Mehr als nur die Gattin des Präsidenten

16.08.2012
Schon lange bevor Elly Knapp den späteren ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss kennen lernte, war sie eine engagierte Sozialpolitikerin. Alexander Gollers Biografie ist zwar nicht allumfassend, zeigt aber, dass Heuss-Knapp mehr war als die Gründerin des Müttergenesungswerkes.
Elly Heuss-Knapp (1881-1952), ist den meisten nur noch als Ehefrau des ersten deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, im Gedächtnis - und als Gründerin des Müttergenesungswerks, das 1949 seine Arbeit aufnahm und dem seither traditionell die Ehefrauen des jeweils amtierenden Bundespräsidenten vorstehen.

In seiner politischen Biographie zeichnet der Historiker Alexander Goller jedoch - auch im Widerspruch zum plakativen Buchtitel - das Bild einer engagierten Sozialpolitikerin liberaler Prägung.

In dem Buch, das 2009 als Dissertation an der Universität Tübingen angenommen wurde, geht es dem Autor vor allem darum, dass bekannte Engagement von Elly Heuss-Knapp auf die verschiedenen politischen und religiösen Einflüsse ihres Elternhauses und ihrer Jugend in Straßburg zurückzuführen. So entsteht ein vielschichtiges Bild der politischen Landschaft zwischen Berlin und Straßburg vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart - und nebenbei eine Geschichte des sozialen Liberalismus.

Elly Heuss-Knapps Vater war der Volkswirtschaftler Georg Friedrich Knapp. Als die elsässische Stadt Straßburg 1871 dem deutschen Reich angeschlossen wurde, nutzte Knapp die Gunst der Stunde, um an der jungen und reformorientierten Universität einen Lehrstuhl zu übernehmen; hier wurde er schließlich Rektor. Die Freundschaft Knapps zu zahlreichen liberalen Wissenschaftlern der Epoche, namentlich zu Friedrich Naumann und Gustav Schmoller, hatte erheblichen Einfluss auf die junge Elly Knapp.

Die "Kathedersozialisten" waren für eine aktive Sozialpolitik und staatliche Interventionen - ganz im Gegensatz zu den Wirtschaftstheoretikern der nachfolgenden Generation wie Max Weber und Werner Sombarth. Für Elly Knapp wurden jedoch der Einfluss religiöser Denker mindestens ebenso wichtig: Zunächst waren es die Schriften Albert Schweitzers, später auch jene des Friedrich Bodelschwingh, die in ihr die tiefe Überzeugung heranreifen ließen, dass "die politische Frau ... unweigerlich durch die Schule der Sozialpolitik" zu gehen habe.

Elly Knapp-Heuss setzte das in die Tat um, lange, bevor Theodor Heuss 1949 zum ersten Bundespräsidenten gewählt wurde: Als Lehrerin unterrichtete sie Sozialpolitik, lehrte Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre und wies in zahllosen Vorträgen und Aufsätzen auf die Notwendigkeit der Bildung für Frauen hin. Schon 1906 forderte sie einen "Minimalstlohn", der den Familien die Existenz sichern sollte.

Alexander Goller zeichnet die politische Entwicklungsgeschichte von Elly Heuss-Knapp anschaulich nach. Allerdings, die Biografie hat auch bedauerliche Lücken. So erfährt man - trotz umfangreichen Quellenmaterials - sehr wenig über die Beziehung des Ehepaars Heuss, die Zeit des Nationalsozialismus wird auf zwei Seiten abgehandelt, die Berufstätigkeit von Elly Heuss-Knapp als Werbetexterin nur erwähnt.

Das Buch weckt also ein Interesse an einer Frau, die zu Unrecht lediglich als "Mutter der Nation" oder als bescheidene Schirmherrin des Müttergenesungswerks gesehen wird. Eine umfassende, packende Lebensbeschreibung steht aber noch aus.

Besprochen von Gabriela Jaskulla

Alexander Goller: Elly Heuss-Knapp. Gründerin des Müttergenesungswerkes. Eine Biografie
Böhlau, Köln Weimar Wien 2012
224 Seiten, 29,90 Euro
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