Menschenscheue Kerle am Telefon und Gewaltorgie ohne Sinn

Von Anke Leweke · 30.07.2008
Ein wortreicher Film über die Wortlosigkeit unserer modernen Gesellschaft ist "Selbstgespräche". Handlungsort ist ein Callcenter. In "Unter Kontrolle" versucht Jennifer Lynch als Regisseurin in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters David zu treten, liefert jedoch nur eine blutige Aneinanderreihung dumpfer Szenen.
"Selbstgespräche"
Deutschland 2007, Regie: André Erkau, Darsteller: August Zirner, Maximillian Brückner, Mina Tander, Antje Widdra, Georg Uecker u.a., Länge: 96 Minuten

Wer kennt sie nicht, die enervierenden Anrufe aus dem Callcenter? Mit freundlicher Stimme rufen Menschen zu den unpassendsten Zeiten an, versuchen uns Dinge zu verkaufen, die wir garantiert nicht brauchen. André Erkau zeigt in seinem Regiedebüt das Leben an der anderen Seite der Leitung, stellt seine Kamera in einem Kölner Callcenter auf.

In "Selbstgespräche" begegnen wir sogenannten Verlierern, Menschen mit Geldproblemen, die auf einen anderen Job hoffen und doch in einer ewigen Warteschleife verharren. Etwa der allein erziehenden Marie, dem liebenswerten Großmaul Sascha, der eigentlich Schauspieler werden will, oder dem "Topseller" Adrian, der, sobald er das Telefon aufgelegt hat, sich in einen menschenscheuen Kerl verwandelt.

Die Ausgangsidee ist hübsch. Es geht um Menschen, deren Job die Kommunikation ist, die im wirklichen Leben aber aneinander vorbeireden oder nicht die richtigen Worte finden. "Selbstgespräche" ist ein wortreicher Film über die Wortlosigkeit unserer modernen Kommunikationsgesellschaft geworden. Auch wenn man manchmal meint, das Drehbuch knirschen zu hören, die Figuren und ihre Probleme allzu stereotyp wirken, vermögen die Schauspieler die ihnen auferlegten Klischees zu überspielen.

Maximilian Brückner gibt Sascha als sympathischen Aufschneider. Auch wenn er für jeden Pott einen Deckel hat, merkt man ihm seine tiefe Unsicherheit an. Schon lange hat man August Zirner nicht mehr so überzeugend gesehen. Er spielt den Chef des Callcenters, der den Druck von oben an seine Mitarbeiter weitergibt - und der seine coole Managersprache auch mit nach Hause an den Abendbrottisch nimmt.

Es ist das überzeugende Schauspielerensemble, das über die eher fernsehhaften Bilder hinwegsehen lässt. Nur wenn die Kamera im Callcenter verweilt, verlässt sie die Perspektive der braven halbnahen Einstellung und schwingt sich auf in die Totale. Man sieht Menschen, die Produkte verkaufen, an die sie selbst nicht glauben. Man sieht ihren betrübten Gesichter an, wenn das Gespräch erfolglos bleibt. Trotzdem reden sie weiter und weiter, blicken dabei mit leerem Blick ins Objektiv. In diesem Moment macht der Film seinem Titel alle Ehre.


"Unter Kontrolle"
USA 2008, Regie: Jennifer Lynch, Darsteller: Bill Pullmann, Julia Ormond, Pell James, Ryan Simpkins u.a., Länge: 101 Minuten

<im_45736>"Unter Kontrolle" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_45736>Die Liste der Kinder von Schauspielern und Regisseuren, die in die Fußstapfen ihrer prominenten Filmeltern treten wollen, ist lang. Nach ihrem missglückten Regiedebüt "Boxing Helena" unternimmt Jennifer Lynch mit "Unter Kontrolle" nun einen zweiten Anlauf.

Auch wenn er nur als ausführender Produzent fungierte, wirbt der Verleih groß mit dem Namen des Vaters David und schürt damit falsche Erwartungen. Zwar geizt auch Jennifer Lynchs Film nicht mit brutalen Einlagen, doch bleibt die exzessive Gewalt bei ihr nur ein billiger Schockmoment. Dabei klingt die Geschichte viel versprechend: "Unter Kontrolle" erzählt von einem gemeinen Verbrechen in der kanadischen Einöde, das aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt wird.

Die Konstruktion erinnert an Akira Kurosawas "Rashomon". Doch statt einen Thriller mit Tiefgang zu erzählen, der Motive hinterfragt, die unterschiedliche Reaktionen auf die Tat reflektiert oder die subjektive Erinnerung thematisiert, geht es Jennifer Lynch nur um äußere Handlung und darum, möglichst viele skurrile Charaktere auf die Leinwand zu pressen.

Also sehen wir Julia Ormond und Bill Pullmann als durchgeknalltes FBI-Ermittlerpaar, einen gelangweilten Provinzbullen, der auf Dosen schießt, die er mit den Namen großer Serienkiller wie Charles Manson ausstattet, und einen kleines Mädchen, das sich verfolgt fühlt und ständig schreit. Immer wieder gibt die brutale Mordszene aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.

Vielleicht hätte Jennifer Lynch doch mehr auf ihren Vater hören sollen, der ihr vorschlug, das Drehbuch noch einmal umzuarbeiten. So jedenfalls ist "Unter Kontrolle" nur eine Gewaltorgie ohne Sinn und Verstand, eine blutige Aneinanderreihung dumpfer Szenen.
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