Mein 9. November: Jens Herrmann

27.10.2009
Jens Herrmann, Jahrgang 1969, stammt aus Kroppenstedt, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt. Nach dem Abitur machte er eine Lehre als Wirtschaftskaufmann in Magdeburg, verpflichtete sich danach für drei Jahre als Unteroffizier auf Zeit bei der NVA, um anschließend Betriebswirtschaftslehre studieren zu können. Er war Unteroffizier bei der Grenztruppe und bewachte als Schutzhundeführer die Grenze bei Hötensleben, ganz in der Nähe von Marienborn. Im April 1989 wurde er abkommandiert nach Potsdam-Babelsberg. Im Januar 1990 ist er dann vorzeitig aus der NVA entlassen worden. Heute arbeitet Jens Herrmann als Pharma-Referent.
Wir hatten auch in dieser Zeit erhöhte Gefechtsbereitschaft. Dann kam die Meldung, dass die Grenze auf war. Man konnte es eigentlich gar nicht fassen.

Wir haben uns dann überlegt, stimmt das, stimmt das nicht? Es war Unruhe. Man stand da und hat dann gesehen, wie so alle rübergefahren sind. Und unsereiner stand da und konnte nur hinterhergucken. Das war ja auch ein bisschen komisch.

Es gab auch eine Situation, da waren wir in der Nachtschicht. Da war die Mauer dann vorne schon offen. Da haben wir dann nachts mit der Westberliner Kripo Party am Zaun gemacht. Das war auch eine einmalige Sache. Wir haben uns abends gesehen. Wir sind dann hingegangen und da haben sie gesagt: "Ja, wir haben jetzt Dienst, wir müssen hier in dem Bereich fahren. Wir kommen dann und dann wieder. Wollen wir uns dann noch mal treffen?" - Nee, das war wirklich einmalig. Dann sind die wirklich die Nacht noch mal rübergekommen, so Morgens um 4.00, und haben von der Tanke noch Bier mitgebracht. Da haben wir da zusammen ein Bierchen getrunken - nachts im Grenzdienst. Das war einmalig. So was war unvorstellbar.

Das Jahr war ja dann zu Ende. Und es kursierte immer das Gerücht, dass dann die Grenztruppen aufgelöst werden bzw. reduziert werden, dass nur noch eine normale Streife da den ganzen Abschnitt fährt und mehr nicht mehr gemacht werden muss. Und wir haben dann halt gesagt, was wird mit uns? Und dann kam der Kompaniechef und hat gesagt: "Dann und dann können Sie gehen, also werden Sie dann vorzeitig entlassen, weil, wir brauchen Sie nicht mehr."

Man war ein bisschen bedrückt und man gehörte zu den ersten Arbeitslosen in Ostdeutschland und wusste erst mal nicht, wie geht’s weiter. Man hatte sich dann versucht, zu kümmern und was Neues zu finden, und auch die Anfänge des Arbeitsamtes miterlebt, wo es nun wirklich ruhig zuging, wo man die Damen noch per Handschlag begrüßt hat.

Das, was wir früher theoretisch gelernt haben, traf dann praktisch auch zu. Also, einerseits sagte man sich immer, Theorie und Praxis sind immer zwei verschiedene Sachen, aber in dem Fall stimmte das voll. Na ja, Kapitalismus ist Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das war das Schlagwort, was man damals hatte. Man sieht es ja heute teilweise noch, dass da der Mensch praktisch nichts wert ist.