"Mehr Raum für die Flüsse"

Winfried Lücking im Gespräch mit Nana Brink · 11.06.2013
Statt immer höhere Deiche zu bauen, müsste mehr dafür getan werden, "dass das Wasser mehr Platz hat", sagt Winfried Lücking vom BUND. Er kritisiert, dass die Länder sich nicht ausreichend koordiniert hätten, um das neue Hochwasserschutzgesetz von 2005 umzusetzen.
Nana Brink: Die Bundeskanzlerin hat sich gestern ein Bild von der Hochwasserlage gemacht, Sie haben es vielleicht im Fernsehen gesehen. Sie stapfte da zwar mit beigefarbenem Jackett, aber mit festem Schuhwerk in Wittenberge durch den Matsch und hat vor allen Dingen den jungen Helfern sehr gedankt. Im Süden Brandenburgs hat sich die Lage etwas entspannt, aber im benachbarten Sachsen-Anhalt haben etliche Deiche den Fluten nicht standgehalten, zum Beispiel in Stendal. Und in einigen Ortschaften von Magdeburg, diese Ortschaften gleichen immer noch Geisterstädten, weil die Bewohner schon seit Tagen evakuiert sind.

Sind das Bilder, an die wir uns gewöhnen müssen? Winfried Lücking ist Hochwasserschutzexperte beim Bund Umwelt und Naturschutz, kurz BUND genannt. Schönen guten Morgen, Herr Lücking!

Winfried Lücking: Schönen guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Innerhalb der letzten Jahre gab es ja mehrere Hochwasserkatastrophen, man muss da schon zu einem Superlativ greifen. Jetzt also wieder: Milliarden sind investiert worden – nichts gelernt?

Lücking: Könnte man schon so sagen, also es ist eigentlich von der Politik vorwiegend auf den technischen Hochwasserschutz gesetzt worden. Und die blumigen Versprechungen, die spätestens beim letzten Oderhochwasser 1997 gemacht worden sind, den Flüssen ihren Raum zu geben, sind kaum umgesetzt worden. Wäre das so der Fall gewesen, hätten wir sicherlich die eine oder andere Hochwasserspitze kappen können und viele Dinge hätten vermieden werden können.

Brink: Vielleicht müssen wir an dieser Stelle noch mal erklären, was ist der technische Hochwasserschutz im Gegensatz zum natürlichen?

Lücking: Der technische Hochwasserschutz ist letztendlich Deiche bauen, künstliche Rückhaltebecken bauen, Talsperren bauen, das fasst man so allgemein unter technischem Hochwasserschutz zusammen.

Brink: Aber es ist doch gerade 2005 ein neues Hochwasserschutzgesetz eigentlich in Kraft getreten, das sollte ja die Antwort auf die Katastrophe der Vorjahre sein, eben auch mit dem Hinweis auf diesen natürlichen Hochwasserschutz. Ist das nicht umgesetzt worden?

Lücking: Ja, was eigentlich sehr bemerkenswert ist, ist ja auch, dass gerade nach diesen letzten großen Hochwassern '97 als auch 2002 eigentlich sehr deutlich war, dass man darauf achten muss, dass nicht weiter in die Überflutungsflächen gebaut wird. Und das ist auch ein ganz wichtiger Passus in diesem Hochwasserschutzgesetz, aber leider ist das nicht umgesetzt worden, weil die Ausnahmegenehmigungen, die also ein Bauen zugelassen haben, wirklich zur Alltäglichkeit wurden, und weiterhin in diese Überschwemmungsflächen gebaut worden ist.

"Wir brauchen letztendlich mehr Raum für die Flüsse."

Brink: Aber ist das vielleicht nicht auch einen Interpretationssache, denn zum Beispiel das Landesamt für Umwelt in Bayern sagt: Nein, wir haben sehr viel getan, die Deiche wurden auf 420 Kilometern saniert, 760 Kilometer Gewässerstrecken renaturiert, und wir konnten zusätzlich 400.000 Menschen schützen. Das widerspricht sich ja ein bisschen mit Ihren Aussagen.

Lücking: Nein, das widerspricht sich nicht. Ich hatte ja anfänglich gesagt, es wurde überall in den Bundesländern vorwiegend auf technischen Hochwasserschutz gesetzt. Das heißt also, Deiche erneuern, Deiche erhöhen, und was wir brauchen, ist eigentlich, dass der Fluss wieder mehr Platz hat, dass das Wasser mehr Platz hat. Was wir ja erlebt haben in den letzten 10, 15 Jahren, ist eigentlich, dass die Niederschläge immer stärker werden, und wenn das Flusswasser keinen Platz hat, keinen Raum hat, wo es sich ausbreiten kann, dann geht es natürlich in die Höhe, und so hoch können Sie in Zukunft die Deiche gar nicht bauen, das ist einfach ein Kostenaufwand, der eigentlich nicht geleistet werden kann.

Also deswegen sagte ich ja vorhin, wir brauchen letztendlich mehr Raum für die Flüsse, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Also wir brauchen letztendlich das, was auch vorgesehen worden ist, auch mit dem Hochwasserschutzgesetz, dass der ökologische Hochwasserschutz umgesetzt wird, denn dazu gehört es auch, alles zu tun, dass möglichst das Wasser nicht so schnell in die Flüsse geleitet wird.

Das heißt also, dass Wasser in dem Land aufgefangen wird, dass wir Wiedervernässung von Mooren haben, dass wir auch selbst bei kleinsten Bächen Überflutungsflächen zur Verfügung stellen, damit das Wasser mehr in der Landschaft gehalten wird und erst später in die Flüsse abfließen kann, damit es nicht zu so starken Hochwasserpegeln kommt.

Brink: Es klingt sehr plausibel, dass Sie sagen, okay, wir müssen den Flüssen mehr Raum geben, aber geht es dann immer so einfach?

Lücking: Ja, das genau ist der Punkt. Ich denke, das ist ein wesentlicher Punkt, warum die Politik hier mehr auf diesen technischen Hochwasserschutz gesetzt hat, weil es natürlich leichter umzusetzen ist. Bei dem Punkt, dass die Flüsse mehr Raum haben, müssen Sie natürlich in Nutzung eingreifen, in bestehende Nutzung, und da gibt es natürlich sehr private Interessen auch, und die müssen Sie natürlich zusammenbekommen mit dem Hochwasserschutz. Und das ist eine nicht so leichte Aufgabe für die Politik, und deswegen wurde sich da immer so ein bisschen drum rumgedrückt.

Brink: Wir haben das ja in einigen Ortschaften gesehen, also gerade in Sachsen zum Beispiel, wo sich ja auch die Bürger, wo es Bürgerbegehren gab gegen einen Deichbau und gegen auch Überflutung von zum Beispiel privaten Gelände. Das heißt, wer muss diesen Prozess eigentlich dann organisieren?

Lücking: Ja, eigentlich das Land, und es gibt da also genügend Beispiele, wo letztendlich das gescheitert ist, weil das einfach nicht professionell genug gemacht worden ist. Es gibt aber auch Beispiele, wo das gut gelaufen ist, es gibt ja an der Elbe zwei große Rückdeichungsprojekte, eins vom BUND in Lenzen geleitet, wo wir das also vorgeführt haben, dass es ohne Weiteres möglich ist, die Interessen der Anwohner als auch des Hochwasserschutzes zusammenzuführen.

Brink: Nun ist es ja eine Sache, wenn man das Problem meinetwegen in Sachsen-Anhalt löst, aber in Brandenburg nicht, denn dann rollt ja die Flut weiter, und den letzten beißen die Hunde.

Lücking: Ja, ja, also in Brandenburg haben wir ja diese delikate Situation, dass die Brandenburger Deiche höher sind als die sachsen-anhaltinischen, das heißt also letztendlich, dass das Wasser alles nach Sachsen-Anhalt abfließt, aber das zeigt eigentlich auch wieder, dass hier offensichtlich keine klare Absprache zwischen den Bundesländern stattfindet, und das ist auch ein entscheidender Mangel. Also das Hochwassermanagement könnte wesentlich verbessert werden.

"Das müssten die Ministerpräsidenten steuern."

Brink: Wie kann man das denn machen? Also Sie sprechen ja das Problem des Föderalismus an, wenn ich Sie richtig verstanden habe.

Lücking: Ja.

Brink: Das heißt, die Länder müssen sich wo einigen, um eigentlich einen Fluss, der ja nun mal durch mehrere Länder durchläuft, sozusagen hochwassertechnisch zu organisieren?

Lücking: Na ja, es ist einfach so, dass der Hochwasserschutz Länderaufgabe ist. Jedes Land hat für sich die Aufgabe, das zu regeln, und es ist natürlich so, dass jeder versucht, möglichst schnell – das war die Politik der Vergangenheit – das Wasser aus dem Land herauszuleiten, und den Letzten beißen die Hunde sozusagen, das sind die Unteranlieger, das sind also die, die unten in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg liegen, und das geht natürlich nicht. Man muss mit den Maßnahmen, also auch mit den Maßnahmen, dass mehr Platz für das Wasser geschaffen wird, eigentlich schon mit den Oberliegern anfangen. Und da ist eigentlich zu wenig, passiert einfach zu wenig Abstimmung.

Brink: Ich suche jetzt noch ein bisschen nach den Verantwortlichen: Wer muss das denn steuern, wenn Sie sagen, es ist auf der einen Seite Ländersache, aber auf der anderen Seite stehen wir ja genau da, wo wir vor zehn Jahren schon mal standen.

Lücking: Das müssten die Ministerpräsidenten steuern. Und es ist einfach viel zu einfach zu sagen, was Herr Tillich jetzt letztendlich überall propagiert, dass die Bürger Schuld haben, also das ist ja eine Bankrotterklärung für seine Politik.

Brink: Und geht das nicht dann auch zurück in den Bund?

Lücking: Der Bund hat da keine Hoheit, das ist Ländersache. Natürlich hat der Bund die Möglichkeit, das zu koordinieren, und da muss man sich wirklich fragen, ob das im Anbetracht der Situation, die wir jetzt haben, dass die Länder das nicht auf die Reihe kriegen, vielleicht dort gewisse Koordinationsmaßnahmen an sich zieht, damit das besser organisiert wird. Das ist sicherlich eine Frage, die sich jetzt stellen wird.

Brink: Winfried Lücking, Hochwasserschutzexperte beim BUND. Schönen Dank, Herr Lücking, für das Gespräch!

Lücking: Ja, danke auch!

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