Mediziner über Corona-Spätfolgen

Wie nach einer Blutvergiftung

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Untersuchung eines geflüchteten Mannes, der möglicherweise an Covid-19 erkrankt ist, durch einen Arzt von "Médecins du Monde" in der französischen Stadt Toulouse
"Die Folgeerscheinungen einer Covid-19-Erkrankung können sich in vielen unterschiedlichen Organen ausdrücken", sagt der Mediziner Andreas Stallmach. © Picture Alliance / NurPhoto / Alain Pitton
Andreas Stallmach im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 08.09.2020
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Die Uniklinik Jena hat eine Ambulanz für Corona-Spätfolgen eingerichtet. Denn bis zu 20 Prozent der Patienten leiden an Symptomen, die aufLangzeitschäden hindeuten könnten, sagt Andreas Stallmach, Direktor der Inneren Medizin in Jena.
Stephan Karkowsky: Wer glaubt, Covid-19 sei eine einfache Grippe, der lässt sich auch von den Millionen nachweislich Infizierter weltweit* nicht eines Besseren belehren. Eine Grippe aber hat man für gewöhnlich schnell wieder hinter sich, die Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung nicht unbedingt. In Jena wurde gerade eine Ambulanz eingerichtet für alle, die nach überstandener Krankheit noch Beschwerden haben. Warum? Das frage ich Professor Andreas Stallmach, den Direktor der Klinik für Innere Medizin an der Uniklinik Jena. Braucht es eine eigene Ambulanz – sind das nicht nur ganz wenige Ausnahmen, die nach der Krankheit noch Probleme haben?
Stallmach: Leider nicht. Wir haben in Deutschland, Stand 7. September, 253.000 Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben, und das Robert Koch-Institut weist aus, dass 223.000 Menschen genesen sind. Aber dieser Begriff "genesen" ist ein Irrtum, weil doch viele Patienten nach Überwinden der Erkrankung – zum Beispiel, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen werden – noch unter Symptomen leiden, unter deutlichen Einschränkungen in ihrem tagtäglichen Leben.

Depressionen und Leberzirrhose als Spätfolgen

Karkowsky:Was sind das denn für Symptome?
Stallmach: Wir haben am Anfang gedacht, dass die Covid-19-Erkrankung eine Lungenentzündung ist und haben aber relativ schnell lernen müssen, dass es keine Lungenentzündung ist, sondern dass das mehr einer Blutvergiftung, einer Sepsis – einer Sepsis, die durch ein Virus verursacht ist – ähnelt. Bei einer Blutvergiftung, bei einer Sepsis werden alle Organe oder können alle Organe im Organismus geschädigt sein. Das fängt beim Gehirn an, das geht dann zum Beispiel über unsere Fähigkeit zu riechen, zu schmecken.
Das betrifft natürlich die Lunge, das betrifft aber auch die Leber, den Magen-Darm-Trakt, und vor allen Dingen betrifft es eben auch Gefäße. Wir gehen also davon aus, dass die Covid-19-Erkrankung den ganzen Menschen betrifft. Und dementsprechend können die Folgeerscheinungen auch sich in ganz vielen unterschiedlichen Organen ausdrücken, also zum Beispiel Luftnot beim Treppensteigen, aber auch Konzentrationsstörungen oder Depressionen oder einen lang anhaltenden Geruchsverlust.
Wir beobachten bei Patienten Leberschäden und befürchten, dass diese Leberschäden anhalten und sich vielleicht sogar so etwas wie eine Leberzirrhose entwickeln könnte.

Langzeitfolgen bei vielen Patienten

Karkowsky:Betrifft das denn nur Menschen, bei denen der Krankheitsverlauf ein besonders schwerer war?
Stallmach: Wir haben natürlich uns zunächst auf Patienten konzentriert, die bei uns im Krankenhaus betreut wurden. Haben jetzt in der Ambulanz aber auch Kontakt zu Menschen, die leichtere Infektionen hatten, diese Infektionen zum Beispiel zu Hause auch überwunden haben und die jetzt wegen Beschwerden kommen und darüber berichten, dass sie einfach nicht richtig auf die Beine kommen.
Karkowsky:Und ohne zuverlässige Statistiken zu haben: Trauen Sie sich eine Einschätzung zu, wie viel Prozent der Infizierten mit solchen Langzeitfolgen zu kämpfen haben?
Stallmach: Ich denke, dass der Anteil der Patienten, die eine mittelschwere bis schwere Erkrankung haben, mit Langzeitfolgen sicher in einer Größenordnung von zehn bis 20 Prozent liegt. Das hängt natürlich auch immer davon ab, wie genau Sie hinschauen. Je sorgfältiger Sie sich mit dem Patienten beschäftigen, desto mehr Defizite, desto mehr Schäden identifizieren Sie.

Interdisziplinäre Ambulanz

Karkowsky:Was machen Sie denn dann in der Ambulanz mit Patienten, die ja höchst unterschiedliche Symptome haben durch die Erkrankung?
Stallmach: Der Vorteil der Ambulanz – deshalb ist es eben auch bei uns gebündelt – ist, dass wir Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenführen, das heißt Neurologen, Psychiater, Internisten, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Augenärzte arbeiten zusammen.
Vom Ablauf sieht es so aus, dass der Patient einen Erstkontakt hat, dass im Rahmen dieses Erstkontaktes eine sehr sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte durchgeführt wird, dass eine sorgfältige körperliche Untersuchung durchgeführt wird, bestimmte Funktionstest eingeleitet werden – also zum Beispiel, wie gut kann sich jemand konzentrieren, aber auch, wie gut arbeitet die Lunge – und dann in Abhängigkeit vom Problem der Patient zum Spezialisten weitergeleitet wird.
*Wir haben an dieser Stelle die Zahl der weltweit infizierten Menschen korrigiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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