Matthew Sweeney: "Hund und Mond"

Lyrik über Whiskey und sprechende Pferde

Cover des Gedichtbands "Hund und Mond" von Matthew Sweeney, im Hintergrund ist eine irische Küste zu sehen.
Cover des Gedichtbands "Hund und Mond" von Matthew Sweeney, im Hintergrund ist eine irische Küste zu sehen. © dpa / picture-alliance / Hanser
Von André Hatting · 24.11.2017
Matthew Sweeneys Gedichten handeln von Whiskey, sprechenden Pferden – und dem Tod. In seiner Lyrik trifft irischer Humor auf deutsche Spätromantik. Unser Kritiker findet, "Hund und Mond" wurde völlig zu Recht zum Buch des Monats Oktober gewählt.
Die lyrische Welt Matthew Sweeneys ist die irische: Whiskey, frittierter Fisch oder Guinness bilden das typische Inventar seiner Gedichte. Der Ton ist bodenständig und schnörkellos. Diese Geschichten in Versform erzählen von Tier und Mensch, Leben und Tod und dem Dazwischen. Sweeney verzichtet dabei auf jegliches poetisches Fracking: Er vertraut der Alltagssprache, will keine neue Bedeutungen heraussprengen, indem er Syntax oder Lexik unter Druck setzt. Sweeney setzt aufs Fabelhafte, im doppelten Wortsinn. Der 65-Jährige nennt es seinen "alternativen Realismus". Irisch sprechende Pferde auf einer Insel, ein einäugiger Philosoph, die Leiden eines Geistes, der den Tag der Nacht vorzieht,
"weil der Mond
ihm Schauer über den Rücken jagt, sogar jetzt,
da die Sonne ihn an die Wärme von Körpern erinnert.
Körper …! Was gäbe er nicht dafür, den eigenen
Zurückzuerhalten, im Alter von zwanzig Jahren,
aber was kann er anbieten? Eine nebelhafte Aura,
an die niemand glaubt?"

Irischer Humor trifft deutsche Romantik

Flann O'Brien'scher Humor trifft deutsche Spätromantik. Die hat Sweeney bei seinem Studium in Freiburg kennen- und lieben gelernt; dem Landsmann O'Brien fühlt er sich bis heute nahe. Aber auch eine amerikanische Traditionslinie, die bei Poe ihren Anfang nimmt, schimmert durch. Das wird besonders in einem seiner besten Gedichte spürbar, der "Strickleiter" (The Rope Ladder). Hier lädt Sweeney das Unbehagen vor dem Unbekannten existenziell auf und erhebt es zu einer Art Lebensantrieb:
"Als ich die Strickleiter hinaufstieg im Dunkeln
wusste ich nicht, wohin die Reise ging,
nur eben dies: hinauf. Wie weit wohl, begann
ich bald mich zu fragen, unterdrückte in der gleichen
Sekunde die Stimme, die mir riet, nach unten
zu steigen und in der Luft lag ein Frösteln.

[…]

Also gewöhne dich ans Frösteln und zugleich
ans Dunkel, vergiss das Du, das einst begann
dort unten, und weiter geht’s, wie es immer schon ging."

Hölzerne und holprige Übersetzung

Dieses Gedicht, besonders seine letzten drei Zeilen, ist zugleich ein gutes Beispiel für die mitunter seltsame Übersetzung Jan Wagners. "and you'll know where you're headed" endet das Original, frei übersetzt etwa "und du weißt, wohin du geführt wirst" oder "wohin die Reise geht". Ganz am Ende des Gedichts bekommt das lyrische Ich beziehungsweise Du die Möglichkeit, einen Sinn in seiner Kletterei zu sehen, ein Ziel. Das ist für den Text entscheidend. In Wagners "und weiter geht’s, wie es immer schon ging" geht das komplett verloren. Noch schlimmer sind die Stellen, an denen Wagner die frische Alltagssprache Sweeneys ins Hölzern-Holprige dreht:
"I ask did he hear
those last words I whispered to
his comatose ear.

Mein Flüstern, bevor
alles aus war – vernahm es
im Koma sein Ohr?"
Der Übersetzer will den Reim retten und die Silbensystematik des Haiku. Der Preis ist eine gequälte Inversion, die alle Leichtigkeit zerstört.
Glücklicherweise bietet Hanser auch diesen Auswahlband von Matthew Sweenyes Gedichten wieder zweisprachig an. In der Originalversion ist es nachvollziehbar, warum die Darmstädter Jury "Hund und Mond" zum Buch des Monats Oktober gewählt hat.

Matthew Sweeney: Hund und Mond. Gedichte
Englisch-Deutsch, übersetzt von Jan Wagner
Hanser Verlag, München 2017
144 Seiten, 18 Euro

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