"Mehr als pikant"

Marieluise Beck im Gespräch mit Hanns Ostermann · 25.08.2012
Die Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Expertin, Marieluise Beck (Bündnis90/Die Grünen), hat dem Bundesinnenministerium wegen der Ausbildung weißrussischer Polizisten politische Ignoranz vorgeworfen. Die Zusammenarbeit hätte nach 2010 nicht fortgesetzt werden dürfen.
Hanns Ostermann: Marieluise Beck ist Mitglied des Bundestages und bei den Bündnisgrünen für die Osteuropapolitik verantwortlich. Guten Morgen, Frau Beck!

Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Rechtfertigt die vage Aussicht auf demokratische Reformen, ein Regime in dieser Form zu unterstützen?

Beck: Zunächst einmal ist eine Gemeinsamkeit, ein Zusammenarbeiten zur Ausbildung und Zivilisierung von Polizei nichts Ungewöhnliches, selbst mit autoritären Staaten. Der Europarat zum Beispiel hat sogar tschetschenische Polizisten in Seminare genommen für Antigewalttraining unter Hinzuziehung von Amnesty International, also es gibt durchaus Konstellationen, wenn sie politisch bewusst und klug hergestellt werden, die in Ordnung sind. Und ich würde, kann bestätigen, dass im Jahr, in dem Zeitraum von 2008 bis 2010 in Weißrussland sich die politische Lage unter Einsatz der OSZE so entwickelte, dass es Demokratisierungsschritte gab, dafür wurde Weißrussland in die Östliche Partnerschaft aufgenommen, und insofern finde ich den Ansatz, damit auch Polizei zu zivilisieren und das Auftreten des noch wie in der alten Sowjetunion mit viel Gewalt von Polizei zu verändern, nicht von vornherein kritikwürdig.

Ostermann: Gut. Aber dann wurde Präsident Lukaschenko wiedergewählt. Er knüppelte Demonstranten nieder. Warum zog das Bundesinnenministerium nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt die Notbremse?

Beck: Genau! Da beginnt der Zeitpunkt, wo man darüber nachdenken muss, wie ignorant, wie politisch ignorant das Innenministerium ist, dass es einfach weitermacht. Wo nun wirklich jeder Zeitungsleser mitbekommen konnte, dass am 10. Dezember 2010 Lukaschenko sich um 180 Grad herumgedreht hat. Er hat alle Demonstranten niedergeknüppelt, er hat die gesamte politische Opposition inhaftiert, er hat Schauprozesse geführt. Das hat sich dann noch dramatischer zugespitzt mit zwei unglaublichen Verfolgungen von zwei jungen Männern, denen ein Sprengstoffattentat zur Last gelegt worden ist in einem skandalösen Verfahren, wo dann innerhalb von kürzester Zeit Hinrichtungen vorgenommen worden sind. Gegen alles das hat es internationalen Protest gegeben, natürlich auch in Deutschland große Debatten, Bundestagsdebatten. Und scheinbar hat das Innenministerium seine Ohren ganz fest zugesperrt und getan, als ob es nicht Teil dieser internationalen Politik wäre.

Ostermann: Wir haben es eben gehört, dass weißrussische Sicherheitskräfte auch bei einem Castor-Transport in Deutschland dabei waren. Das ist ja insofern pikant, wenn man jetzt hört, dass auch in Weißrussland die Atomkraft neu entstehen soll.

Beck: Ja. Also noch einmal: Antigewalttraining von Polizei ist in unserem Sinne, durchaus in Ordnung. Die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen. Und dieser Castor-Einsatz, der ist in der Tat mehr als pikant, denn in Weißrussland wird gegen Widerstand in der Bevölkerung bereits an einem neuen Atomkraftwerk geplant. Russland wird das finanzieren. Ich erinnere, Weißrussland ist das Land, das eigentlich unter Tschernobyl gelitten hat, 70 Prozent des Fallouts sind in Weißrussland niedergegangen. Dieses Volk, das massiv gelitten hat und immer noch leidet unter dem Unfall in Tschernobyl, bekommt jetzt unter diktatorischen Verhältnissen – also keine Chance zur Debatte –, ein neues Atomkraftwerk ins Land gesetzt mit einem politischen Regime, wo wir sagen, der letzte Diktator Europas. Also Widerstand auch aus Ökologiegruppen kaum möglich, Diskussionen nicht erlaubt. Lukaschenko verstößt gegen internationale Konventionen. Solche Atomkraftwerke müssen mit den Nachbarstaaten abgestimmt werden, gerade wenn sie nur 70 Kilometer von der Grenze entfernt errichtet werden sollen. Das alles ist etwas, wo man sagen muss, dann lieber Herr Lukaschenko, schicken wir deine Soldaten nicht in den Castor-Einsatz in Deutschland und zeigen, wie man solche Oppositionsbewegungen niederschlägt.

Ostermann: Frau Beck, ist die Empörung der Opposition eigentlich glaubwürdig, wenn auch sie, in jedem Fall die SPD, fragwürdige Entscheidungen getroffen hat? Gemeint ist ein syrischer Spion, der nur deshalb bei uns nicht angeklagt wurde, weil sich Deutschland damals von Damaskus Hilfe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus versprochen hatte. Frank-Walter Steinmeier war damals Kanzleramtsminister. Ist das nicht auch ein Beispiel für eine doppelte Moral?

Beck: Ich bin nicht so rechthaberisch, dass ich behaupten würde, dass nicht auch unter Rot/Grün Fehler gemacht worden sind. Gerade in diesen heiklen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsdiensten gibt es das immer wieder. Das ist nur – dem ist nur beizukommen, wenn wir ein Höchstmaß an parlamentarischer Kontrolle und Transparenz haben. Und das ist die Sicherung gegen eine Exekutive, gegen geheimdienstliche Tätigkeiten, die schlichtweg sich der Transparenz entziehen und dabei entweder, ich würde mal sagen, gutwillig Fehler machen oder böswillig zynisch sind.

Ostermann: Welches parlamentarische Nachspiel wird der Fall Weißrussland bei uns haben?

Beck: Es ist ja gefordert worden, dass der Innenausschuss noch einmal informiert wird. Ich habe versucht, durch Fragen schon im Juni diesem Komplex nachzugehen, und bin abgefertigt worden mit lapidaren Antworten. Was noch mal gezeigt hat, wie wenig ernst das Innenressort doch kritische Nachfragen behandelt aus dem Parlament, nach dem Motto, das haben wir gar nicht nötig. Aber, wie gesagt, das Entscheidende ist eigentlich die politische Ignoranz. Und es ist nicht der einzige Fall, wo, als schon klar war, dass in Belarus Lukaschenko wieder in die Diktatur zurückgeht, große Fehler gemacht worden sind und andere Politikbereiche nicht verstanden haben, dass die Außenpolitik nunmehr gesagt hatte, die Hoffnungen auf die Demokratisierung sind vorbei. Wir haben das mit der Weitergabe von Steuergeldern durch Litauen und Polen, die zur Verhaftung eines Menschenrechtsaktivisten geführt haben. Also, wir haben manchmal auch die Erscheinung, dass in anderen Ressorts nicht durchsickert, es gibt neue politische Zeiten.

Ostermann: Marieluise Beck ist Mitglied des Bundestages und bei den Bündnisgrünen für die Osteuropapolitik verantwortlich. Frau Beck, danke für das Gespräch und Ihnen ein schönes Wochenende!

Beck: Bitte schön!

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