Maxim Biller: "Hundert Zeilen Hass"

Erster Auftritt eines begnadeten Polemikers

Der Autor Maxim Biller
Jetzt als Buch: Billers Tempo-Kolumnen "Hundert Zeilen Hass" © Bild: imago / gezett Cover: Hoffmann & Campe
Von Florian Felix Weyh · 17.06.2017
Als "Bad Boy" vom Dienst ist der Schriftsteller Maxim Biller aus dem Literaturbetrieb nicht wegzudenken. Seinen ersten Auftritt absolvierte er als ätzender Kolumnist des Magazins Tempo. Jetzt sind diese Kolumnen als Buch erschienen - und sind heute sogar noch lesenswerter.
"Die Übermacht der Optik besiegt den Inhalt", sagt ein kämpferischer 28-Jähriger, "denn sie befreit vom Zwang, schlüssig zu sein." Recht hat er: Im Stream von Selfies, Katzenbildern und Laienvideos gehen Argumente unter. Debatten lassen sich aber nur mit Worten führen.
Doch um den allgegenwärtigen Grundstoff unserer Online-Medien geht es nicht. Der Satz stand 1988 in Tempo, jener Zeitgeist-Illustrierten, die mit viel Bild und oft obskurem Text den kaufkräftigen Hedonismus der Generation Kohl abfischte, und der eigentliche visuelle Overkill lag in der Werbebildästhetik der Inserate. "Der neue Intellektuelle, der Volksintellektuelle?", fragt der zornige junge Mann und antwortet gleich selbst: "Der Optiker. Das soll gut sein? Es ist ekelhaft."

Biller ätzt mit anschwellendem Furor und strenger Sittlichkeit

Damit war in Ausgabe 6 einer Kolumne, die sich etwas degoutant "100 Zeilen Hass" nannte, ein zorniger, neuer Ton in der Welt. Ein von missionarischer Selbstbeauftragung und selbstironisch gebrochener Eitelkeit getriebener Maxim Biller leistete sich die Zivilcourage, gegen alles und jeden, sogar gegen den eigenen Auftraggeber zu sein. Andernorts wäre Kolumne Nr. 6 die letzte gewesen, hätte zum unverbindlichen Popkultur-Tandaradei nicht gehört, dass man bei Tempo Kritik an sich selbst so wenig ernstnahm wie die eigene Publizistik.
Biller schrieb also mit anschwellendem Furor weiter, fast möchte man sagen: mit strenger Sittlichkeit. Die Lethargie der späten Kohljahre, die Wiedervereinigung und die erste Welle der nationalen deutschen Selbstfindung (die zweite erleben wir gerade) beendete das Beliebigkeitsspiel einer falsch verstandenen philosophischen Postmoderne: Die Lage war da, und sie war verstörend. Integration der diktaturgeschädigten Ex-DDRler, brennende "Asylantenheime", Aufstieg der nationalistischen Partei "Die Republikaner", Jugoslawien-Konflikt und vieles andere forderte die Gesellschaft heraus. Aus Playmobil-Deutschland musste ein erwachsener Staat werden.

Abschied aus dem Spaßkulturreservat

Als einer der ersten Schreiber seiner Generation verließ Biller das Spaßkulturreservat und handelte sich das Stigma des nörgelnden Querulanten ein. Dabei hatte er, wie man nun wieder nachlesen kann, eine feine Witterung für Kommendes. "Rechtsradikalismus ist das neue, große Jugend-Ding", stellte er 1992 fest und sah ein "konservativ-faschistisches Gegen-68" zum langen Marsch ins bürgerliche Establishment aufbrechen. Seine eigene Prognose, es dauere wohl zwanzig Jahre bis zu dessen Ankunft, war nur ein bisschen zu kurz gezielt.
Dass der "Rache-Biller, den ihr alle hasst" [eigenes Zitat] in seinen Kolumnen nicht jener Krakeeler und Alarmist war, für den viele ihn seinerzeit hielten, zeigt erst die Re-Lektüre im Abstand von zwei bis drei Dekaden. Billers jüdische Herkunft hatte ihn auf eine Außenseiter-Position gestellt, die ihn schon als Dreißigjährigen selbstbewusst einsam machte. Doch aus dieser Einsamkeit resultierte zugleich der Antrieb zum politisch-moralischen Urteil.

Heute sieht man: Biller lag oft richtig

Das fällt oft überzogen aus, manchmal fast beleidigend. Wenn er den damaligen SPD-Hoffnungsträger Oskar Lafontaine den "Irren aus Saarbrücken" nennt, muss man zunächst schlucken, dann aber sehen, wo der einstige SPD-Messias schließlich gelandet ist – im populistischen Außenbezirk. Bei den Grünen sieht der Kolumnist "quasireligiöse Ursprünge" am Werk und lässt sich 1995 zum Satz hinreißen, der erste Grüne habe Heinrich Himmler geheißen: "Er war gegen Tierversuche, hasste die Industrie, predigte ein naturverbundenes Leben und befahl, dass alle SS-Chefs vegetarisch essen sollten."
Behaglich linksgrün wie das intellektuelle Juste Milieu der 90er-Jahre ist Biller also nicht. Aber ist er deswegen rechts? Das schon gar nicht. Er versucht etwas fürs deutsche Lagerdenken eher Ungewöhnliches, nämlich das Meinungsspektrum nicht als Linie, sondern als Kreis zu begreifen. Jede Position innerhalb des Kreises ist einnehmbar, weil demokratisch legitimiert. Nur was außerhalb des Kreises liegt – Antisemitismus, Nationalismus, Unterdrückungssozialismus, jede Form von politischer Gewalt sowie narzisstische Dummheit – ist tabu. Nein mehr: Es muss mit Verve bekämpft werden.
So sucht der Leser dieser Kolumnen vielleicht eine Linie, die es gar nicht geben kann, was auch an den Produktionsbedingungen liegt: Keiner der Texte wurde für die Ewigkeit geschrieben, so wie heute niemand seine Kommentare in den Sozialen Netzwerken nachweltfest formuliert. Dennoch wäre es in dreißig Jahren interessant, Billers Texte mit heutigen, dann aber auch alt gewordenen Online-Meinungsäußerungen zu vergleichen. Vermutlich gewänne Biller haushoch, denn eine Monatskolumne in der Print-Epoche ließ dem Schreiber noch Zeit für Reflexionen, die übers Reflexhafte hinausgehen.

Maxim Biller: "Hundert Zeilen Hass"
Hoffmann & Campe, 2017
400 Seiten, 25 Euro

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