Mehr als ein Bote des Massenkonsums

05.12.2012
Worin liegt das globale Erfolgsgeheimnis des Weihnachtsmannes? Der Ethnologe Thomas Hauschild begibt sich auf die Spuren dieses Superheiligen. Das Ergebnis ist eine abenteuerliche Suche nach der universellen Figur des Gabenbringers.
Am Weihnachtsmann scheiden sich die Geister. Kinder bekommen strahlende Gesichter, kaum dass er mit seiner roten Zipfelmütze, den Stiefeln und dem Sack um die Ecke biegt. Erwachsenen fährt eher der Schreck in die Glieder, wenn sie den weißbärtigen, pausbäckig lächelnden Alten - manchmal gar vor den Herbstferien - im Süßigkeiten-Regal des Supermarkts erblicken. Jetzt schon? Der Sommer ist doch gerade erst vorüber. Zwei Monate später scheinen dann auch sie mit dem Gabenbringer versöhnt und über jeden Zweifel erhaben zu sein. Ganz selbstverständlich erinnern Eltern ihre Kinder daran, doch bitte einen Wunschzettel zu schreiben. Zu Nikolaus lassen sie deren Socken mit Nüssen, Schokolade und kleinen Überraschungen füllen, und wenn an Heiligabend lauter Päckchen unterm Baum liegen, dann sind die - klar - vom Weihnachtsmann.

Warum lassen wir zu, dass sich diese vermeintliche Autorität jedes Jahr in unser Familienleben einmischt? Worin liegt das globale Erfolgsgeheimnis dieses Superheiligen, der Winter für Winter auf seinem Rentierschlitten durch die Lüfte jagt und Geschenke bringt? In seinem neuen Buch "Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte" hat sich der Ethnologe Thomas Hauschild das ach so vertraute Weihnachtsfest einmal aus so großer Distanz angesehen, dass es ihm erschienen ist wie ein exotischer Brauch. Schon der Titel des Buches lässt ahnen, dass der Autor es nicht bei den üblichen Erklärungsmustern bewenden lassen will. Es sind, so schreibt er, sicherlich nicht die christlichen Kirchen, irgendwelche Werbeagenturen oder andere Unternehmen, von denen wir uns Bilder und Legenden aufdrängen lassen, mit denen wir dann, mangels besserer Ideen, immer weiter leben müssen. Weihnachten ist die Antwort auf ein tiefes menschliches Bedürfnis, sonst hätte es sich als kulturelle Erfindung kaum durchgesetzt.

Die abenteuerliche Suche nach der universellen Figur des Gabenbringers führt Thomas Hauschild vom Weihnachtsmann zu seinem amerikanischen Pendant Santa Claus, der - so lernen wir - zwar viel mit Coca-Cola zu tun, seine Wurzeln aber in den Niederlanden hat. Wir treffen St. Nikolaus, den kleinen fliegenden Bischof, Herrn der freien Wege und frei zirkulierenden Waren, der kämpfen kann wie ein Samurai und großzügig ist wie Hans im Glück. Von Europa geht die Reise weiter nach China, zu Shou Xing, dem Gott des langen Lebens, der ein dickes Kleinkind und zugleich ein alter Mann ist. Ob in Asien, auf dem Weihnachtspostamt in Himmelpfort (Brandenburg) oder auf der Nordseeinsel Borkum, wo junge Männer die Nacht vor Nikolaus nutzen, um sich in wilder Maskerade auf unverheiratete Frauen zu stürzen: Die wahre Geschichte des Weihnachtsmannes besteht aus den weltweit verbreiten Ritualen der Gegenseitigkeit, der Einweihung und der Gabe.

Thomas Hauschild, der unter anderem durch seine große Studie "Magie und Macht in Italien" bekannt geworden ist, hat sich selbst des Öfteren als Weihnachtsmann verkleidet und dabei in erwartungsvolle Kinderaugen geblickt. Auch davon erzählt er in diesem fabelhaften, materialreichen und streckenweise sehr persönlichen Buch. Wer es gelesen hat, wird im Weihnachtsmann fortan mehr sehen als eine lästige Begleiterscheinung der Adventszeit und einen Boten des Massenkonsums. Durch Santas Zipfelmütze hindurch wird er den hohen Kopf des Weißen Alten aus dem mongolischen Tsam-Ritual erblicken, und siehe da: schon hat sich die weihnachtlichen Enge in einem großen Zusammenhang aufgelöst.

Besprochen von Stefanie Peter

Thomas Hauschild: Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte
S. Fischer Verlag 2012
384 Seiten 19,99 Euro

Adventskalender: Täglich eine Geschenkidee - Bücher für den Gabentisch
Mehr zum Thema