoche mehr oder minder. Ich habe dort natürlich nicht die Möglichkeit, sehr viele Gespräche zu führen, das ist eine schwierige Sache natürlich. Es ist von außen nicht erkennbar, dass sich jetzt gesellschaftlich sehr viel ändert. Ich meine, die Sache, die Sie natürlich immer wieder haben, dass also Menschen, die seit längerer Zeit in Nordkorea, also immer wieder in Nordkorea sind über einen längeren Zeitraum, dass die sagen: Es tut sich gerade in Pjöngjang einiges.

Also, Sie sehen eben deutlich mehr Autos auf den Straßen, das ist so ein Indikator. Sie sehen mehr Menschen mit Mobiltelefon. Und es gibt durchaus Hinweise darauf, wenn wir bei den Autos bleiben, dass das eben jetzt nicht nur Wagen von Parteioberen sind. Also, es scheint sich da eben ein, na ja, eben auf dem entsprechenden Niveau eben schon in Ansätzen ein gewisser materieller Wohlstand eben abzuzeichnen, woher der immer kommen mag. Aber das sind nur wirklich kleine Schritte im Vergleich zu dem, was sich eben in anderen Staaten so tut.

von Billerbeck: Korea ist ja eine geschundene Nation, Sie haben das beschrieben. Japan, China spielen eine Rolle. Korea steht aber auch in einem Prozess, den wir immer als Globalisierung bezeichnen. Ist das für Südkorea beispielsweise eine Chance, sich da zu positionieren?

Richter: In Südkorea, ja. Also, Südkorea ist ja nun einer von diesen vier sogenannten asiatischen Tigerstaaten. Man hat natürlich in Südkorea mit … den Familien – jeder kennt den Namen Samsung und Hyundai, LG möglicherweise, aber es gibt noch einige, die nicht ganz so berühmt sind –, das sind Familienkonglomerate, die ja eben auf dem Weltmarkt auch sehr gut aufgestellt sind. Wenn wir jetzt über die Perspektive reden Wiedervereinigung Nordkorea-Südkorea …

von Billerbeck: Da sind ja krasse Unterschiede zwischen diesen beiden Staaten …

Richter: Der Wohlstand, der eben dort erarbeitet worden ist in Südkorea, über die letzten Jahrzehnte, drei, vier Jahrzehnte, der wäre möglicherweise natürlich eben bedroht, vorsichtig gesprochen. Das ist einer der Gründe, weswegen es in Südkorea, abhängig von der Generation, da ja, je jünger die Menschen werden, desto skeptischer sind, dass das gelingen könnte respektive, sagen wir mal, gleichgültiger sind. Es interessiert sie nicht mehr so sehr, sie sind also an diesen Wiedervereinigungsfragen nicht mehr so sehr interessiert, auch weil es eben einfach gilt, dieses Niveau, dieses wirtschaftliche Wohlstandsniveau eben zu halten.

von Billerbeck: Das sagt Lars-André Richter vom Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Korea. Ganz herzlichen Dank!

Richter: Herzlichen Dank Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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- Osteuropa-Experte Manfred Sapper über neue Versuche, das rote Imperium zu deuten Drohungen aus Nordkorea - Politologin Lee über das Säbelrasseln


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