Menschliches Verhalten

Marshmallow-Test in Kamerun

Mehrere Packungen mit amerikanischen Marshmallows liegen in einem Korb.
Die süßen Marshmallows durch Willenskraft widerstehen. Für viele Kinder ist das in früheren Tests nicht ganz einfach gewesen. © imago Newscast
Von Volkhart Wildermuth · 10.08.2017
Funktionieren Test zur Verhaltenspsychologie auch interkulturell? Es komme darauf an, sagen Wissenschaftler und beforschen ihre Forschungsmethoden. Der Auslöser waren sogenannte Marshmallow-Tests. Dabei geht es auch darum, einer süßen Versuchung zu widerstehen.
Psychologen wissen viel über den menschlichen Geist und die menschlichen Gefühle. Allerdings nur solange es sich um die Gefühle von Psychologiestudenten handelt, denn Psychologiestudenten stellen den Großteil der Versuchspersonen von Psychologen.

"Wenn wir nur die westlichen Mittelschicht-Stichproben untersuchen, dann unterliegen wir der Gefahr, dass wir da auch viele Fehler machen oder Falsches für Universalien halten", sagt Bettina Lamm. Die Psychologin von der Universität Osnabrück vermutet, dass es solche Fehlschlüsse auch beim sogenannten Marshmallow Test geben könnte.

Der Verlockung widerstehen

Sie ist darum in das Grasland Kameruns gereist. Dort leben die Nso, die als Ackerbauern zwar genug Mais und Bohnen zum Überleben erwirtschaften, aber kaum Gewinne machen. Hier sind daher alle aufeinander angewiesen und schon kleine Kinder müssen lernen, Rücksicht zu nehmen. Mit diesen Kindern wiederholte Bettina Lamm diesen Marshmallow Test, allerdings nahm sich anstelle von Marshmallows Puff-Puffs, das sind süße Teigbällchen:
"Der Puff-Puff ist eine Besonderheit, ein spezielles Highlight, wenn ein Festtag ansteht oder sonntags wird das gekauft oder von den Familien selbst zubereitet."
Puff-Puff ist also eine echte Verlockung, die für geduldige Kinder verdoppelt wurde. Ein ähnliches Experiment mit Lollis und Schokoriegeln hatte Betina Lamm auch schon in Deutschland gemacht:

"Den deutschen Kindern kann man förmlich ansehen, wie schwierig das Warten ist, und wie sie kämpfen gegen die Versuchung. Also die zappeln viel herum und trommeln auf den Tisch und erzählen sich selber was oder singen sich was vor, versuchen sich irgendwie abzulenken und die kamerunischen Nso Kinder haben häufig einfach nur ganz ruhig da gesessen und gewartet, einige sind sogar eingeschlafen während der Wartesituation. Sie waren viel weniger aktiv, und es sah auch viel weniger anstrengend oder schwierig aus."

Ausgeprägte Selbstkontrolle

Nur ein knappes Drittel der deutschen Kinder schaffte es, auf die zweite Süßigkeit zu warten. Bei den Nso waren dazu mehr als 70 Prozent in der Lage. Ein spannendes Ergebnis, findet Wouter van den Bos, Psychologe am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, der selbst mit dem Marshmallow Test arbeitet:
"Das klingt erst einmal verblüffend, aber wohl nur, weil wir annehmen, im Vergleich zur ländlichen Gesellschaft Kameruns wären westliche Gesellschaften weiter entwickelt, und Zivilisation hätte etwas mit Selbstkontrolle zu tun."
Offenbar ein Vorurteil, denn die Selbstkontrolle scheint bei den Kindern Kameruns deutlich besser ausgeprägt zu sein. Bettina Lamm vermutet, dass hier die unterschiedlichen Erziehungsstile durchschlagen. Deutsche Kinder werden von Anfang an ermuntert, sich durchzusetzen und für ihre Belange einzustehen.
"Bei den Kameruner Kindern bei den Nso sind eben ganz andere Ideale im Vordergrund. Hier ist den Eltern wichtig, dass die Kinder lernen, sich in der Gemeinschaft einzufügen, ihren Platz in der durchaus strikten Hierarchie der sozialen Gruppe zu finden, sich eben unterzuordnen. Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse ein bisschen zurückzustellen und diese Ziele passen eben sehr gut zu der Wartesituation."

Eine Frage der Erziehung

In Kamerun sind die Eltern vergleichsweise streng und fordern von ihren Kindern früh das strikte Einhalten von Regeln und damit indirekt Selbstkontrolle. In der deutschen Gesellschaft hat Erziehung einen anderen Effekt. Hier zeigen gerade die Kinder ein hohes Maß an Selbstkontrolle, deren Eltern auf sie eingehen und ihnen Regeln nicht einfach nur vorsetzen, sondern diese auch erklären. Außerdem, betont Wouter van den Bos, misst der Marshmallow-Test auch nicht ausschließlich Selbstkontrolle.

Viel hängt davon ab, wie die Kinder, die ganze Situation interpretieren. Wenn sie zum Beispiel den Forschern nicht trauen, dann wäre es vernünftig, die Süßigkeit sofort zu essen, wer weiß, ob das Versprechen gehalten wird. Und vielleicht habe sich die ganze Situation aus Sicht der Kinder aus Nso völlig anders dargestellt, gibt der Psychologe zu bedenken, erklärt van den Bos:
"Für westliche Kinder wirkt das wie eine typische Wahlsituation. Sie müssen sich entscheiden: Was mache ich jetzt? - Das könnte für die Kameruner Kinder anders sein. Vielleicht denken sie einfach, dass sie warten sollen. Und wenn sie hier gar keine Entscheidungsmöglichkeit sehen, dann ist es für sie leichter, still zu sitzen, bis es vorbei ist."

Nach der Verhaltensstudie die Langzeitstudie

Langzeitstudien aus den USA zeigen: Vorschulkinder mit guter Selbstkontrolle entwickeln sich zu Jugendlichen mit besseren Abschlussnoten und auf lange Sicht zu erfolgreichen Erwachsenen.
"In westlichen Gesellschaften sagt der Marshmallow-Test viel über spätere Eigenschaften voraus. Es wird spannend sein, zu sehen, ob er auch in Kamerun solche Voraussagen treffen kann", so van den Bos.
"Wir vermuten eher, dass in diesem Kontext dann vielleicht andere Fähigkeiten den Unterschied machen, quasi das kleine Extra bringen. Da so viele Kinder das erfolgreich bewältigen, wird das sicher nicht die Kompetenz sein, die sie hervorbringt oder eben von anderen besonders unterscheidet im Erfolg", sagt Bettina Lamm. Sie will jedenfalls schon bald wieder zu den Nso fahren, um zu erforschen, was das Abschneiden im Puff-Puff Test für das weitere Leben bedeutet:
"Die Kinder sind inzwischen alle in der Grundschule und das wäre der nächste Schritt, wie kommen die in der Schule klar und da Zusammenhänge mit der Fähigkeit zur Warten im Vorschulalter."
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