Mein 9. November: Michael Heil

28.10.2009
Michael Heil ist heute 54 Jahre alt. Er hat in Greifswald an der Ostsee Medizin studiert und dort auch anschließend als Arzt gearbeitet. Mit seiner Frau und zwei Kindern hat er 1985 aus politischen Gründen einen Ausreiseantrag gestellt. Kurz vor den Kommunalwahlen im Mai 1989 durfte die Familie ausreisen – und erlebte die Wende vom Westen aus.
Für uns waren es zweierlei Dinge. Einerseits war es die wahnsinnige Freude, dass genau das passiert ist, was wir uns seit Jahrzehnten gewünscht hatten. Es war eine wahnsinnige Überraschung. Andererseits war es für uns auch eine ganz schwierige Situation, jetzt waren wir im Grunde genommen auf der falschen Seite gewesen, denn unsere Heimat war eigentlich die DDR gewesen. Dort waren unsere Freunde, dort waren wir großgeworden, dort hat unsere Sozialisation stattgefunden, und jetzt waren wir ein bisschen in der Fremde.

Die Bundesrepublik war ja doch ein fremdes Land für uns. Wir konnten damals nicht zurückgehen. Ich war jetzt Arzt im Westen oder Westarzt, wie es im Osten hieß. Als solcher fand ich keine Arbeit mehr im Osten, selbst wenn ich dort wieder gebraucht worden wäre, denn man wollte die Kollegen in den Ostgebieten vor den Kollegen, die aus dem Westen einfallen und sich dort die besten Rosinen aus dem Kuchen picken, schützen.

Uns ging es im Osten nicht schlecht, wir hatten ja keine wirtschaftlichen Gründe auszureisen, sondern es waren politische Gründe. Jetzt waren wir plötzlich wirtschaftlich in einer Situation, die wir schon seit über zehn Jahren gar nicht mehr gekannt hatten. Als komplette Familie mit Kindern in der Ausbildung bzw. kurz vor der Schulzeit, wir mussten erst mal sehen, dass wir mit beiden Beinen wieder auf den Boden kommen und uns eine wirtschaftliche Existenz schaffen. In dieser Situation weiter hin- und herzureisen und zu hoffen, dass man vielleicht doch einen Weg findet, irgendwie wieder zurückzugehen, das war mir zu unsicher.

Interessant ist, dass unsere beiden Kinder, die bei der Ausreise sieben und vier Jahre alt waren, beide wieder in Greifswald wohnen, das als ihre Heimat empfinden. Meine Frau arbeitet wieder in Schwerin, wir leben zusammen, aber an unterschiedlichen Orten, und dass auch ich sehr wahrscheinlich plane, wenn ich in etwa zehn Jahren meine Arbeit beende, dass ich wieder zurückgehe nach Greifswald, was ich nach wie vor als meine ureigene Heimat empfinde.