Mars-Kolonien

Können Menschen im Weltall siedeln?

Internationale Raumstation ISS fliegt im Weltall. Im Hintergrund die Erdkugel
Die Astronauten auf der Raumstation ISS sollen ein Jahr bleiben. Das Experiment sind damit sie selbst. © picture alliance / dpa / NASA TV
Hanns Christian Gunga im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 22.07.2015
Bevor die ersten Touristen auf den Mond fliegen, erwartet der Weltraummediziner Hanns Christian Gunga, dass chinesische Astronauten – auch "Taikonauten" genannt- den Mars erobern. Doch bis dahin wird es wohl noch etwas dauern.
Für längere Aufenthalt im Weltraum sei bislang die Schwerelosigkeit das größte Hindernis, sagte Hanns Christian Gunga, Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten am Zentrum für Weltraummedizin der Berliner Charité im Deutschlandradio Kultur. Astronauten verlören dadurch Knochen- und Muskelmasse im Weltraum.
Unklar sei auch, wie sich die erhöhte Strahlenbelastung langfristig auswirke. "Da gibt es auch noch andere Fragen, wie zum Beispiel, wie lange können Menschen da oben gut zusammenarbeite, also ganz banale Fragen", sagte Gunga.
Ein Jahr im Weltall
Die letzten 50 Jahre Raumfahrt hätten aber gezeigt, dass Astronauten in der Raumstation mindestens sechs Monate lebensfähig seien. Nun wolle man mit dem heutigen Raketenstart vom kasachischen Baikonur ausprobieren, ob das auch für ein Jahr möglich sei.
Fitness in der Raumstation
Um körperlich fit zu bleiben, gebe es ein Laufband, auf dem die Astronauten fixiert würden, sagte der Weltraummediziner.
"Sie haben einen Ergometer, wie sie den in jedem Fitnessstudio haben, sie haben Kraftgeräte."
Damit könne die Muskulatur ebenso stimuliert werden wie das Knochenwachstum. Aber die Studien zeigten, dass dies alleine nicht ausreiche. "Die müssen täglich anderthalb Stunden oben trainieren", sagte Gunga. Trotzdem sei es so, dass die Raumfahrer nach sechs Monaten im Weltall genau so viel Zeit benötigten, um ihren Normalzustand wieder zu erreichen. Er sprach von einer "Rehabilitation für Astronauten hier auf der Erde."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wir schauen auf heute Abend, wir schauen auf Kasachstan, nach Baikonur, um genau zu sein. Da wird es kein Debüt geben, sondern einen sehr routinierten Raketenstart – die nächste Besatzung fliegt zur internationalen Raumstation ISS. Dort oben sitzen schon seit März zwei Astronauten, die allerdings nicht abgelöst werden. Sie bleiben ein ganzes Jahr im All, werden dort viele Experimente durchführen, aber das wichtigste Experiment sind sie selbst. Wie verträgt ein Mensch das, könnten wir dauerhaft im Weltall leben. Im Studio zu Gast in Hanns Christian Gunga, Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten an der Berliner Charité. Guten Morgen, schön, dass Sie da sind!
Hanns Christian Gunga: Guten Morgen!
Frenzel: Das ist ja eine alte Utopie, die Besiedlung vom Mond oder vom Mars oder von anderen Planeten, aber die Frage ist ja natürlich schon: Könnten wir das physisch überhaupt im Raum überleben?
Gunga: Nun, die letzten 50 Jahre in der Raumfahrt haben ja gezeigt, dass wir jedenfalls im Augenblick mit der Raumstation als neuestem Gerät mindestens sechs Monate die Astronauten oben lebensfähig halten können. Jetzt geht man halt daran, zu sehen, ob das für ein Jahr auch möglich ist. Wichtige medizinische Rahmenbedingungen sind, dass wir durch die Schwerelosigkeit insbesondere Muskelmasse verlieren, insbesondere Knochenmasse, und wir uns noch nicht ganz darüber im Klaren sind, wie langfristig die erhöhte Strahlendosis, der die Astronauten oben in der Raumstation ausgesetzt sind, wie das auf den Organismus wirkt. Aber da gibt es auch noch andere Fragen, wie zum Beispiel eben, wie lange können Menschen gut zusammenarbeiten, also ganz banale Fragen.
Frenzel: Ja, die finde ich auf jeden Fall auch spannend. Die sind banal, aber sind wahrscheinlich auch ganz entscheidend, wenn wir uns so die Weltraumliteratur und auch manche Filme angucken. Am Ende ist es ja eigentlich immer der Weltraumkoller, der das alles zum Kollabieren bringt. Aber lassen Sie uns doch vielleicht kurz bei den körperlichen Schwierigkeiten bleiben. Sie haben gesagt, die Schwerelosigkeit ist eines der Hauptprobleme.
Gunga: Ja, und da kann man natürlich daran arbeiten, dass man Geräte baut, wie zum Beispiel ein Laufband, mit dem sie fixiert sind mit Gummibändern drauf – sie können ja nicht normal auf einem Laufband laufen, sonst würden sie sofort nach dem ersten Tritt nach oben sozusagen schweben oder beschleunigt werden, also sie müssen befestigt werden auf dem Laufband. Sie haben Ergometer, wie Sie sie in jedem Fitnessstudio haben, sie haben Kraftgeräte, mit denen kann man sicherlich die Muskulatur und damit auch das Knochenwachstum und den Knochenerhalt stimulieren.
Aber wir wissen insbesondere aus den letzten Langzeitstudien in den letzten fünf Jahren, dass das trotzdem nicht ausreicht seltsamerweise. Die müssen täglich anderthalb Stunden oben trainieren, anderthalb Stunden, jeden Tag, die Astronauten. Trotzdem, wenn sie nach sechs Monaten im Augenblick herunterkommen, dann dauert es beinahe genauso lange hier auf der Erde, bis sie wieder ihren Normalzustand vor dem Raumflug wieder erreicht haben. So lange sie oben sind, so lange müssen sie wieder in eine Rehabilitation für Astronauten hier auf der Erde.
Landeprozesse brauchen Muskelkraft
Frenzel: Aber man könnte ja auch sagen, wenn man da oben ist und auch dauerhaft bliebe, könnte man sich ja auch die Muskeln sparen, die braucht man dann ja auch im Zweifel gar nicht mehr.
Gunga: Das ist sicherlich richtig, solange sie in der Raumstation bleiben und nicht irgendwo den wunderbaren Gedanken haben, auf einem Mond oder Planeten zu siedeln. Dann haben sie natürlich sofort wieder einen entsprechenden Gravitationsfaktor – beim Mond ist das ungefähr ein Sechstel, beim Mars ungefähr ein Drittel. Dafür müssen sie schon, um dann da sich aufzuhalten und dann da Gebäude und entsprechende Dinge zu tun, dafür brauchen sie eine physische Leistungsfähigkeit. Sie haben aber vollkommen recht, solange ich in der Schwerelosigkeit bin, ist das alles fein. Nur gerade Landeprozesse und dann Arbeiten vor Ort, da brauchen Sie schon Muskelkraft.
Frenzel: Arbeiten vor Ort, forschen vor Ort, das ist jetzt das Stichwort, das ist auch die Funktion der Astronauten, die da oben sind. Sie arbeiten ja hier unten auf der Erde – kann man eigentlich von hier aus daran vernünftig arbeiten. Also gibt es hier auf der Erde Situationen, vergleichbare Situationen?
Gunga: Ja, das hoffe ich schon. Wir arbeiten seit mehreren Jahren, man bereitet sozusagen Experimente vor mit den Astronauten zusammen, mit den verschiedenen Raumfahrtorganisationen. Man überlegt sich ein Experiment, und Sie müssen sich vorstellen, da oben bin ich ja zum Beispiel nicht alleine, sondern habe zehn, fünfzehn, zwanzig europäische Mitarbeiter, das muss genau getaktet werden, wann diese Experimente stattfinden.
Wir zum Beispiel untersuchen den circadianen Rhythmus der Kerntemperatur im Körper – das ist so ein Signal wie bei Schichtarbeitern, ob sie da herauslaufen. Und das ist ein Programm, das müssen Sie vorher genau durchsprechen, wann Sie diese Experimente machen, und die Astronauten führen das dann für Sie durch, und wir bekommen die Daten herunter und können daran dann sehen, ob das sozusagen richtig gemacht worden ist oder ob man vielleicht noch mal eine Extramessung machen soll. Aber ich kann nur sagen, in der Regel kommen die Astronauten wirklich prima vorbereitet ins All. Und nach den letzten zwanzig Jahren, die ich in der Raumfahrt arbeite, habe ich selten ein Experiment gesehen, das gescheitert ist.
Frenzel: Kann man denn hier auf der Erde Extremsituationen vorfinden, die ähnlich sind, also machen Sie manchmal auch mit den Astronauten hier schon Feldversuche?
Gunga: Ja, nicht direkt mit den Astronauten, aber mit anderen Gruppen. Zum Beispiel haben wir ... ein Schwerpunkt unserer Untersuchung ist in der Antarktis, auf der deutschen Antarktis-Station, wo wir zum Beispiel untersuchen, wie sich Kleingruppen bei längerer Isolation – jetzt auch beinahe über dreizehn Monate – in der Antarktis verhalten, wie die miteinander leben, wie deren Körperzusammensetzung sich zum Beispiel verändert, bei Männern und Frauen oder wie Männer und Frauen zusammenarbeiten oder nur Männer oder nur Frauen.
Extrovertierte Personen eignen sich weniger als Astronauten
Frenzel: Wir haben ja in der Weltraumforschung manches Mal so Seiteneffekte gehabt, also Teflon zum Beispiel war ja so eine Erfindung. Haben Sie da ähnliche Ergebnisse, wo Sie sagen, ach, das haben wir eigentlich mit Blick auf die Schwerelosigkeit, mit Blick auf den Weltraum erforscht und was herausgefunden, was ganz praktisch für die Erde ist?
Gunga: Ein Beispiel wäre zum Beispiel die Kontrolle – Sie wissen heute alle, dass man die entsprechende Cornea im Auge mit einem Laser entsprechend korrigieren kann, sodass man keine Brille braucht, so einen Exam-Laser. Und die Kontrolle des Laserstrahls erfolgt über eine Brille, über eine Signalbrille, die man eigentlich in der Raumfahrt entwickelt hat, um das Gleichgewichtsorgan zu ... Das hängt damit zusammen, dass Augenbewegungen und Gleichgewichtsorgan, da kann man was draus lesen. Und diese Brille sozusagen ist in jedem dieser Geräte heutzutage drin, und jeder, der sich sein Auge lasern lässt, sollte der Raumfahrt dankend sein, wenn er nachher wieder vernünftig gucken kann.
Frenzel: Schauen wir jetzt noch mal auf den Menschen, nicht von den körperlichen Gegebenheiten, sondern das, was wir vorhin kurz angesprochen haben, also die Frage, wie muss man eigentlich beschaffen sein. Muss man ein besonders ruhiger, ausgeglichener Mensch sein, um da hochgeschossen zu werden?
Gunga: Also besonders ruhig und ausgeglichen ist sicherlich auf der einen Seite eine ganz günstige Voraussetzung, aber Sie dürfen auch nicht zu ruhig sein. Es muss schon auch jemand sein, der aktiv, wenn sich Situationen ergeben, die ich nicht vorher eingeplant habe, schnell genug reagiert. Ich denke – und das auch nicht nur ich, sondern das macht man dann in der Zusammensetzung –, es müssen verschiedene Typen sein, die unterschiedliche Fähigkeiten haben. Was man nicht gerne hat bei den Raumflügen, auch nicht gerne bei Isolationssachen, ist, dass man sehr extrovertierte Charaktere hat.
Die werden im Prinzip schon mal so ein bisschen in der Vorauswahl herausgenommen. Also man sucht schon denjenigen, der Gruppenarbeit hat, der aber auch dann entsprechend in seinem Fachgebiet schon natürlich ein Spezialist ist, um das ein oder andere durchzuführen. Und die Führungsperson, na, die muss mehrere Qualitäten dann mitbringen, die noch darüber hinausgehen.
Frenzel: Was glauben Sie denn, was zuerst kommen wird, Astronauten auf dem Mars oder Touristen auf dem Mond?
Gunga: Das ist eine interessante Frage, ich würde trotzdem meinen, dass es die Astronauten sein werden - es werden wahrscheinlich nicht Astronauten, sondern Taikonauten sein, ich würde denken, es sind Chinesen.
Frenzel: Hanns Christian Gunga, Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten am Zentrum für Weltraummedizin in der Berliner Charité. Ich danke Ihnen ganz herzlich für den Besuch hier!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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