Martin Suter: Kein Problem mit Unterhaltung

Martin Suter im Gespräch mit Ulrike Timm · 17.12.2009
Mit seinem Roman "Lila, lila" ist dem Schweizer Autor Martin Suter ein Bestseller gelungen. Die Unterscheidung zwischen E- und U-Literatur ficht ihn nicht an: "Wenn Unterhaltungsliteratur bedeutet, dass viele Leute meine Bücher gerne lesen, dann bin ich gerne ein Unterhaltungsliterat."
Timm: David Kern, der kleine, unscheinbare Kellner, den alle übersehen, liebt Marie, und die liebt die Literatur. Deshalb gibt sich David als Schriftsteller aus. Seinen Roman, den hat er in der Schublade eines Nachtschranks vom Trödel gefunden. Bloß: Davids angeblicher Roman wird tatsächlich veröffentlicht und ein Riesenerfolg – der kleine Kellner findet sich als Shootingstar der Literaturszene wieder. Eine kleine Lüge wird zum großen Problem.

Martin Suter hat den erfolgreichen Hochstaplerroman "Lila, Lila" geschrieben und nimmt darin zugleich den Literaturbetrieb mit seinen hochgejubelten Stars aufs Korn. Die Verfilmung von "Lila, Lila" kommt heute in die Kinos, der Schriftsteller Martin Suter ist jetzt bei uns zu Gast. Herzlich Willkommen!

Martin Suter: Vielen Dank für die Einladung!

Timm: Herr Suter, wir hatten vor ein paar Tagen den Regisseur von "Lila, Lila", Alain Gsponer, im Gespräch, und der meinte, er habe als 20-Jähriger genau solche Probleme gehabt wie David, sei ganz unscheinbar gewesen, wollte immer größer wirken, hätte nie so richtig geklappt, kurz: Er bekündete sein tiefes Verständnis für diesen kleinen Hochstapler. Hatten Sie selber mal so eine David-Phase und deshalb so viel Liebe für diese Figur?

Suter: Ja, der Alain Gsponer ist ungefähr zwei Köpfe größer als ich, also – Sie können sich vorstellen ... Nein, diese Probleme hatte ich nicht so, ich hatte irgendwie immer ein so nicht übersteigertes, aber normales Selbstbewusstsein. Aber dass ich mal eine Lüge gemacht habe und die dann ein bisschen über meinen Kopf gewachsen ist, das ist auch schon vorgekommen.

Timm: Wie ist das, wenn man seine Buchmenschen loslässt und dann auf der Leinwand sieht? Es ist ja nicht alles so wie in Ihrem Buch, die Schauplätze haben gewechselt, es wird immer ein bisschen anders. Hält man das gut aus?

Suter: Ich kann mich ganz gut lösen davon, für mich ist dann das Buch abgeschlossen und daran kann man ja nichts mehr ändern. Das Buch ist so, wie ich es abgeliefert habe, und dann kann ich da interessiert zusehen, was andere Leute daraus machen. Und bei der Premiere habe ich ihn zum ersten Mal im Kino mit Zuschauern gesehen und tatsächlich: Ich kann da sitzen, wie ein Zuschauer und muss zu meinem Erstaunen auch an den lustigen Stellen lachen.

Timm: Obwohl Sie sie alle kennen. Kommen wir mal auf Ihre Bücher zu sprechen, die sind sehr genau komponiert, in einer ganz klaren, nie verschwurbelten, einfachen Sprache und das meine ich jetzt nicht negativ. Ist das die meiste Arbeit beim Schreiben, die eigentliche Arbeit, das so ganz zu straffen, bis es ganz klar ist?

Suter: Gut, das Reduzieren ist für mich schon wichtig beim Schreiben. Man muss weglassen können, man muss wissen, wie wenig es braucht, um die Bilder heraufzubeschwören, die man heraufbeschwören will. Aber ich schreibe jetzt ja schon seit vielen Jahren und habe früher, als junger Mann habe ich gerne mit der Sprache gespielt, Wortspiele gemacht und so, und heute habe ich ein sehr praktisches Verhältnis zur Sprache. Ich finde schon, sie soll dienen, das zu transportieren, was ich transportieren will.

Timm: Suter gehört in die erste Garde der europäischen Unterhaltungsliteratur - das liest man so oder so ähnlich immer wieder. Ist das ein Kompliment oder zucken Sie zusammen?

Suter: Nein, nein, das ist ein Kompliment. Ich habe das Problem nicht mit der Unterhaltungs- und der E-Literatur. Das ist ein Problem des deutschsprachigen Raums, das gibt es sonst nicht auf der Welt. Und wenn Unterhaltungsliteratur bedeutet, dass viele Leute meine Bücher gerne lesen, dann bin ich gerne ein Unterhaltungsliterat.

Timm: "Lila, Lila" ist ja auch eine Satire auf den Literaturbetrieb selber. Ein kleiner Kellner wird zum großen Star und niemand merkt es, auch von den großen Kritikern nicht: Wie viel ist das Satire und wie viel Wahrheit steckt drin?

Suter: Ich siedle meine Romane in der Wirklichkeit an und versuche, die Wirklichkeit so genau wie möglich zu beschreiben, und wenn ich jetzt die Literaturszene genau beschreibe und es wirkt satirisch, dann ist das das Problem der Literaturszene.

Timm: Also, gut recherchierte Hochstapelei?

Suter: So kann man sagen, ja.

Timm: Also, verschiedene Geschichten vom David könnten auch – nicht ganz so überspitzt – im Literaturbetrieb angesiedelt sein, dass jemand hoch gejubelt wird und niemand merkt: Eigentlich ist da keine Substanz.

Suter: Ja. Natürlich gibt es immer wieder das, was man heute einen Hype nennt, dass junge Autoren hochgejubelt werden und danach niedergeschrieen, wenn sie sich mit 19 oder 20 ausgeschrieben haben, weil sie noch nicht sehr viel erlebt haben und dann gibt man ihnen keine Chance mehr. Da muss ich schon ein paar Leuten … und auch eine Schweizer Kollegin zum Beispiel von mir, Zoe Jenny wurde so behandelt.

Timm: Sie haben relativ spät angefangen zu veröffentlichen, nicht zu schreiben, aber Romane zu veröffentlichen. Ich glaube, Sie waren schon fast 50. War das gut für Sie?

Suter: Ja, ich glaube im Nachhinein, das war gut für mich. Ich habe schon meinen ersten Romanversuch mit 20 gemacht und ich glaube, ja, das, was wir vorher besprochen haben, dass ich halt nicht mehr so blumig und nicht mehr so eitel schreibe, nicht so schreibe, dass man vor jedem Wort niederknien muss. Das konnte ich durch diesen späten Einstieg vermeiden.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, zu Gast ist der Schweizer Schriftsteller Martin Suter, der zugleich wirklich bekennender Schweizer ist und noch im vergangenen Jahr den Weitblick und die Toleranz der Schweizer gepriesen hat, was im Moment ziemlich viel schwieriger sein dürfte. Steht denn der Schweizer in Ihnen nach dem Schweizer Volksentscheid gegen Minarette jetzt auf verlorenem Posten?

Suter: Nun gut, ich bin schon aus allen Wolken gefallen, wie viele meiner Miteidgenossen ... Wir haben alle nicht damit gerechnet. Deswegen hat man das zu wenig ernstgenommen. Ich hatte immer über diese Waffenexportverbotsinitiative, da war ich dafür eingestanden, und die Minarettinitiative, die habe ich gar nie erwähnt öffentlich, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das Stimmvolk so unverständlich entscheiden kann.

Timm: Das heißt, alle Intellektuellen – es ist ja nicht nur Ihr Unverständnis gewesen –, alle Intellektuellen in der Schweiz haben die Schweizer falsch eingeschätzt?

Suter: Ja, ja, das kann man leider so sagen, einfach auch die Manipulierbarkeit des Stimmbürgers. Man hat vom Schweizer Stimmbürger immer gesagt, im Großen und Ganzen und unter dem Strich haben sie einen politischen bon sens, ein gutes Gefühl für richtige Entscheidungen, und auf den hat man sich ja auch in dieser Sache verlassen und hat nicht damit gerechnet, von diesen Protestwellen aus, aus ganz anderen Ecken als aus der rechtsbürgerlichen Ecke.

Aber dann gab es Leute, die einfach gegen Ausländer waren, dann gab es Leute, die waren wütend auf Gaddafi, weil er zwei Schweizer als Geiseln hält, dann gab es viele Frauen, die damit gegen die Unterdrückung der Frau im Islam protestieren wollten, dann gab es viele junge Frauen, die sich nicht gerne anmachen lassen auf die Art der Kosovo-Albaner oder so, eine ganze Mischung, und plötzlich kommen da, ich weiß nicht, 56, 57 Prozent zusammen.

Timm: Sie beschreiben uns eine ziemlich undefinierbare Melange, aber wovor haben denn Ihre Landsleute vielleicht wirklich Angst?

Suter: Offenbar nicht genug vor dem Islam, sonst hätten sie nicht diese provokative Entscheidung getroffen. Es sind verschiedene Ängste, es ist die Summe von Angst vor der Zukunft, Angst vor der Veränderung, Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes.

Timm: Das hat ja das Image der Schweiz beschädigt. Plötzlich denkt man nicht mehr an das weltoffene, überaus vernünftige Land, wo die Bürger sogar selbst bestimmen, ob sie mehr Steuern zahlen wollen und das sogar per Volksentscheid dann entscheiden, plötzlich bekommt dieses Image von Perfektion, von einer natürlichen Solidität, von einer Uhrmachermentalität was ganz Enges, was ganz Spießiges. Haben die Bewunderer der Schweiz das Land vielleicht einfach zu sehr hoch gejubelt?

Suter: Ach, das bestimmt auch, und die Schweizer sich selber auch. Aber die Schweizer leiden ja schon länger unter solchen Imagesorgen. Da gab es dann endlich einmal die Aufarbeitung der Holocaustvergangenheit, da stimmt halt schon, was man immer gemunkelt hatte, dass da viel Holocaust-Geld auf den Banken lag, dann gab es das Grounding der Swissair, die plötzlich ... diese solide Airline bleibt am Boden ...

Timm: Abstürzte.

Suter: ... ja, und geht bankrott. Dann sind die soliden Banken plötzlich nicht mehr solid, dann kommt man plötzlich in Verruf wegen dem Bankgeheimnis. Alle diese Dinge haben eigentlich ein bisschen am Selbstbewusstsein genagt und vielleicht ist das auch eine Trotzreaktion.

Timm: Wenn wir auf dieses Befremden noch mal schauen, dass dieser Schweizer Volksentscheid ausgelöst hat – hat die Schweiz gerade ein Identitätsproblem, möchte größer, eigenständiger, wichtiger sein, ähnlich dem kleinen David Kern mit seinen Minderwertigkeitskomplexen in "Lila, Lila"?

Suter: Ich glaube nicht, dass die Schweiz größer oder mächtiger sein will, aber sie fühlt sich halt bedrängt durch diese Europäische Union rundherum, sie fühlt sich plötzlich bedrängt durch die Freizügigkeitssachen, jetzt kommen so viele Ausländer ungehindert ins Land, und dann merken sie: Wenn die arbeitslos werden, dann liegen sie uns auf der Tasche, dann gehen sie nicht wieder heim, und halt alle diese Sachen. Und: Klar ist es ein Identitätsproblem, nun, dann ist es eine innere Debatte. Jetzt sagen die Befürworter der Initiative, die Kritiker dieses Abstimmungsresultates seien Antidemokraten, können keinen demokratischen Entscheid akzeptieren.

Timm: Das klingt alles so unvernünftig.

Suter: Ja, ja.

Timm: Das verbindet man ja eigentlich nicht mit der Schweiz.

Suter: Nein, nicht, das ist wahr, das ist alles ein bisschen kindisch, ja.

Timm: Sie selber leben vor allem in Spanien und in Guatemala. Ist es besser, ein Schweizer auf Abstand zu sein?

Suter: Ja, ich lebe nicht aus politischen oder anti-schweizerischen Gründen im Ausland. Es hat sich so ergeben. Die Schweizer sind von Natur aus ein unruhiges Volk und es ist einfach, die Schweiz zu verlassen, weil sie so klein ist.

Timm: Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter, zu Gast im Radiofeuilleton: Erist bekennender Schweizer, heute kommt zudem die Verfilmung seines Romanes "Lila, Lila" in die Kinos. Vielen Dank für den Besuch!

Suter: Danke für die Einladung!
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