Mehr Experimente, weniger Theorie

Hans-Peter Vogeler im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 10.06.2013
Um Kinder für naturwissenschaftliche Fächer zu begeistern, müsse man ihren natürlichen Entdeckergeist nutzen und sie mit Versuchen an ein Thema heranführen, sagt der Vorsitzende des Bundeselternrats, Hans-Peter Vogeler. Momentan sei der Unterricht vielfach zu theorielastig.
Jan-Christoph Kitzler: "MINT" – das ist für die einen das englische Wort für Minze, für andere wiederum eine Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Das sind in einem Industrieland wie Deutschland Schlüsselfächer, Dichter und Denker hin oder her. Wir brauchen in Zukunft Ingenieure, Mathematiker, Informatiker, Chemiker, und es droht auch schon der sprichwörtliche Fachkräftemangel.

Damit in Deutschland die Engpässe kleiner werden, soll schon bei den Schülern das Interesse für die MINT-Fächer geweckt werden. Heute gibt es in Berlin sogar einen MINT-Gipfel, auf dem sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka für das Thema stark machen will.

Was muss also passieren, und wo hapert es? Das will ich jetzt mit Hans-Peter Vogeler besprechen. Er ist selbst Chemiker und außerdem Vorsitzender des Bundeselternrates und heute auch auf dem MINT-Gipfel in Berlin. Schönen guten Morgen!

Hans-Peter Vogeler: Ich grüße Sie, Herr Kitzler!

Kitzler: Herr Vogeler, nicht jedes Kind hat einen Chemiker zum Vater. Wie macht man das denn am besten, Kinder in der Schule für ein Fach wie Chemie zu begeistern?

Vogeler: Kinder sind ja von Natur aus Entdecker und neugierig. Und dieses zu erhalten, ist ganz wesentlich für Kinder. Unser ganzes Leben, wenn wir morgens aufstehen, Zähne putzen, oder abends das Brot essen – alles davon hat mit Chemie und mit Biologie zu tun. Und das zu verstehen, dort selber Experimente zu machen und zu entdecken, wie funktioniert es, ist ein unglaublich spannender Prozess. Und die Neugierde bringen die Kinder mit, die müssen wir erhalten.

Kitzler: Aber trotzdem scheint das ja immer wieder nicht so richtig zu klappen. Woran liegt das denn? An den Lehrern, die nicht richtig ausgebildet sind, oder an den zu großen Klassen, an der Ausstattung der Schulen?

Vogeler: Meine Wahrnehmung ist, dass ein Teil – und das muss man ja immer sagen, man kann nicht pauschal sagen, es ist überall immer so –, sondern dass ein Teil des Unterrichtes auch relativ theoretisch, theorielastig ist. Und diese Fächer der Naturwissenschaften leben davon, von Versuchen, von Experimenten, vom Entdecken. Das hat in den Jahren, aufgrund von, ich sag mal, Sicherheitsvorschriften oder Bedenken, dass etwas schief gehen kann, dass Kinder sich verletzen, sind da sicherlich weniger Experimente gemacht worden.

Und auch das Theoriegebäude – Sie sprachen ja an, wie begeistert man Kinder auch für Chemie. Wenn Sie am Anfang in der Chemiestunde mit dem Bohr'schen Atommodell anfangen und die Herleitung machen, dann werden Sie sicherlich die Kinder nicht erreichen. Wenn Sie aber Versuche machen, Phänomene zeigen und die Neugierde wecken, wie funktioniert dieses Phänomen, dann kriegen Sie die Kinder viel eher.

Kitzler: Kinder sind kleine Entdecker, das haben Sie gesagt. Heißt das, man muss eigentlich schon ganz früh damit anfangen, sie da auf die Spur zu setzen?

Vogeler: Auf jeden Fall. Das geht in der Grundschule los. Das sind ja kleine Forscher. Und wenn man dort – dort gibt es natürlich ein Fach wie Chemie oder so nicht –, aber auch dort wird doch häufig in Grundschulen an Phänomenen gearbeitet. Ganz simpel: Sie haben Wasser und da schweben Teile drauf, und die sinken. Die Kinder werden fragen: Warum ist das so? Und dann kann man das anhand von Versuchen überprüfen, die werden Ideen entwickeln, wir sagen dazu als Erwachsene dann Hypothesen, und dann wird man einen Versuchsaufbau bauen, der diese Hypothese überprüfen kann, und dann hat man sie entweder verifiziert oder falsifiziert. Und das macht das Ganze ja so anschaulich.

Und ich glaube nicht, dass es in einem Fach dieses gibt, so Hypothesen zu bilden, selber Versuche zu gestalten, sie damit zu überprüfen und damit auch die Kinder zu vernetztem Denken anzuregen, Dinge zu kombinieren, in Verbindung zu bringen.

Kitzler: Das heißt also, wir brauchen MINT-Fächer schon an den Grundschulen. Heißt das, die Lehrpläne an den Schulen müssen umgestrickt werden und auch die Grundschullehrer müssen anders ausgebildet werden?

Vogeler: Nein, die Sichtweise darauf, dass das einen Stellenwert hat. Weil ich glaube, sehr viele Grundschulen machen das, aber dass diese Sichtweise von den Lehrkräften noch mal geschärft wird, welche Bedeutung das hat. Und man kann da auch Kooperationen mit weiterführenden Schulen oder höheren Klassen machen und dort gemeinsame Forschungsprojekte auf die Beine stellen.

Sie sprachen ja an, woran hapert es noch? Wir erleben es, und das ist die Rückmeldung, die wir auch von unseren Mitgliedern bekommen haben, dass die Situation von Schule zu Schule sehr unterschiedlich ist, und zwar hängt daran, hat sich die Schule auf den Weg gemacht, ein eigenes Curriculum dafür zu schreiben, also sich darauf festzulegen, wie wollen wir mit dieser Kombination aus naturwissenschaftlichen Fächern, wie wollen wir damit umgehen.

Es ist doch manchmal absurd, dass der eine Lehrer Bio unterrichtet, der andere unterrichtet Chemie, und die beiden stimmen sich nicht ab. Wenn man zum Beispiel Hören, wenn man in der Biologie das Ohr durchnimmt, dann kann man doch wunderbar auch in der Physik in dem Augenblick Schall, Schallwellen und das kombinieren.

Kitzler: Viele Schüler beklagen sich ja, in sie werde Wissen hineingefüllt wie in einen Trichter, und in Zeiten von verkürzten Gymnasien sind viele Lehrpläne einfach zu voll. Und jetzt soll auch noch der Unterricht in den MINT-Fächern gestärkt werden. Wo soll denn stattdessen gespart werden am Lehrstoff?

Vogeler: Also ich glaube, man muss nicht am Lehrstoff sparen. Es geht auch nicht darum, das wie einen Trichter einzufüllen, sondern es geht darum, die richtige Dosierung zu finden. Das gilt übrigens für alle Fächer. Und dort entsprechend auch Unterrichtskonzepte zu machen, die das ermöglichen, dass die Kinder Erkenntniszugewinne generieren. Also nicht da vorne sagen, das funktioniert so und das müsst ihr jetzt auswendig lernen – ich sag es mal ganz schematisch –, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, sich einer Sache anzunähern, sie zu verstehen. Und dann werden die Kinder sie viel, viel besser behalten.

Und dann sind wir auch nicht bei dem Thema, wir müssen jetzt alle einzelnen Punkte durchgearbeitet haben, sondern wir haben in einem Gesamtkontext etwas bearbeitet.

Kitzler: Gipfel gibt es ja zu allen möglichen Themen und mehr als genug – was für Erwartungen haben Sie denn jetzt an diese MINT-Initiative, an den MINT-Gipfel, an dem Sie heute teilnehmen?

Vogeler: Dass dieses Thema auf die Agenda, wie man heutzutage sagt, kommt. Im Zuge von PISA haben wir sehr stark den Fokus gerichtet auf die sogenannten Kernfächer, und die anderen Fächer sind etwas in der Betrachtungsweise in den Hintergrund geraten, und in den letzten Jahren ist das wieder fokussiert passiert. Es sind die entsprechenden Fächer ja auch in die Lernstandsuntersuchungen aufgenommen worden. Und dieses noch mal ganz klar zu benennen auch und dafür eine Öffentlichkeit herzustellen und eine Wirksamkeit dadurch zu bewirken, das, denke ich, ist ein wichtiger Punkt für den MINT-Gipfel.

Kitzler: Hans-Peter Vogeler, Chemiker und Vorsitzender des Bundeselternrates. Vielen Dank für das Gespräch und einen erfolgreichen Gipfel!

Vogeler: Herzlichen Dank!

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